O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Hintergründe

Hier darf ich Mensch sein

Zum ersten Mal wird in diesem Jahr der Bonner Liedsommer veranstaltet. Das Netzwerk Liedwelt Rheinland hat Konzerte seiner Mitglieder unter ein kommunikatives Dach gestellt, um ihnen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. So bekommen Besucher nicht nur die Vielfalt des Netzwerks, sondern auch der Kultur im Bonner Raum zu spüren.

Das Eikona-Ensemble begeisterte mit Schumanns Dichterliebe – Foto © Eikona-Ensemble

Bonn hat einfach ganz viele, schöne Orte in der richtigen Größe, an denen Kultur und insbesondere Musik stattfindet“, erklärt Sabine Krasemann die Entscheidung, einen Liedsommer in der Stadt am Rhein auszurichten. Krasemann ist Geschäftsführerin des Netzwerkes Liedwelt Rheinland, also ein Netzwerk von Künstlern, die ein Problem haben. Sie alle lieben und pflegen das klassische Kunstlied. Und das bedeutet – sofern man nicht jedes Mal ein paar tausend Euro in eine CD-Produktion stecken will – einen erheblichen Aufwand für einen vergleichsweise geringen Ertrag. Oft monatelang wird um ein Konzept für einen Liederabend gerungen. Da werden Lieder ausgegraben und einstudiert. Moderationen verfasst und aufgesagt, bis sie sitzen. Ein passender Ort gesucht und eine Organisation gestartet, die von immensem Aufwand begleitet ist. All das, um einen einzigen Abend zu gestalten. Immer verbunden mit der großen Hoffnung, dass irgendeinem Veranstalter der Abend so gefällt, dass er sich entschließt, ihn an einem anderen Ort noch einmal aufführen zu lassen. Das Problem ist also weder die Liebe zum Lied noch die Arbeit. Es ist die fehlende Sichtbarkeit. Um mehr Menschen auf solche Lied-Abende aufmerksam zu machen, wurde das Netzwerk Liedwelt Rheinland gegründet. Und deshalb wird in diesem Jahr auch der Bonner Liedsommer ins Leben gerufen.

„Für Bonn haben wir uns entschieden, weil drei Kooperationspartner schon Konzerte in und um Bonn herum planten, die wir unbedingt dabeihaben wollten“, erzählt Krasemann. Also wurden kurzerhand die Netzwerkteilnehmer befragt, was sie denn in diesem Sommer musikalisch in Bonn unternehmen. Und es stellte sich heraus, dass immerhin elf Konzerte in diesem Umfeld stattfinden sollen. Dabei sind die Programme höchst unterschiedlich, wie schon die drei ersten zeigten, die bereits stattgefunden haben. Da lud etwa Ende Mai der Veranstalter ProKlassik zu einem Liederabend der Sopranistin Judith Hoffmann und des Pianisten Desar Sulejmani ein, die in der Evangelischen Kirche Oberpleis Einblicke in die Musik und das Leben von Alma Mahler und ihren „strahlenden Satelliten“ gewährten. Anfang Juni veranstaltete die Brotfabrik Bühne Bonn in der Michaeliskapelle Bad Godesberg einen Liederabend mit dem Titel Voyages – Auf musikalischen Wegen im europäischen Mittelalter unterwegs. Sopranistin Sylvia Dörnemann sang und rührte die Trommel, während Matthias Höhn zu Dudelsäcken, Drehleier, Nyckelharpa, Barockgitarre und Flöten griff. Eine gute Woche später wurde das Theater im Ballsaal in Bonn-Endemich Austragungsort des Projektes Dichter.Liebe! Das Bonner Schumannfest hatte das Eikona-Ensemble hierhin eingeladen, um mit Gesang, Klavier und Figurenspielerei Schumanns Dichterliebe und Vaughan-Williams Songs of Travel zu präsentieren. Drei von zehn Veranstaltern, die sich unter das Dach des Bonner Liedsommers begeben haben. Eigentlich eine schöne Idee. Finden auch die Veranstalter, wie Sabine Krasemann weiß. „Wir haben bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Wir möchten uns ja nicht mit fremden Federn schmücken, sondern fremde mit eigenen Federn verknüpfen.“ Und so ergänzt der Liedsommer einzelne Veranstaltungen um einen Künstlertreff, der im kosmopolitischen Bonn selbstverständlich mit der Überschrift Meet the Artist versehen wird. O, heilige Einfalt!

Die Vielfalt macht‘s

Ansonsten wird viel Wert auf Qualität gelegt. „Wir machen Programme, die Menschen berühren und bewegen, die in ihrer Intimität dem Individuum im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung einen tatsächlichen Ort geben, an dem es sich in eine Welt begibt, die greifbar ist“, sagt Krasemann und fügt enthusiastisch hinzu: „Irgendwo muss man doch ein Plätzchen haben, an dem man sich gerne niederlässt und Mensch sein darf.“ Derlei Plätze wird es in diesem Sommer in Bonn und Umgebung noch viele geben. Da trifft man auf Sänger wie Christiane Oelze, Franziska Andrea Heinzen oder Martin Lindsay. Der Kammerchor Voci di Fuoco erzählt im Alexander-Koenig-Museum von Seelenbildern des 20. Jahrhunderts und Frauke May veranstaltet eine Lieder-Lesung über Thomas Mann und seine Lieder. Und nicht zuletzt stellt Mezzosopranistin Elena Marangou in Begleitung des Pianisten Tobias Krampen in der Zentrifuge Bonn wie auch später noch in den Bechstein-Zentren Köln und Düsseldorf ihr neues Album Into a Children’s Room. Hier werden Lieder von Poulenc, Britten, Mussorgsky, Brahms, Koukos, Couroupos und Baltas zu hören sein, die im Hörer seine eigene Kinderzimmer-Welt wiedererwachen lassen sollen. Eine wahrhaft bunte Mischung, in der Irene Kurka auch zeigen wird, dass das Kunstlied in der Gegenwart weiterlebt.

Eine Idee entwickelt sich

Auch wenn noch vieles – gerade bei den kommunikativen Maßnahmen – im Aufbau ist, gehen die Gedanken zum Bonner Liedsommer für die Netzwerker längst weiter. Schließlich haben sich schon aus dem fulminanten Start interessante, neue Kontakte ergeben, sagt Krasemann. Da kann sich was entwickeln, was über Bonn hinausgeht. „Es finden sich neue Orte, weil wir Tipps bekommen oder die Besitzer auf uns aufmerksam werden“, sagt Krasemann. Da kann also möglicherweise aus dem Bonner Liedsommer auch ein rheinischer Liedsommer werden. Auch soll das Weiterbildungsangebot während des Festivals erweitert werden. Hier gibt es schon erste Gespräche mit den Hochschulen. Vorerst wird mal ein Workshop für Hobby-Liedpianisten angeboten.

An einem Sommerabend mal spontan zu einem Liederabend statt in die Kneipe zu gehen, ist nicht nur gesünder, sondern entspannt ganz ungemein. Und was an der Rheinschiene geht, sollte auch in anderen Gegenden funktionieren. Es muss ja nicht immer gleich das ganz große Konzert sein, zu dem man sich aufbrezeln muss. Die intime Nähe zu einem Künstler, der dazu noch eine sehr individuelle Leistung bringt, kann da durchaus erfrischend sein.

Michael S. Zerban