O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Präsentation des UNESCO-Jahresberichts - Foto © O-Ton

Hintergründe

Förderung der kulturellen Vielfalt

Kultur ist ein Erfolgsgeschäft. Vor allem finanziell. Und weil sich das immer noch nicht bis in Stadträte und Kulturressorts herumgesprochen zu haben scheint, lohnt ein Blick in den neuen Jahresbericht der UNESCO mit dem Titel Kulturpolitik neu gestalten.

Wolfgang Kaschuba und Christian Höppner im Kultur-Gespräch – Foto © O-Ton

Die UNESCO, die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur beschloss 2005 in Paris das Abkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, um die  kulturelle Vielfalt der Menschheit als einzigartiges Merkmal und gemeinsames Erbe zu schützen und zu fördern. Diesem Abkommen sind inzwischen 146 Staaten beigetreten. Auch wenn das Abkommen die Zerstörung einzigartiger Kulturgüter wie Teile der antiken Oasenstadt Palmyra  im heutigen Syrien durch den IS nicht verhindern konnte, hat das Abkommen mehr als einen symbolischen Wert. Das belegen Zahlen, die die UNESCO in ihren Jahresberichten regelmäßig veröffentlicht. In ihrem neuen Bericht  Kulturpolitik neu gestalten  aus diesem Jahr steht die  wirtschaftliche  Seite kultureller Investitionen im Fokus. Sie wird manchen Leser überraschen. Der in der öffentlichen Diskussion vielfach wiederholte Vorwurf der ewigen Kostenfalle erweist sich nach Berechnungen der Organisation als falsch. Vielmehr belegen die Zahlen, die die UNESCO öffentlichen Daten entnommen hat, dass der gesamte Kultur- und Bildungssektor ein sehr kreativer, einfallsreicher und ökonomisch ertragreicher Sektor unserer gesellschaftlichen Ordnung ist. Kultur kostet – von wegen!

„Der Kultursektor generiert aktuell Umsätze von 2,25 Milliarden US-Dollar jährlich und beschäftigt fast 30 Millionen Menschen weltweit. Prognosen zufolge wird er in den nächsten Jahren für zehn Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung aufkommen“, heißt es in dem Bericht. Aus offiziellen Daten wurden fast 30 Millionen Beschäftigte weltweit gezählt, eine gewaltige Zahl von Arbeitsplätzen, die in Kürze fast zehn Prozent der Wirtschaftsleistung einbringen werden.

Auch wenn bei den Haushaltsberatungen für Theater, Konzerthäuser und Bildungseinrichtungen in den Gemeinde- und Stadträten der Rotstift schnell bei der Hand ist und eine langfristige Planung die Schul- und Kulturarbeit erheblich erschwert, kann die Kommission erfreut feststellen: „Die lokale Produktion kultureller Inhalte und der Handel mit Kulturgütern nehmen weltweit zu“. Diese Tendenz zeigt sich etwa in der großen Dichte der Landes- und Stadttheater in Deutschland und der hohen Konzertdichte in Stadt und Land. Der Bericht nennt aber auch gravierende Defizite, etwa beim ausgewogenen Zugang zu Handelsmärkten mit Kulturgütern und Dienstleistungen, bei der Künstlerfreiheit, Mobilität und Geschlechtergerechtigkeit“. Zu den Defiziten gehören die zu geringen personellen und finanziellen Ressourcen, die besonders die kulturelle Entwicklung in wenig entwickelten Ländern behindern. Die Kommission stellt ein Süd-Nord-Gefälle beim Kulturangebot in den verschiedenen Ländern und eine Nord-Wanderung vieler Kunst- und Kulturschaffender fest,  die in den nördlichen Ländern bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen vorfinden, die in den 157 Ländern nahezu problemlos zugänglich sind. Eine solche Mobilität von Kunst- und Kulturschaffenden ist „wesentlich für die Förderung der Vielfalt von Ideen, Werten und Weltanschauungen in Kunst und Kultur sowie für die Förderung einer nachhaltigen Kultur- und Kreativwirtschaft“, ohne die eine gesellschaftliche Weiterentwicklung nicht gelingen kann.

Zudem muss die Kommission konstatieren, dass tätliche Angriffe und Verleumdungen von Künstlern zugenommen haben. „430 Angriffe auf Künstlerinnen und Künstler wurden im Jahr 2016 verzeichnet. Noch im Jahr 2015 lag diese Zahl bei 340 und im Jahr 2014 bei 90“, wobei Musiker und Autoren am stärksten gefährdet sind. Zum Alltagsbild in Kulturorganisationen gehören auch geschlechterspezifische Benachteiligungen und fehlende Gleichberechtigung. Frauen sind in Schlüsselpositionen weiterhin seltener vertreten, nur 34 Prozent der Kultusminister sind weiblich, Frauen verdienen weniger.

Die Digitalisierung wächst (zu) langsam. 2016 erreichte der „Online-Musikhandel mit 7,85 Milliarden US-Dollar zum ersten Mal nahezu 50 Prozent der gesamten Erlöse der Musikindustrie“. Insgesamt verläuft die Digitalisierung aber schleppend, nur vereinzelt haben Länder „eine Strategie entwickelt, um die Digitalisierung des Kultursektors aktiv zu gestalten“. Das gilt besonders für Deutschland. Die Kommission plädiert für „neue Partnerschaften zwischen Staat, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft“. Sie sieht auch in der Entwicklungshilfe dringenden Bedarf für eine Förderung, „nur 0,22 Prozent der Entwicklungshilfegelder wurden 2015 für Kultur aufgewendet“, eine Abnahme um 45 Prozent seit 2005. Dadurch werden Arbeitsplätze im Kultursektor vernichtet statt geschaffen. Auf solche Weise lässt sich keine „eigenständige Kulturpolitik der Vertragsstaaten“ sichern und eine „globale Kulturkooperation“ nicht intensivieren. Wolfgang Kaschuba, Vorstandsmitglied der Deutschen UNESCO-Kommission, betont, dass Kultur nur dann ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllen kann, wenn sie nicht „wirtschaftlich kontrolliert und politisch gelenkt wird“. Tobias Knoblich von der Kulturpolitischen Gesellschaft fordert neben dem dreijährigen Kulturfinanzbericht den Aufbau einer Kulturpolitikforschung, einem in Deutschland noch sehr unterentwickelten Forschungsbereich.

Zugegeben, die Jahresberichte der UNESCO und der Deutschem UNESCO-Kommission sind recht trockener Stoff für Verwaltungs- und Politikprofis. Sie taugen kaum, um den Hauptausschuss eines Gemeinderates in Mecklenburg-Vorpommern oder den Finanzdezernenten im Allgäu zu beeindrucken, wenn deren Haushalte überwacht werden. Sie helfen auch kaum der kleinen  Privatbühne in  Ludwigsburg oder Greifswald mit ihrem Motto „Innovationen querfeldein oder der im Armenviertel von Stellenbosch beheimateten kleinen Privatkompanie amazink in Südafrika.  Der Weg der Daten und Argumente des UNSCO-Berichtes in die Tagespolitik ist langwierig und mühsam. Das bestätigen momentan die Verhandlungen zur Bildung einer Großen Koalition in Berlin. Im Entwurf-Abschnitt XIII.2 „Kunst, Kultur und Medien“ heißt es: „Kultur und Kunst leisten einen Beitrag zur Integration und schaffen Freiräume für kritischen Diskurs. Kultur ist ein Spiegel unseres Selbstverständnisses.“ Da grüßt die alte „Puderzucker-Manier“:  Kultur muss sein, ein wenig Kultur schmückt jede Feier. – Dabei geht es darum zu zeigen: Kulturelles Schaffen, künstlerische Aktivitäten sind die Freiräume, sind Teil unseres Selbstverständnisses, sind der kritische Diskurs! Ja, es gibt sie, die bunte kulturelle und künstlerische Vielfalt in den Ländern. Und ja, sie ist elementarer Teil unseres Gesellschaftsbildes.

Horst Dichanz