O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Catwalk der Eitelkeiten

L’INCORONAZIONE DI POPPEA
(Claudio Monteverdi)

Besuch am
17. September 2021
(Premiere am 24. Juni 2018)

 

Opernhaus Zürich

Die Sopranistin Julie Fuchs hat einen witzigen Clip gemacht für Social Media, der ihren Auftritt als Monteverdis Poppea in Zürich ankündigt. Man merkt ihr die Freude deutlich an, wieder vor großem Publikum singen zu dürfen. Kurz bevor die schillernde Show von Calixto Bieito beginnt, wird man allerdings gewahr, dass viele Plätze im Parkett, im hinteren Teil der Bühne, wo auch Zuschauer sitzen, sowie in den oberen Rängen leer bleiben. Und es ist Freitagabend! Liegt‘s am frühbarocken Werk, dass um 1642/43 in Venedig uraufgeführt wurde oder an den Eintrittsbedingungen, die das Covid-Zertifikat regelt?

Die einmal mehr exzessive wie zugespitzte Produktion des spanischen Regisseurs wurde zurecht gelobt, als sie 2018 erstmals über den Zürcher Bühnenboden fegte und das Publikum elektrisierte. Bieito gelingt eine durchwegs spannungsgeladene wie tiefsinnige Umsetzung von Monteverdis letztem Opus. Blut, Gewalt und Tränen und dazu die betörende Musik nach der Dichtung von Giovanni Francesco Busenello, man könnte sich nicht besser, erst recht in Krisenzeiten, für eine Weile aus dem Alltag katapultieren.

Die Besetzung lässt sich, wie schon bei der Erstaufführung sehen und hören. Einige Rollen sind gleich besetzt, darunter Julie Fuchs und David Hansen als skrupelloses Monarchenpärchen, das die Regentschaft mindestens genau so liebt wie das erotische Schaumbad, das in Zeitlupe und Dauerschleife eingeblendet wird. Der vordere Teil des Zuschauersaals wurde in eine Videolandschaft mit diversen Screens an den Seiten und einer großen Leinwand am Bühnenende verwandelt. Die Einspielungen kommen teils aus der Konserve, teils werden sie live mit Kameras hochgebeamt. Ähnlich einem Spiegelsaal, der die Selbstverliebtheit einer Smartphone-Generation karikiert, werden auf diese Weise mehrere Ebenen gleichzeitig bedient. Eine Ego-Installation der Superlative und das Auge tanzt begeistert mit.

Das Orchester spielt in der Mitte einer vorgeschobenen Bühne und wird umrandet von einem Laufsteg in Ellipsenform. Mit diesem Catwalk der Eitelkeiten bietet Bieito seinen Protagonisten das ideale Feld für einen Krieg um Macht und Einfluss, der viele Parallelen aufweist zur heutigen politischen Lage rund um die Pandemie. Im Disput zwischen Nero und seinem Lehrer Seneca tritt das besonders klar zum Vorschein. Unvernünftige Befehle untergraben den Gehorsam, weiß Seneca und fährt trotz massiven Widerstands seines Gebieters Nero unbeirrt weiter, wenn er sagt, Je stummer du sie machst, desto mehr reden sie. Der Philosoph bleibt trotz der Zornesröte Neros stoisch: Dem Mächtigen mangelt es nie an Gründen. Es wird ihm, dem unbequemen Querdenker, den Kopf kosten.

Der schwärmerische Bildersturm von Bieito mit dem stringenten Bühnenbild von Rebecca Ringst und den zeitgenössischen Kostümen von Ingo Krügler ist nichts für zarte Seelen. Die durchwegs packende, wie konzise Anschauung deckt den Missbrauch von Macht und den Zerfall einer Gesellschaft schonungslos und mit brachialer Authentizität auf. Die blitzblanken Lichteffekte von Franck Evin und das präzise Video-Design von Sarah Derendinger machen diese unkonventionelle Poppea zu einem hochspannenden Thriller im Breitbild- wie Mehrwinkel-Format.

Neben der schieren Bildgewalt bietet die Wiederaufnahme auch Ohrenschmaus vom Feinsten und das bis in die kleinste Rolle dieses personenintensiven Spektakels. Julie Fuchs gefällt sich sichtbar gut in der Rolle der kapriziösen Kaiser-Gattin in spe, ihr Sopran funkelt hell und hat Kraft, die Mittellage ist mit feinen Farben durchwoben. David Hansen hat mit seinem Countertenor keine Mühe dagegenzuhalten, seine Stimme ist markant und vielschichtig. Der Sänger verfügt über ein dunkles Mezzo-Timbre und wirkt in der Höhe nie angestrengt. Doch wehe, wenn er als Nero losgelassen, dann lehrt er seine Untergebenen das Fürchten.

Emily d’Angelo ist Ottavia und lässt mit ihrem gutturalen Mezzosopran keinen kalt. Es knistert und glüht, dass sich einem die Nackenhaare aufrichten. Sopranistin Deanna Breiwick beeindruckt als Drusilla mit lichten Höhen und klarer Linienführung. Die Künstlerin überzeugt außerdem mit nuanciertem Spiel, das in Mark und Bein geht. Miklós Sebestyén Verkörperung des Seneca hat Grandezza, sein höhlengrottentiefer Bass hallt majestätisch durch den Raum. Delphine Galou hat die Hosen an als Ottone, ihr Contralto ist in einem Maß männlich, dass man zweimal hinschauen muss, ob hier nicht doch ein Kerl den Ton angibt.

Ottavio Dantone am Pult führt das Orchestra La Scintilla rhythmisch schwungvoll und ohne glamouröses Aufbauschen durch dieses Dramma in musica. Seine barocke Gestaltung ist erfrischend unprätentiös, die gleichsam farben- wie facettenreich sprüht.

Die hohe und ebenso ausgewogene Virtuosität an diesem Abend wird mit kräftigem Applaus und Bravorufen bedacht. Und das, obschon das Haus nur zu zwei Dritteln ausgelastet ist.

Peter Wäch