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Wenn Frauen durchschauen

L’ITALIANA IN ALGERI
(Gioachino Rossini)

Besuch am
6. März 2022
(Premiere)

 

Opernhaus Zürich

Oper kann nicht nur brandaktuell sein, wie das nun leider aufgrund der Kriegswirren in der Ukraine abgesetzte Tschaikowski-Opus Mazeppa in Biel, sie kann die Besucher auch aus dem Alltag holen und die Sorgen vertreiben. Das gelingt aktuell dem Opernhaus Zürich mit dem Rossini-Spass L’italiana in Algeri, in dem nicht nur die hyperagile Mezzosopranistin Cecilia Bartoli zu Hochtouren aufläuft, sondern mit ihr gleich das gesamte Ensemble, das in bester Manier unterhält. Mächtig Feuer macht der Bande auf der Bühne Gianluca Capuano mit dem Orchestra La Scintilla.

Es ist ein Spiel um die männlichen Triebe, in dem am Schluss die Liebe siegt. Die Herren im Stück verdanken das der Umsicht und dem Trickreichtum einer starken Frau, die von Anfang an den Durchblick hat. Gioachino Rossini schrieb seine Opera buffa L’italiana in Algeri im zarten Alter von 21 Jahren und landete mit diesem Zweiakter mit Libretto von Angelo Anelli, der 1813 in Venedig uraufgeführt wurde, einen Hit. Rossinis typische Crescendo-Walzen, die harmonische Ausgewogenheit oder flinken Sillabati sowie sein musikalisches Gespür für Situationskomik kommen in dem rund dreistündigen Werk voll zum Tragen. Für den passenden Drive sorgt das Regieteam Moshe Leiser und Patrice Caurier, die in bester Sitcom-Tradition süffige Gags am laufenden Band liefern.

Die Oper spielt im Norden Afrikas und die Figuren sind überzeichnet, wie es sich für eine komische Oper gehört. Leiser und Caurier bedienen die jeweiligen Klischees mit viel Augenzwinkern und ebenso großer Sympathie für die Protagonisten. Mustafà ist ein Schmugglerkönig, und wenn er abends den Schlaf sucht, mag er von den Avancen seiner Frau Elvira nichts wissen. Dafür werden die Kamele auf seinem Bild über dem Bett dank der Animationstechnik von Étienne Guiol umso wacher. Am liebsten würde der Patriarch seine Gattin in die Wüste schicken und dafür eine feurige Italienerin an Land ziehen. Der Zufall will es, dass die schöne Isabella vor der Küste Algeriens strandet. Was dann an Verwicklungen folgt, kennt man in der Schweiz bestens aus den Schwänken mit Jörg Schneider, dessen Erbe Erich Vock heißt.

Zeitlich ist die spritzige Posse im 21. Jahrhundert angekommen, der Kaftan weicht mehrheitlich dem Jogginganzug, auf den Balkonen einer Weinstraße reihen sich die Satellitenschüsseln und Isabellas Beau Lindoro hat Rastazöpfe. Die Produktion lief 2018 in Salzburg, schon damals saß Cecilia Bartoli mit Cowgirl-Stetson fest im Sattel eines Wüstentiers, das ordentlich Gas abgibt. Die Hauptdarstellerin macht den Herren der Schöpfung ebenso Dampf unter dem Hintern, wenn auch nur sinnbildlich. Bereits auf dem Souk gibt sie den Tarif durch und versteht es gekonnt, ihre Reize in Szene zu setzen. Der Hase läuft in Algerien nämlich keinen Deut besser als in Bella Italia. Männer sind eitel und triebgesteuert.

Mustafà bleibt am Ende bei seiner treuen Elvira, denn er wird von Isabellas Gefolgschaft nach allen Regeln der Kunst aufs Pappataci-Glatteis geführt. Die Moral von der Geschichte: Wenn ältere Männer junge Frauen begehren, wünschen sie sich oft vielmehr die eigene Jugend zurück als ein Weib mit dem Temperament eines ganzen Bataillons. Die Regie mit dem lebendigen Bühnenbild von Christian Fenouillat und den farbenfrohen Kostümen von Agostino Cavalca wird nicht müde, die irre Chose auf Trab zu halten. Das zeigt sich besonders deutlich in einer Szene, wenn die biederen Stühle in Mustafàs Residenz zu Autoscootern mutieren, die Protagonisten damit völlig losgelöst über die Bühne fegen und dazu singen. Seine Schmugglergesellen beobachten das Geschehen im Schneidersitz mit Shisha und stoßen den Rauch zum Accelerando im Takt aus, bis es ihnen zu kunterbunt wird.

Bartoli findet sich mit der funkensprühenden Isabella in einer weiteren Paraderolle wieder. Und welcher Opernfan denkt bei einer Italienerin nicht an das Energiebündel aus Rom? Mit ihrem Elan und wachen Wesen wirkt die Mittfünfzigerin zumindest aus der Ferne wie knappe 35. Die Koloraturen purzeln aus der Mezzosopranistin heraus wie das Wasser aus der Fontana di Trevi, die im Hintergrund in einer Filmsequenz aus La Dolce Vita mit Anita Ekberg zu sehen ist. Beeindruckend sind nicht nur Bartolis anhaltender Schnauf, sondern auch ihre dunkel gefärbten Mittel- und Tieflagen.

Stürme der Begeisterung zieht Lawrence Brownlee mit seinem eleganten, wendigen wie höhensicheren Tenor auf sich. Als etwas zerstreuter Lindoro beweist der gefragte Belcantist auch eine gütliche Portion Humor. Ildar Abdrazakov ist der verliebte Gockel Mustafà und ein Bey mit Bierbauch der tragisch-komischen Gestalt. Sein Bass ist kellertief und brummelt bis in die hintersten Ränge. Nicola Alaimo hat als Taddeo nicht viel lachen in seinem rosafarbenen Trainingsanzug in der Kaimakan-Gang. Die Lacher vom Publikum sind ihm als Spaghetti essender Nimmersatt dafür gewiss, ebenso der Applaus für seinen satten Bariton. Auch die weiteren Nebenrollen, darunter die Sopranistin Rebeca Olvera als Elvira, fügen sich bestens ins quirlige Gefüge. Der Männerchor, mal im Bauchtanzkostüm oder mal als hungrige Azzurri präsent, strotz unter der Leitung von Ernst Raffelsberger mit Stimmvolumen.

Gianluca Capuano serviert am Pult des Orchestra La Scintilla, das auf historischen Instrumenten spielt, einen überaus spritzigen und luziden Klangkörper, der die Spannkraft während der ganzen Spieldauer locker aufrechterhält und die vielen Tempiwechsel mit Bravour meistert. In den Soli wie Ensembles bleibt Capuanos Dirigat fein und zurückhaltend, um dann mit langsamen Steigerungen bis zum rasenden Finale tüchtig aufzudrehen.

Das Premierenpublikum ist beim Schlussapplaus ebenso aus dem Häuschen wie das Tollhaus auf der Bühne und feiert den rasanten Trip nach Algerien mit standing ovations.

Peter Wäch