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Begeisterung für die Erstaufführung

LA RONDINE
(Giacomo Puccini)

Besuch am
17. September 2023
(Premiere)

 

Opernhaus Zürich

Finalmente! Giacomo Puccinis La rondine, die Schwalbe, ist in Zürich gelandet. Nach 105 Jahren kommt das Juwel am Opernhaus zur Schweizer Erstaufführung und begeistert. Christof Loy inszeniert das Werk, das zwischen Operette und Oper oszilliert, mit feiner Hand, Marco Armiliato am Pult dirigiert mit wohltemperierter Leidenschaft. Die Solisten Ermonela Jaho und Benjamin Bernheim machen den Abend zum Fest. Giacomo Puccini war der letzte innovative Opernkomponist, der ein Massenpublikum erreichte. Das sagt Andreas Homoki, Intendant am Opernhaus Zürich, völlig zu Recht. So gesehen erstaunt es schon mal, dass sein für Wien geplanter Dreiakter La rondine erst jetzt den Weg in die Schweiz gefunden hat. Es war mitunter den damaligen Kriegswirren geschuldet, dass die Oper dann nicht in der Hauptstadt Österreichs uraufgeführt wurde, sondern 1917 an der Opéra de Monte Carlo. Das Publikum damals hatte Mühe mit der Partitur, denn wer Puccini liebte, war es gewohnt, dass es kracht aus dem Graben und die Sänger zu Höchstleistungen getrimmt werden. In Zürich ist das ganz anders, die Premierenzuschauer sind aus dem Häuschen, sie rezipieren Giacomos geliebtes „Stiefkind“ mit frenetischem Applaus.

Das Opernhaus Zürich hat für den ersten Schweizer Auftritt von La rondine den roten Teppich ausgelegt. Regisseur Christof Loy, der dem Haus das Werk vorgeschlagen hat, ist bekannt für seine akribische Umsetzung, bei der jede Geste zum gespielten Ton passt. Der Regisseur ist kein Enfant terrible wie sein Kollege Sebastian Baumgarten, der zum letzten Saisonende in Zürich Puccinis Turandot szenisch versenkte. Loy geht mit äußerster Präzision vor wie ein Schweizer Uhrmacher. Die einfache Geschichte der Oper wird auch durch seine ausführliche Lesart zum Hochgenuss. Das Bühnenbild von Étienne Pluss entführt in die Pariser Bourgeoisie und bleibt trotz der Anlehnungen an die Belle Époque geschickt zeitlos. Das gilt auch für die edlen Roben von Kostümbildnerin Barbara Drosihn. Besonders raffiniert ist das Licht von Fabrice Kébour, wenn im dritten Akt eine Veranda an der Riviera so ausgeleuchtet wird, dass man dahinter förmlich das Meer riechen kann.

Magda träumt sich in La rondine in eine Welt, die sie nie erlebt hat. Es geht um verpasstes Glück, die wahrhaftige Liebe, die große Leidenschaft. Mit Ruggero erfüllen sich ihre Sehnsüchte, und sie entflieht aus dem goldenen Käfig mit ihrem Rambaldo, mehr Zuhälter als Partner. Doch die Vergangenheit holt sie ähnlich ein wie Violetta in Verdis La Traviata. Es wird am Ende aber nicht eine tödliche Krankheit sein, die sie aus der innigen Zweisamkeit reißt, sondern die Unvereinbarkeit zweier unterschiedlicher Lebensentwürfe. Puccini changiert mit seiner sehnsüchtigen Musik subtil zwischen filigranen Walzerklängen, hinreißenden Arien und Duetten sowie großer Oper mit der ganzen Wucht an Dramatik aus dem Orchestergraben.

Wer in Zürich dieser denkwürdigen Premiere beiwohnt, erlebt auch einen historischen Moment. Es ist, als ob der Maestro aus Lucca eine neue Oper geschrieben habe, die in unsere Zeit passt. Wer kennt sie nicht, die versäumte Liebe, die ungenutzte Chance, all die Dinge, die man nachholen möchte. Sopranistin Ermonela Jaho, die die Partie der Magda unbedingt singen will, ist bekannt für ihre atemberaubende Bühnenpräsenz. Bereits bei der ersten großen Arie von Magda rührt sie die Zuschauer mit ihren leisen Spitzentönen zu Tränen, auch im Forte brilliert Jaho mit enormer Spannkraft und Flexibilität. Ihr zur Seite steht Tenor Benjamin Bernheim als Ruggero im Rollendebüt, der wie Jonas Kaufmann seine Karriere in Zürich startete und jetzt mit ebenso samtener Strahlkraft in der Stimme die Welt erobert.

Wie in Puccinis La Bohème, die im zweiten Akt musikalisch aufblitzt, hat auch La rondine ein zweites Liebespaar. Sandra Hamaoui ist Magdas Dienstmädchen Lisette, die dem Dichter Prunier, gespielt von Juan Francisco Gatell, den Kopf verdreht. Der verspielte und glockenhelle Sopran von Hamaoui passt ausgezeichnet zum timbrierten, lyrischen Tenor von Gatell. Vladimir Stoyanov ist Rambaldo, sein dunkler Bariton unterstreicht die Strenge dieses Charakters, der die Liebe lieber bezahlt, als sich auf sie einzulassen. Der Chor der Oper Zürich unter Ernst Raffelsberger hat im zweiten Akt einen prominenten Auftritt, wenn es zum betörenden Schlussbouquet mit den Solisten kommt. Die Darbietung hat Weltklasse, das Publikum applaudiert und jubelt mehrere Minuten.

Wenn jemand Verismo liebt und kann, dann ist es Marco Armiliato. Der Italiener ist die personifizierte Passion. Wenn er Puccinis Tosca dirigiert, zucken die Blitze aus dem Orchestergraben. Doch Armiliato beweist wie Loy eine feine Hand für die hingetupfte und sehr präzise Partitur des Meisters mit dem dazu passenden Libretto von Giuseppe Adami. Sein Dirigat der Philharmonia Zürich ist wohltuend differenziert und bringt die vielen filigranen Stellen behutsam zum Blühen. Gleichwohl versteht es Armiliato geschickt, den Klangkörper kontrolliert aufzubauschen, so dass Puccinis Wogen der Emotionen nie kitschig klingen. 1917 hatte La rondine einen schlechten Start in Monte Carlo, jetzt, in Zürich, dürfte es der Auftakt zu einem längst fälligen Dauerflug sein. Das Werk steht auch in Mailand und in Turin auf dem Spielplan.

Peter Wäch