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Ein verwinkeltes Patrizierhaus, hohe Türen und dunkle Flure, in denen man sich verlieren kann. Andreas Homoki, Hausherr im Opernhaus Zürich, wählt für seine Regiearbeit von Verdis 1857 uraufgeführter Oper Simon Boccanegra einfache Stilmittel, um den Dreiakter mit Prolog in Fahrt zu bringen. Eine Drehbühne erweist sich als probat, die komplexe Handlung des Dogen-Dramas aus dem 14. Jahrhundert aufzuschlüsseln. Erinnerungen werden wach an Christof Loys Lesart von Bellinis Oper Capuleti e i Montecchi, die er für dasselbe Haus konzipiert hat und die ebenfalls mit visualisierten Rückblenden punktete.
Foto © Monika Rittershaus
Homoki zielt für die Geschichte des Plebejers, der unfreiwillig Doge von Venedig wird und 25 Jahre später vom Rivalen Paolo mit Arsen vergiftet wird, auf die politisch aufgeladene Epoche vor 100 Jahren. Das schlägt sich auch in der ästhetischen Architektur und Mode der 20-er Jahre nieder. Hier darf man nicht vergessen, dass ein gewisser Sinn für das Schöne nicht unwichtig ist bei Opern, die kurz vor Weihnachten starten. Wer sich in dieser Zeit an überladene Regiekonzepte wagt, vergrault sein Publikum. In Zeiten von Corona mit Livestream auf Arte und ohne Folgevorstellungen im Haus, gilt das auch für ein Fernsehpublikum, das bewusst einschaltet, um ein wenig abzuschalten.
Die Inszenierung von Homoki mit der stilsicheren Ausstattung von Christian Schmidt und den sinistren Licht- und Schatten-Spielen von Franck Evin überzeugt vor allem auch bei der Figurenzeichnung. Die Regie leuchtet tief in die seelische Zerrissenheit der fünf Protagonisten. Dem Regisseur gelingt mit der charakterlichen Feinzeichnung seiner Helden und Antihelden eine authentische Momentaufnahme inmitten in einer polarisierten Gesellschaft.
Die Lesart von Homoki hat einen ausgesprochen filmischen Drive, der jegliches Rampen-Singen im Keim erstickt. Zürich spielt die zweite Fassung von Simon Boccanegra aus dem Jahr 1881, die damals in Zusammenarbeit mit Multitalent Arrigo Boito zustande kam. Es ist ein Verdi, der bereits deutlich unter dem Einfluss von Richard Wagner steht und sich mit seinen deklamatorischen Stellen und Rezitativen bestens für eine cineastisch geprägte Anschauung eignet, in der die Matadore nicht nur schön singen, sondern auch echt leiden.
Mit dem Drehen der Bühne gewährt Homoki immer wieder panoptische Einblicke ins Labyrinth, in dem Krieg, Liebe und Verrat dominieren. Manchmal sind es Bilder aus der Vergangenheit, die kurz als poetischer Reigen aufblitzen. Dann schwenkt der Fokus wieder in die Gegenwart und präsentiert einen Parlamentsraum, in dem düstere Pläne ausgeheckt werden und der kurze Zeit später revolutionsbedingt in Trümmern liegt.
Für Christian Gerhaher erfüllt sich mit der Titelpartie des Simon ein Wunsch. Die Rolle stand zuoberst auf der Liste des Künstlers, der sich einen Namen als gefragter Konzert- und Liedsänger gemacht hat. Dem Bariton gelingt ein eindrucksvolles Debüt, sowohl gesanglich als auch im nuancierten Spiel. Im selben Maß, wie er seinen wandelbaren Bariton einsetzt, unaufgeregt, geschmeidig und mit imposanten Ausbrüchen im Forte, nähert er sich dem sensiblen Wesen eines geradlinigen Herrschers, der von inneren Gefühlsstürmen geplagt ist.
Foto © Monika Rittershaus
Sopranistin Jennifer Rowley, im Rollen- und Haus-Debüt in Zürich, ist Boccanegras verschollene und dann unerwartet aufgetauchte Tochter Amelia. Ein dunkel schimmerndes Timbre köchelt in ihren vibrierenden Tiefen, während sie die Höhen mit der Klarheit eines Bergsees pariert. Manchmal überdreht Rowley einen Tick zu sehr ins Kühle und wirkt dadurch leicht spitz, doch das mag viel mehr am nahezu leeren Zuschauerraum liegen, der die Töne aller Interpreten etwas hohl und blechern aufnimmt und wieder zurückwirft.
Christof Fischesser ist Amelias Vater und Simons anfänglicher Widersacher Jacopo Fiesco. Sein sonorer Bass ist durchwoben von wabernder Wärme und patriarchaler Grandezza. Im gleichen Zug geht er dieses Debüt einer Figur an, die erst Feind und dann Freund ist. In derselben Liga bewegt sich Nicholas Brownlee, der mit funkelndem Bernstein in seinem markanten Bass und schauspielerischem Können den Fiesling Paolo Albiani verkörpert. Mit edel geformten Kantilenen und wendigen Legati stellt sich Tenor Otar Jorjikia als Amelias Geliebter Gabriele Adorno in den Reigen der Spitzentöne und macht den Abend zu einem Sängerfest. Der Chor unter Janko Kastelic ist vom Feinsten und Tonmeister Oleg Surgutschow, der für die Live-Übertragung zuständig ist, macht einen 1A-Job.
Fabio Luisi ist der Mann am Pult, der mit dem Dirigat dieses überarbeiteten Verdi seinen Abschied vom Opernhaus Zürich gibt. Das ist ihm nicht vor Ort vergönnt, sondern einen Kilometer entfernt im Probesaal und mit Glasfaser in die Stätte gebeamt. Luisi stellt sein großes Können und im Besonderen sein leidenschaftliches Faible für die italienische Oper erneut unter Beweis. Die Philharmonia Zürich entfacht unter seiner musikalischen Leitung einen feingliedrigen wie fulminanten Verdi, der die Pianissimi lustvoll auskostet und die furiosen Crescendi in den Ensembles zum Glühen bringt.
Der Schlussapplaus der wenigen Anwesenden an diesem denkwürdigen Abend ist nachhaltig und mit zahlreichen Bravo-Rufen angereichert.
Peter Wäch