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Uraufführung nach 127 Jahren

DIE KALEWAINEN IN POCHJOLA
(Karl Müller-Berghaus)

Besuch am
28. Februar 2017
(Premiere)

 

Turku-Musikfestival, Logomo, Turku

Finnland feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Jubiläum der Unabhängigkeit von Russland. Dass dieses Ereignis einen Grund für eine Opern-Uraufführung hergibt, liegt in diesem musikalischen Land auf der Hand.  Die Kalewainen in Pochjola von Karl Müller-Berghaus wurde 1890 komponiert, aber erst am 28. Februar 2017 in Turku, Finnland, als Koproduktion des Turku-Musikfestivals und den Turku-Philharmonikern zum ersten Mal vollständig aufgeführt. Unter der Leitung von Leif Segerstam fand es in den umgestalteten Industriehallen Logomo statt.

Die Oper basiert auf dem Epos Kalevala von Elias Lönnrot, der karelische und finnische Mythen und Folklore 1835 aufschrieb. Der in Deutschland geborene Dirigent und Komponist Karl Müller-Berghaus lebte von 1829 bis 1907. Von 1888 bis 1895 war er Musikdirektor der Musikalischen Gesellschaft von Turku und interessierte sich sehr für das musikalische Folklore-Erbe Finnlands.

POINTS OF HONOR

Musik  
Gesang  
Regie  
Bühne  
Publikum  
Chat-Faktor  

Der junge Stammesführer Ahti und seine Männer reisen nach Pochjola auf Brautschau – er hat von der Schönheit Ismos, der schönen Tochter der Patriarchin Louchi, gehört. Sie gibt Ahti Aufgaben, die er meistern muss, bevor er als Freier betrachtet werden kann. Er scheitert und stirbt. Der nächste ist der alte Weise, Väinämöinen. Louchi befiehlt ihm, einen Sampo – also ein Glücksamulett – zu schmieden, dann kann er die junge Ismo zur Frau haben. Er hat diese Fähigkeit nicht, deshalb ruft er seinen jüngeren Bruder Ilmarinen, einen begnadeten Schmied, zu Hilfe. Ismo verliebt sich auf Anhieb in Ilmarinen und singt Andeutungen, was benötigt wird, um den Sampo zu schmieden.

Mittlerweile spürt Ahtis Mutter Luonnotar, dass ihr Sohn gestorben ist und erscheint auf der Suche nach ihm. Sie fragt Louchi, was passiert sei. Louchi bestreitet jegliches Unrecht und lädt damit Rache auf sich.

Ilmarinen gelingt es, den Sampo zu schmieden, dessen Hauptbestandteil die Liebe ist, und will mit Ismo Hochzeit feiern. Entgegen der Abmachung ergreift die machtgierige Louchi den Sampo für sich und verschwindet mit Ismo. Ilmarinen und seine Männer verfolgen Louchi und finden den Weg in das Tal des Todes, wohin Väinämöinen Luonnotar geführt hat, um ihren toten Sohn Ahti zu finden. Sie betet ihn wieder ins Leben zurück.

Jetzt verbünden sie sich alle gegen Louchi und ihre Leute, suchen nach dem Sampo und Ismo. Ilmarinen hört den Gesang von Ismo, und er findet sie, von ihrer eignen Mutter an einen Felsen gekettet. Die Zauberrunen von Väinämöinen befreien Ismo und bringen den Sieg seines Volkes über Louchi und Pochjola. Der Sampo gehört nun Ilmarinen, und er und Ismo sind im Happy End vereint.

Müller-Berghaus hat die Oper mit einer Länge von etwa dreieinhalb Stunden in vier Akten geschrieben. Es besteht kein Zweifel, dass er ein versierter Komponist ist. Seine Werke umfassen Lieder, Orchesterwerke sowie eine weitere Oper. Es besteht auch kein Zweifel, dass sein Kalewainen in der Tradition der großen deutschen romantischen Opern geschrieben wurde. Die frühen Opern von Richard Wagner und auch von Giacomo Meyerbeer haben Müller-Berghaus sicherlich beeinflusst. Symphonische Passagen für volles Orchester, melodiöse Arien und feurige Ensembles für die Hauptfiguren und dem Chor sind in Kalewainen zu finden.

Warum also wird diese Oper erst jetzt uraufgeführt? Lediglich der zweite Akt wurde 1890 anlässlich eines Galakonzertes zur Feier vom 50. Karrierejubiläum Müller-Berghaus‘ gespielt. Danach wurde die Partitur an mehrere Opernhäuser in Europa geschickt. Nur Hamburg antwortete positiv und wollte es im Jahre 1892 aufführen; eine Cholera-Epidemie verhinderte diese Pläne jedoch. Müller-Berghaus kehrte nach Deutschland zurück, seine Gesundheit verschlechterte sich, die Partitur wurde archiviert und ging „verloren“. Erst vor einigen Jahren wurde sie in der Turku-Stadtbibliothek zufällig wiedergefunden. Seitdem haben sich zahlreiche herausragende Musikwissenschaftler – allen voran Elke Albrecht – mit der Oper befasst. Die Recherchen, sowohl zu dieser Oper als auch zum Leben und Werk Müller-Berghaus’, dauern an. Albrecht ist auch zu verdanken, dass ein hervorragendes, 240-Seiten-starkes, viersprachiges Programmheft mit höchst informativen Beiträgen und dem Libretto entstanden ist.

Für die Produktion im Logomo-Mehrzweckraum wird das Orchester ganz hinten platziert. Bühnendesigner Teppo Järvinen hat 15 mobile Podien unterschiedlicher Höhen geschaffen, die Regisseurin Tiina Puumalainen dann für die Entfaltung der Handlung in verschiedene Landschaften verwandelt. Puumalainen erzählt die Geschichte und verzichtet auf psychologische Deutungen, was in der heutigen regielastigen Theaterlandschaft sehr erfrischend ist. Unterstüzt wird sie von der dramatischen Beleuchtung von Teemu Nurmelin. Der Choreograf Osku Heiskanen belebt die Geschichte mit Ritualbewegungen, die von dem sehr fähigen Chorus Cathedralis Aboensis durchgeführt werden. Pirjo Liiri-Majava entwarf nordische Fantasie-Kostüme für die Solisten, die die Eigenschaften der Figuren unterstreichen – so etwa Ranken und Blumen für das Mädchen Ismo oder einen roten Samtmantel für ihre machthungrige Mutter Louchi.

In einem Multifunktionssaal wie Logomo ist Klangverstärkung eine Notwendigkeit. Hier leisten die Techniker ganze Arbeit und gleichen Orchester, Solisten und Chor fein aus.

Das gesamte Produktionsteam und die Sänger stammen aus Finnland, was von der großen musikalischen und künstlerischen Tradition dieses Landes zeugt. Das auf Deutsch geschriebene Libretto von F. W. O. Spengler wird mit außergewöhnlicher Klarheit der Diktion von den Sängern dargebracht. Das Casting der Rollen könnte als stereotypisch kritisiert werden, aber das homogene Resultat spricht für die Entscheidungen, tragen sie doch zum Verständnis des Stückes bei.

Tommi Hakala in der Rolle von Ilmarinen glänzt als heroischer Bariton. Der klare und schöne Sopran von Kaisa Ranta als seine Liebe Ismo ist eine perfekte Ergänzung. Ihre verspielten Koloraturen in einer ersten Szene mit ihrer Mutter sind hinreißend. Als machthungrige Louchi – sie könnte eine Schwester der Königin der Nacht sein – hat die dramatische Sopranistin Johanna Rusanen-Kartano die Möglichkeit, den großen Umfang ihrer Stimme zu zeigen. Der melodische Bass von Petri Lindroos als der Weise Väinämöinen steht ganz im Einklang mit seinem Charakter. Anna Danik, die vor kurzem einen Fachwechsel vom dramatischen Sopran zum Mezzo absolviert hat, verkörpert die trauernde Mutter mit der Schönheit ihres Timbres. Tenor Christian Juslin bringt der Rolle des Achti einen jugendlichen Glanz. Petter Andersson ist ein charmanter kleiner Zauberer, immer im Schatten von Louchi.

Es ist das Bestreben des Dirigenten Leif Segerstam gewesen, dass dieses Werk als Geschenk von ihm und dem Turku Philharmonic Orchestra für die nationalen Feierlichkeiten gewählt wurde, und er stand als Motor hinter der musikalischen Wiederentdeckung dieser monumentalen Oper. Gemeinsam mit dem hervorragend agierenden Orchester, den Solisten und dem Chor verdient Segerstam den enthusiastischen Applaus des Publikums in der ausverkauften Halle und einer – selten gegebenen – standing ovation. Es ist zu hoffen, dass diese Arbeit nicht wieder in Vergessenheit gerät.

Die Kalewainen in Pochjola wird am 4. März um 18 Uhr deutscher Zeit im Internet live gesendet.

Zenaida des Aubris