O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Monika Hoenen

Kammermusik mit Familienanschluss

Seit 1998 gibt es das Festival Spannungen – Kammermusik im Kraftwerk Heimbach. Sein Erfolgsrezept ist der familiäre Rahmen, in dem bekannte Künstler in unbekannten Konstellationen aufeinandertreffen. Einer der diesjährigen Schwerpunkte ist das Schaffen slawischer Komponisten wie Antonín Dvořák, aber auch eine Uraufführung gab es in der einen Woche, die das Festival dauert.

Es war 1996, als sich der in Düren geborene Pianist Lars Vogt mit zwei Vertretern des Dürener Kunstvereins zusammensetzte und von seinem Traum sprach, ein hochkarätiges Kammermusikfestival in seiner Eifler Heimat realisieren zu wollen. Ein gewagter Gedanke, der erstaunlich schnell umgesetzt wurde, als bereits 1998 das Festival „Spannungen – Kammermusik im Kraftwerk Heimbach“ das Licht der Welt erblickte und den Beginn einer bis heute nicht nachlassenden Erfolgsgeschichte markierte. Die Nachfrage nach den begehrten Karten des einwöchigen Fests ist nach wie vor so stürmisch wie in den besten Bayreuther Zeiten.

Drei Säulen erklären den Erfolg. Da ist zum einen die Philosophie von Lars Vogt, der Spitzenmusiker zusammenführt, um spontan Kammermusik aller Art, auch in den exotischsten Besetzungen, aufzuführen. Und das in einer betont familiären Umgebung, so dass viele Musiker mit ihrem ganzen Anhang anreisen und auch den Kontakt zum Publikum suchen. In Pausengesprächen, aber auch durch Probenbesuche und Treffen im Festival-Hotel. Hinzu kommt die malerische Umgebung am Rursee inmitten des Nationalparks Eifel und das 100 Jahre alte, immer noch betriebene Kraftwerk Heimbach mit seinem Jugendstil-Ambiente und seiner vorzüglichen Akustik als Spielstätte. Der Betreiber stellt das Gebäude zur Verfügung und die Pumpen während des Festtreibens ab. Und mindestens genauso wichtig: Der unermüdliche Einsatz der ehrenamtlich wirkenden Mitglieder des Dürener Kunstvereins, die den organisatorischen Aufwand mit Hingabe und wachsender Souveränität bewältigen.

Obwohl die Künstler für ein Taschengeld auftreten, sind doch erhebliche Kosten zu bewältigen, die durch Sponsoren und Eintrittsgelder getragen werden. Der Hörfunk überträgt alle Konzerte und das Plattenlabel CAvi veröffentlicht regelmäßig Mitschnitte aus dem Vorjahr.

Lars Vogt konnte schon im ersten Jahr etwa 20 renommierte Künstler für seine Idee gewinnen. Einige wurden Stammgäste, die immer wieder kommen. So die Geschwister Christian und Tanja Tetzlaff, die Geigerin Antje Weithaas, der Cellist Gustav Rivinius und die Klarinettistin Sharon Kam. Bis zu seinem frühen Tod auch der Cellist Boris Pergamenschikow. Die Liste der Künstler liest sich wie ein Who is who der Musikerelite: Sabine Meyer, Heinrich Schiff, Sarah Chang, Lilya Zilberstein und Klaus Maria Brandauer als Rezitator sind nur wenige Namen aus der langen Liste. Wobei auch alljährlich hochbegabte Nachwuchskräfte als Stipendiaten gefördert werden und mit den Großen der Zunft musizieren dürfen.

Die Künstler kommen gern. Es sind mittlerweile um die 30, die das Fest verkraften kann. Und Vogt, der sich neben seinem Klavierspiel verstärkt im Dirigieren übt, bringt auch gern das Kölner Kammerorchester mit, so dass ab und zu auch größere Orchesterstücke auf dem Programm stehen. In diesem Jahr Dvořáks Cello-Konzert mit Gustav Rivinius und Schumann „Frühlings“-Sinfonie.

Kernprogramm Kammermusik

Foto © Helmut Muellejans

Das Kernprogramm bestimmt natürlich die Kammermusik und das mit großer Leidenschaft, was die Intensität der Interpretationen angeht, aber auch die Suche nach wenig bekannten und vernachlässigten Nischen des Repertoires. Dass nicht jedes Detail angesichts der spontanen Zusammensetzung der Ensembles so geschliffen gelingt wie bei eingespielten Teams, nimmt das Publikum gern in Kauf.

Das allererste Stück, das 1998 im Rahmen der „Spannungen“ erklang, war Antonín Dvořáks schlichtes Terzett für zwei Violinen und Viola. Mit diesem kleinen Gelegenheitswerk eröffnet Vogt auch die Jubiläums-Saison. Und mit Dvořák hat der Künstlerische Leiter zugleich einen der charmantesten und populärsten Komponisten der Romantik zum programmatischen Leitfaden der Woche erkoren. Wobei die groß angelegte Werkschau zeigt, wie viel vom reichen Kammermusikschaffen Dvořáks noch kaum oder nur peripher wahrgenommen wird.

Dass Dvořák als einer der ganz wenigen slawischen Komponisten, der die Kammermusik ebenso intensiv und umfangreich bediente wie Oper und Orchestermusik, alle Gattungen des Genres abdeckte, mag im Fall des Streichsextetts in A-Dur op. 48 im musikalischen Alltag zu Besetzungsschwierigkeiten führen. Dabei handelt es sich um ein Juwel aus der Zeit, als Dvořáks Bekanntheit raketenhaft explodierte. Ein echter Dvořák: melodisch überreich strömend, tänzerisch beschwingt, klanglich warm getönt und von einer ebenso unerschöpflichen wie vitalen Fantasiefülle getragen. Wie auch das spätere Streichquintett Nr. 3 in Es-Dur op. 97.

Trotz des wie immer breit gefächerten Programms setzen diesmal überhaupt slawische Komponisten besonders starke Akzente. Dazu zählen überwiegend eindrucksvolle Interpretationen von Bohuslav Martinůs expressiver 2. Cello-Sonate mit Maximilian Hornung und Herbert Schuch, Béla Bartóks 2. Violinsonate mit Christian Tetzlaff und Lars Vogt sowie Witold Lutoslawskis grandiose Partita für Violine und Klavier mit Anna Reszniak und Lars Vogt. Nicht zu vergessen drei kleinere Werke des „Composers in Residence“ Erkki-Sven Tüür, der auch die Uraufführung seines Klaviertrios Lichttürme beisteuert und eine beeindruckende Visitenkarte der spezifischen, von ruhigen, weiten Klangströmen und -räumen beherrschten und punktuell durch aggressive Störfeuer gebrochenen Tonsprache liefert, mit der die baltische Avantgarde direkt nach der Wende große Resonanz im Westen finden konnte.

Das klassisch-romantische Repertoire aus deutschsprachigen Landen ist diesmal nur knapp vertreten, wenn auch mit gewichtigen Brocken wie Beethovens „Erzherzogs“-Trio oder Gustav Mahlers ursprünglich gigantisch besetzter Erster Symphonie in einer erstaunlich voluminös klingenden Fassung für 15 Spieler. Und einen exotischen Akzent setzt die Saxophonistin Asya Fateyeva, zusammen mit der Geigerin Antje Weithaas, mit Bachs Doppelkonzert BWV 1060 für Oboe, Violine und Streicher.

Vieles hat sich seit 1998 nicht verändert: weder die künstlerische Qualität noch die Treue des Publikums und vieler Künstler, weder die familiäre Atmosphäre noch die originelle Programmzusammenstellung, weder Einführungsvorträge noch die beliebten und erhellenden Probenbesuche. Auch nicht die Jugendprogramme und Fanfaren der Turmbläser der Heimbacher Musikschule. Erst recht nicht die eindrucksvolle Kulisse des unmittelbar am Rursee gelegenen Kraftwerks. Und noch weniger der Einsatz des Kunstfördervereins Düren.

Auffallend ist allerdings der immer stärkere Einfluss der musizierenden Damen. Ganze Abende präsentierten sich wie weibliche Gruppenbilder mit vereinzelten Herren. Beileibe keine nachteilige Entwicklung, wie man dem Schlusskonzert ansehen und -hören konnte. Das war der Zeitpunkt, an dem Wilfried Nachtigall vom Kunstförderverein Düren, der Lars Vogt bereits aus dessen Schülerjahren her kennt, seine offizielle Tätigkeit als immens fleißiger und beliebter Künstlerbetreuer einstellte. In aller Freundschaft und unter donnerndem Applaus.

Pedro Obiera