O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Hintergründe

Musik aus einer anderen Welt

Nein, die Musik auf Bali ist kein Exportschlager für den Rest der Welt. Sie ist ihrem Verständnis nach ortsgebunden und kann ihre Wirkung nur im Zusammenhang entfalten. Trotzdem lohnt es, sich mit dem Gamelan über touristische Begeisterung hinaus zu befassen.

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Wer in Indonesien über die Insel Bali reist, stößt in dieser farbenfreudigen, tropischen, fast märchenhaften alten Kulturlandschaft neben Tempeln und Vulkanen unweigerlich irgendwann auch auf die Musik. Denn diese Musik ist unzertrennlich mit den Tänzen, den religiösen Zeremonien und dem Schattentheater der Insel verbunden, kurz mit dem täglichen Leben der Bevölkerung. Man kann diese Musik in einem Wort zusammenfassen: das Gamelan. Anders als in Java, wo das Gamelan eher eine höfische Musik ist, ist es in Bali eine Musik des Volkes, eine Musik der Dörfer. Denn nachdem in Zuge der Kolonisation die Königtümer und die meisten Paläste zugrunde gegangen sind, und da die Herstellung und Wartung eines solchen Gamelan-Orchesters sehr aufwendig ist, sind es in Bali hauptsächlich die Dorf-Tempel-Gemeinden, die sie herstellen und aufrechterhalten lassen. Die Ausführenden sind dabei keine professionellen Musiker, sondern Freiwillige der Gemeinden, die das Musizieren auf dem Gamelan von Kindheit an geübt haben. Doch nur die erfahrenen Meister beherrschen die hohe Kunst des instinktiven und kollektiven Improvisierens auf dem Instrument.

Mehr als ein Schlagzeug

Etymologisch leitet sich die Bezeichnung Gamelan vom javanischen gamel ab, was „schlagen“ bedeutet. Gamelan bedeutet also so viel wie Schlaginstrument. Wenn auch in moderneren Zeiten der Begriff Gamelan-Musik Bambus-Xylofone, Flöten und auch Singstimmen miteinschließt, so ist es in der alten Tradition – und so wie man es auch heute noch und vor allem in Bali antrifft – ein Ensemble von Bronze-Schlaginstrumenten, die mit einem Hammer angeschlagen werden

Jedes Gamelan ist einzigartig und persönlich von einem Bronze-Schmied für einen Auftraggeber hergestellt. Es hat einen individuellen und definitiven Klang, wobei alle instrumentalen Teile genauestens auf einander abgestimmt sind. So kann man auch nicht einzelne Teile von verschiedenen Gamelans zu einem neuen Ganzen zusammenfügen, denn das ergäbe keinen harmonischen Zusammenklang. Derselbe Bronze-Schmied sorgt auch für die Wartung der von ihn hergestellten Instrumente.

Und wie in allen Dingen, die in der alten hinduistischen Tradition erschaffen werden, wird auch hier sehr darauf geachtet, dass der „Geist“, welcher der Materie innewohnt, lebendig bleibt. Um ihn nicht zu verletzen, wird daher vor der Erzeugung der Instrumente durch ein Opfer der „Geist“ gebeten, sich zu entfernen. Und wenn dann das Instrument fertiggestellt und gereinigt ist, wird er auf dieselbe Weise ersucht, wieder zurückzukommen, um die Materie wieder zu „beseelen“. Es ist eine Art Taufe. In demselben Geist werden auch die Musiker mit den Instrumenten „verheiratet“, damit das Gamelan damit zu einem lebendigen Ganzen wird. Vielleicht liegt in all dem das Geheimnis, warum dieser Musik eine ganz besondere Ausstrahlung innewohnt.  Dem Gamelan, und besonders dem großen Gong, werden auch Opfer dargebracht, um ihn zu bewegen zu spielen. Diese Opfer werden dann später von den Musikern verspeist in einer Art informeller Kommunion. So wird das Gamelan zu einem lebendigen Ganzen, dem man denselben Respekt schuldig ist wie Menschen, auf das man sich nicht setzen, noch es in Wort oder Tat beleidigen darf.

Die Musik des Gamelans ist eine Musik, die zuerst durch ihre Fremdartigkeit erstaunt und einen dann aber langsam bei längerem Zuhören durch ihre Klangfülle in ihren Bann zieht. Es klingt noch etwas Archaisches in ihrem Getöne an, aber auch eine sehr fein auf einander abgestimmte Harmonik, die einen bald nicht mehr loslässt.

Ohne auf das hinduistische Weltbild, seine Mandala und die Beziehung zum Gamelan im Einzelnen eingehen zu wollen, sei gesagt: Die Musik des Gamelans stellt im klanglichen Raum eine Pyramide dar, in einer gleichen Zeiteinheit spielt also ein Instrument umso mehr Noten als seine Stimmlage hoch ist. Auf dem Gipfel dieser sonoren Pyramide steht der große Gong. Als Himmel, Paradies oder auch Haupt des Gamelans ist seine Stimmlage extrem tief. Seine Resonanz enthält alle anderen Töne. Er ist die Quelle, aus der alles hervorquillt und wohin alles zurückkehrt am Ende eines jeden Zyklus. Denn das Wort gong bedeutet das Öffnen und das Schließen der großen Zyklen. Nur der große Gong verdient diesen Namen. Darunter in der Pyramide befinden sich kleinere Gongs mit anderen Namen, die ihrer Bedeutung entsprechen, und die in einer Art von Glockenspielen zusammengefasst sind. Dann folgen die Trommeln, und schließlich die Klaviaturen der Metallophone.

Die einen sagen, das Gamelan sei ein Orchester, was gewissermaßen auch richtig ist, denn er besteht aus verschiedenen Instrumenten, die zusammenwirken. Andere wieder behaupten, das Gamelan sei ein Instrument, ein Klangkörper, denn ihre einzelnen Teile blieben immer am selben Ort, und die Musiker nehmen sie nicht mit sich nach Hause, wenn sie fertiggespielt haben, wie es bei uns die Orchestermusiker tun.

Gamelan ist Zweckmusik

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Die Musik des Gamelans ist vor allem Zweckmusik. Man geht nicht hin, um als Musikliebhaber ein Gamelan-Konzert zu hören, wie das bei uns der Fall wäre. Diese Musik ist weihevollen Begebenheiten vorbehalten. Sie ist ein unumgänglicher Teil der balinesischen Tanzzeremonien, die heute vielfach als Touristenattraktionen vorgeführt werden, aber sie sind in Wirklichkeit Tempeltänze.

Es ist schwer, unsere westliche Musik mit der des balinesischen Gamelans zu vergleichen. Am ehesten noch könnte man sagen, es ist nicht ein Spiel auf einer Klaviatur zu zwei Händen, sondern auf mehreren Klaviaturen zu dreißig oder mehr Händen. Eine Virtuosität, die nicht durch eine individuelle, sondern durch eine kollektive Koordination bestimmt ist. „Die Balinesen erreichen schwindelerregende tempi, indem sich die Instrumentalisten, miteinander verschachtelt, die melodische Linie teilen, durch eine vielfältige Technik der kontrapunktisch-ornamentalen Trikotage … Die besten Gruppen spielen wie ein einziger Schlegel“, schreibt Catherine Basset in ihrem Buch Musique de Bali à Java.

Doch innerhalb der unteilbaren Globalität eines solchen Gamelan-Ensembles herrscht eine Dualität: gewisse Instrumente bilden männlich-weibliche, andere Mutter-Kind-Paare. Daher sind auch diese Zwillingsmetallofone oder -xylofone, die engverwobene komplementäre Partien spielen, derart gestimmt, dass sie einzeln fast falsch klingen, wenn sie nicht mit ihrem Zwilling gemeinsam spielen. Und doch ist die traditionelle Bronze-Schlagzeugmusik im eigentlichen Sinne nicht polyphon. Die Instrumentengruppen spielen dieselben Noten im Oktaven-Abstand, und entwickeln mehr oder weniger ein Basismotiv. Es handelt sich daher eher um eine Homophonie zu mehreren. Nur findet man diese Tonfolge bei keinem Instrument vollständig: Bei dem einen fehlen Verbindungstöne, bei einem anderen wieder fehlen gewisse Akzente oder Betonungen. Das wird noch dadurch kompliziert, dass einige Klaviaturen eine pentatonische Tonreihe mit gleichwertigen Intervallen darstellen, während andere in sieben Töne mit ungleichen Intervallen eingeteilt sind. Das musikalische Konzertieren ist daher nicht wie bei einem abendländischen Konzert ein Dialog zwischen Solisten und Orchester, sondern eher das indonesische Idealbild der Übereinstimmung. Keine Solisten, sondern kollektives Musizieren, eine gegenseitige Abhängigkeit der Individuen durch ihre Komplementarität.

All das klingt vielleicht etwas trocken und theoretisch, besonders wenn man es nicht gesehen und gehört hat. Vor allen aber, wenn man der dazugehörigen Zeremonie, und vor allem der Tanzzeremonie, in einem Tempel in Bali nicht beigewohnt hat. Erst im Zusammenwirken mit jenen unglaublich graziösen, genauestens von Kindheit an eingeübten Tänzen des Legong Kraton, oder den Episoden aus dem Ramayana erfährt die Musik des Gamelans ihre volle, tiefe Bedeutung.

Auf der Pariser Weltausstellung von 1889 im holländischen Kolonialpavillon hat Claude Debussy zu ersten Mal die balinesische Musik gehört und sie hat ihn so beeindruckt, dass er später darüber schrieb: „Wenn man ohne die Verzerrung des europäischen Gehörs den Charme dieser Schlaginstrumente hört, muss man zugeben, dass die unsrigen dagegen kaum mehr als die primitiven Töne eines Wanderzirkus hervorbringen.“ Diese Faszination hat sich in einer Reihe seiner Klavier-Kompositionen niedergeschlagen, unter anderem in Pagodes, der er die balinesische pentatonische Tonreihe zu Grunde legt.

Alexander Jordis-Lohausen