O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Prinzessin im Bienenstaat

TURANDOT
(Giacomo Puccini)

Besuch am
18. Juni 2023
(Premiere)

 

Opernhaus Zürich

Das fernöstliche China ist bei Regisseur Sebastian Baumgarten nicht nur weit weg, sondern inexistent. Statt sattem Pomp zu Kaiserzeiten verlegt das Enfant terrible die Handlung in einen Bienenstaat, was sich aufgrund seiner überspitzten Anlehnungen erst im Verlauf der Handlung erschließt. Wer Zeit findet, Baumgartens Ausführungen im Programmheft zu studieren, erfährt, dass ihn die Entstehungszeit der Oper Mitte der 20-er Jahre interessiert hat. Laut Regisseur eine Epoche des Irrationalismus, was auch ein Kippen ins Surrealistische ermöglichte. Während Baumgarten den Kompositionsstil Puccinis eher „rückwärtsgewandt“ empfindet, der patriarchalen Mustern folgt, ist Dirigent Marc Albrecht überzeugt, dass Turandot beim Publikum wegen der Arie Nessun dorma so beliebt sei. Letzteres dürfte sich jetzt ändern.

Wer die Arbeiten von Baumgarten kennt, müsste im Bilde sein, was da alles auf ihn zukommt, zurollt und auch mal in einer Videoeinspielung wild blinkt. Seine Lesarten sind oft von Symbolen überlagert, und der Regisseur verliert sich selbstverliebt in Details, die mit dem ursprünglichen Werk rein gar nichts zu tun haben. Wenn Baumgarten Oper inszeniert, dann geht es vor allem um Baumgarten selbst. Im ersten Akt seiner Turandot werden gleich mehrere Andeutungen auf die Geschichte einer hasserfüllten Prinzessin hergestellt, die ihre Anwärter köpfen lässt, weil sie ihr zu nah kommen. Hier ist gut zu wissen, dass die Dame tief traumatisiert ist. Die Gefahr besteht aktuell auch beim einen oder anderen Opernbesucher. In der Pause fragt ein Mann seine Begleitung in breitem Züritüütsch: „Chunsch du drus?“ Und sie antwortet prompt: „Nei, ich chume nit drus.“ Im deutschen Wortlaut, man versteht das Gezeigte nicht und man sei ja hier wegen der berühmten Künstle.

Das Bühnenbild von Thilo Reuther lässt eine Kriegssituation erahnen, denn im Fond der Spielfläche erblickt man einen Soldaten mit Gewehr. Auf einer weißen Fläche sind Strichmarkierungen zu erkennen, die die Zahl zwölf ergeben, wahrscheinlich sind das die Köpfe der unseligen Prinzen, die das Rätsel nicht lösen konnten. Die Untertanen der bösen Prinzessin sind als Pfadfinder verkleidet, und ein Herr fragt, ob es sich bei den Farben um Gelb und Schwarz oder um Gelb und Blau handelte. Letztere Kombination ließe auf die Ukraine schließen. Beim ersten Auftritt der Prinzessin, die aus einer unerwartet realistischen Wabe lugt, ist der Fall klar: Die Pfadfinder sind Drohnen und die Prinzen Begatter, die nach getaner Arbeit den Tod finden. Warum sich Kostümbildnerin Christina Schmitt für den Eindringling Calàf und seine Entourage blaue Superhelden-Kostüme ausgedacht hat, erschließt sich nicht wirklich. Tenor Piotr Beczała meinte einmal in einem Interview, er würde allzu verrückte Lesarten meiden.

Baumgartens Bilderwelten erstrecken sich gerne weiter ins Comichafte. Ein selbstständiges Händchen erledigt wie einst bei der Addams Family kleine Dienste, ein Mandarin im Baströckchen schwebt mit übergroßem Luftballon vom Schnürboden, und auch sonst tummeln sich undefinierbare Wesen im Umfeld der Prinzessin. Turandots Untergebene Ping, Pang und Pong beraten sich in einem Zelt aus Zündhölzern. Für die Regie scheint eine authentische Personenführung vernachlässigbar, der Fokus liegt weit mehr auf den Objekten, die Baumgartens blühender Fantasie entsprungen sind. Turandots Trutzburg ist eine Mischung aus Rakete und Raumkapsel, und wenn sie dort oben thront, gibt es gefährliche Kollisionsprobleme mit ihrem drahtigen Kopfschmuck und der Abdeckung des metallenen Sputniks. Der Premierenplatz in der ersten Kategorie kostet 320 Franken.

Die Protagonisten stehen während der rund zwei Stunden Spielzeit viel herum, der Chor darf auch mal winken oder lustvoll herumhüpfen, wenn es denn gerade passt. Zürich zeigt die unvollendete Fassung von 1924, wie sie auch 1926 bei der Uraufführung von Arturo Toscanini an der Scala dirigiert wurde. Der Komponist war zwei Jahre zuvor in Brüssel seiner Kehlkopferkrankung erlegen. Auch diese letzten Notizen zu Puccinis Tod finden bei Baumgarten Einlass in die Inszenierung. Die Oper wird in der Regel mit dem Schluss von Puccinis Zeitgenossen Franco Alfano gezeigt, der sie nach Skizzen und Aufzeichnungen des Meisters vollendete. Jetzt liegt sogar eine Einspielung von Antonio Pappano vor, die das ganze Alfano-Finale beinhaltet. In Zürich mag manch einer froh sein, dass dieser Regie-Spuk ohne jegliche Emotionen frühzeitig endet.

Die Premiere in Zürich ist ein Abend der Debüts. Sondra Radvanovsky, die auch auf dem Pappano-Album die Prinzessin singt, ist erstmals Turandot auf einer Bühne, ebenso Piotr Beczała als Prinz Calàf und Rosa Feola als Liù. Radvanovsky ist mit ihrem schroffen Sopran die Idealbesetzung und überzeugt auch darstellerisch, obschon sie ihren Prinzessinnenkopf mit der Stachelkrone ruckartig wie ein Roboter bewegen muss. Schattierungen braucht es für die Partie der Männermörderin kaum, und die Sängerin legt ein Extrascheit Gift aufs Feuer. Für Tenor Beczała, der mit Maske wie Batmans Sidekick Robin wirkt, wird die Killerpartie des Calàf zur Zitterpartie, denn kurz vor Nessun Dorma versagt seine Stimme, und der letzte Höhenflug für „Vincerò“ ist dann prompt einen Tick zu gepresst. Offenbar leidet der Sänger an einer Infektion. Für Sopranistin Rosa Feola ist die Rolle der Liù ein schöner Einstieg ins Verismo-Fach. Dass ihr Tu che di gel sei cinta am Schluss dennoch seltsam unberührt lässt, liegt wohl am bunten Brimborium, dass besser in eine Kita passte.

Marc Albrecht legt am Pult der Philharmonia Zürich ein beachtliches Tempo vor, und er geizt auch nicht mit Lautstärke. Der Orchesterapparat wirkt dadurch öfter mal übersteuert, und die vielfältigen und sehr ausdifferenzierten Klangschichten in der Partitur verlieren an Transparenz und Glanz. Dasselbe gilt für den Chor unter Janko Kastelic, der das Dauerforte mit reichlich Impetus bedient und mit dieser geballten Kraft die akustische Kapazität des mittelgroßen Hauses wiederholt sprengt. Der Schlussapplaus für das Ensemble wie den Dirigenten ist beachtlich, Sebastian Baumgarten und sein Team müssen sich ein paar Buhrufe gefallen lassen. Ob Turandot und Calàf am Ende tatsächlich zusammenkommen, steht in den Sternen. Eine Sternstunde der Oper ist dieser doch recht infantile Streich mitnichten. Bleibt zu hoffen, dass die letzte Produktion von Regisseur Giancarlo Del Monaco noch nicht entsorgt wurde vom Opernhaus Zürich. Schließlich ist Nachhaltigkeit Trumpf.

Peter Wäch