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Bunte Erzählungen

LES CONTES D’HOFFMANN
(Jacques Offenbach)

Gesehen am
11. April 2021
(Premiere/Live-Stream)

 

Opernhaus Zürich

Wohl kaum eine Oper bringt es auf mehr gespielte Fassungen als Hoffmanns Erzählungen. Da der Komponist Jacques Offenbach über der Vollendung des Werkes verstarb, ist die Bandbreite der Versionen denkbar groß. Die Züricher Oper hat sich für eine eigene Fassung entschieden, die sich bemüht, möglichst viele Bestandteile, die dem Werk zugeschrieben werden, auch zu Gehör zu bringen. Die Aufführungsdauer mit zwei Pausen nähert sich der Vier-Stunden-Marke, nachgerade Wagnerscher Dimensionen.

Der Dichter Hoffmann erwartet die Sängerin Stella, die in einer Aufführung von Mozarts Don Giovanni mitwirkt, zu einer Verabredung nach der Vorstellung. Feier- und trinkfreudige Studenten können Hoffmann leicht überreden, von seinen drei vorangegangenen Abenteuern auf der Suche nach der idealen Partnerin zu singen und zu träumen. In jeder dieser drei Darstellungen entwickelt sich sodann ein Kaleidoskop von Ereignissen, das das psychologische Spannungsfeld des jeweils um seine Angebetete und seine Beziehung bangenden Liebhabers zeigen. Das Werk wirkt wie ein Prisma des künstlerischen Werdegangs von Jacques Offenbach, der auf einem schwierigen Entwicklungsweg mit seiner ersten richtigen Oper den Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens zu erreichen suchte. Sie wurde erst 1881 nach seinem Tode uraufgeführt.

Andreas Homoki, Chef des Hauses und Regisseur der Neuproduktion bringt im Bild von Wolfgang Gussmann sowie in den Kostümen von Gussmann zusammen mit Susana Mendoza fast ein Einheitsbild auf die Bühne, indem eine viereckige, in unbestimmter, schwarzer Umgebung scheinbar schwebende Fläche, die sich in verschiedene Richtungen neigen kann, die Spielfläche markiert. Auf der entwickeln sich sodann das Vorspiel wie auch die Geschichten der drei Geliebten ohne nennenswerte Überraschungen. Olympia im grell rosafarbenen Gewand, die unter dem unheilvollen Zauber ihrer Mutter stehende Sängerin Antonia in intensivblau und Giulietta – natürlich – in kurtisanenrot.

Die Gestik und Darstellungsästhetik aller Sängerdarsteller ist grell und überzeichnet, wobei die Gesamtwirkung im Zweifel eher ins Satirische denn Dämonische changiert. Es gibt keinen expliziten Deutungsrahmen wie etwa die Bedrohung durch gesellschaftliche oder soziale Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Laurent Pelly 2018 an der Deutschen Oper Berlin oder Barrie Koskys alkoholsüchtig-getränkter Albtraum an der Komischen Oper 2015 in derselben Stadt.

In Zürich bewegen wir uns in einem gut verdaulichen, jeder individuellen Interpretation und Sichtweise des Zuschauers offenem Darstellungsangebot, das lieber nicht irritieren will. Auch an die Abstraktionsfähigkeit des Zuschauers werden keine Anforderungen gestellt. So muss der Tot Antonias inmitten ihrer weit-ausschwingenden Gesangslinie durch den Schreck eines auf der immer schräger gestellten Spielfläche taumelnden Flügels erklärt werden anstatt durch ihre eigene Krankheit, sprich Verletzlichkeit.

Die Notwendigkeit der Neuinszenierung durch eine etwaige neue Sichtweise oder zumindest irritierendes Hinterfragen ist nicht zu erkennen, es sei denn als farbenreiches Kaleidoskop auf der Suche nach Trost in Corona-Zeiten.

Immerhin bewegen sich die gesanglichen und anderen musikalischen Leistungen auf hohem Niveau. Saimir Pirgu bewährt sich in der anspruchsvollen Partie als Hoffmann auf Anhieb. Mit ihm durchleben wir seine Liebesabenteuer mit großem Mitgefühl. Sein stimmliches Material und seine schauspielerische Ausdruckskraft überzeugen und fesseln über den gesamten, langen Abend.

Zürich besetzt die Rollen der Geliebten mit drei unterschiedlichen Sängerinnen. Die Olympia der Katrina Galka bekennt sich zu ihren halsbrecherischen, hochangesiedelten Koloraturen ebenso gekonnt wie Ekaterina Bakanova zu den durch ihre Mutter aus dem Grabe verführten weiten Melodiebögen, die ihr nicht nur den Atem, sondern gleich das Leben rauben. Lauren Fagan kann als verführerische Kurtisane Giulietta im Venedig-Akt brillieren.

Der Gegenspieler von Hoffmann, der jeweils andere Charaktere und Persönlichkeiten in den unterschiedlichen Teilen der Handlung übernimmt, ist mit Andrew Foster-Williams gesanglich ohne Fehl und Tadel besetzt, doch hat man diese Partie konzeptionell und daher dann auch musikdramatisch schon aufregender vertreten gesehen.

Alexandra Kadurina als La Muse und Nicklausse brilliert in einer liebevollen musikalischen und darstellerischen Leistung. Ihr kommt das verhalten-durchsichtige Orchesterspiel in ihrer Stimmführung und darstellerischen Charakterisierung sehr entgegen. Spencer Lang überzeugt durch die trottelig-zwielichtigen Porträts in den Handlungsteilen.

Der Chor der Oper Zürich unter Leitung von Janko Kastelic und das Philharmonia Zürich überzeugen auf höchstem musikalischem Niveau. Das Dirigat von Antonio Fogliani ist durchsichtig, luftig und nimmt sich Zeit, die Melodien des Werkes bei hoher Orchesterkultur auszukosten. Den Rollendebütanten kommt das entgegen, und in der Tat kann man diese Interpretation einer Hochdruck-Variante wie unter Bonynge zum Beispiel in der Schallplattenaufnahme aus den frühen 1970-er Jahren vorziehen. Allerdings rundet diese Interpretation ohne Ecken und Kanten auch den betulichen Eindruck der Szene beziehungsweise gesamten Aufführung weiter ab.

Es ist am Anfang gar nicht so einfach, überhaupt auf die Videoplattform der Live-Aufführung vorzudringen, da die Webseite des Opernhauses zunächst überlastet ist. Dankenswerterweise weist man in den sozialen Medien dann darauf hin, und man kann durch direkten Zugriff auf die Web-Plattform die Aufführung mit einigen Standbildern und kleineren Tonstörungen verfolgen. Dabei ist erstaunlich, wie gut letztendlich die Übertragung von den weit entfernt liegenden Probenräumen für Chor und Orchester gelingt.

Pausengespräche und Live-Interviews sind charmant und informativ – sie haben schon dadurch eine authentische Anmutung, dass sie mit den Mitwirkenden unmittelbar nach ihren Auftritten einfühlsam geführt werden.  Die Metropolitan Opera ersetzt diese Live-Interviews zwischen den Akten später in der weiter verfügbaren Aufzeichnung durch gekürzte Fassungen am Ende der Aufnahme, so dass sie den Ablauf nicht behindern und auf die wesentlichen Eindrücke fokussiert werden können.

Die Zuschauerzahl liegt laut mitlaufendem Zähler bei zunächst nur etwa 800, und in der Spitze bei 1.400, nachdem schließlich nach weiteren 30 Minuten zusätzliche Interessenten den Zugang gefunden haben. Die Aufführung kann jetzt noch bis 30. April auf der Webseite der Oper Zürich kostenlos angeschaut werden.

Achim Dombrowski