O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jens Grossmann

Aktuelle Aufführungen

Taminos Erlebnis in der Stadt

DIE ZAUBERFLÖTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
9. Dezember 2021
(Premiere am 13. September 2020)

 

Opernhaus Wuppertal

Matthias Claudius textete die Weisheit „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“. Macht man also etwa einen Ausflug nach Wuppertal, gibt es bestimmt einiges über das Tanztheater Pina Bausch oder den herrlichen Zoologischen Garten zu berichten. Gut, darüber wurden bereits Bände geschrieben wie über die Schwebebahn, die jedoch nach ihrem Upgrade von der analogen zur digitalen Technik hin und wieder ausfällt. Über sie wird derzeit wahrscheinlich so lange geschmunzelt, bis es keine Softwareabstürze mehr gibt. Es gibt aber noch viel mehr zu erleben. Ein Liedchen davon können Tamino, Pamina oder die Königin der Nacht singen, die es in etliche Stadtteile verschlägt: der Döppersberg, die Hardt, die Nordbahntrasse, das Rathaus Elberfeld oder das Engelshaus. Auf der Flucht vor der Schlange ist der Prinz nämlich irgendwie in die Stadt, auf das Gelände der Bergischen Universität, gekommen. Und das Innere des Opernhauses entpuppt sich als ägyptischer Weisheitstempel von Sarastro, der während der Ouvertüre die Königin der Nacht und ihre drei Damen aus dem Barmer Musentempel schmeißt. Die vier nun Arbeitslosen im barocken Dress werden beim Arbeitsamt abgewiesen, staffieren sich alltagstauglich neu aus und klauen flugs eine fahrbare Pommesbude, die sie auf den Namen „Burger Queen“ taufen. Derweil flieht Tamino vor der Schwebebahn, die er für die ihn verfolgende Schlange hält. Schließlich bricht er erschöpft zusammen, worauf das Wahrzeichen wieder einmal eine Betriebsstörung zu vermelden hat. Solche realen Szenen werden als von Jörn Hartmann erstellte Videos auf einen großen Gaze-Vorhang geworfen. Projiziert werden auch die Priester, wie sie sich von daheim nach der Morgentoilette beziehungsweise nach dem Frühstück auf den Weg zur Arbeit machen. Nicht zu verachten ist auch das aufgeregte Umherirren Paminas durch das Labyrinth des Opernhauses auf der Suche nach ihrer Mutter. Diese abwechslungsreichen, oft ironischen Sequenzen interagieren vortrefflich mit den Orten auf der Bühne, wo die eigentliche Handlung stattfindet.

Foto © Jörn Hartmann

Wolfgang Amadeus Mozarts Oper Die Zauberflöte ist also mit ihrer Rahmenhandlung im Hier und Jetzt, in Wuppertal angekommen. Auf der Bühne selbst ist die felsige, unwegsame Gegend im alten Ägypten einem märchenhaft antiken Tempel am Nil und dem „Burger Queen“ gewichen, wo die Königin der Nacht zu Hause ist, Rachepläne schmiedet, schließlich mittels Giftfässern ein Attentat auf Sarastro verüben will, das Pamina und Tamino verhindern. Dazu passen die antiken Priestergewänder. Während sich Pamina im barocken Outfit zur modernen Frau in Alltagskleidung wandelt, bleibt Tamino orientalisch unverändert.

Am 13. September letzten Jahres brachte Regisseur Bernd Mottl diese Sichtweise des Singspiels zum ersten Mal auf die Bühne. Die Inszenierung sollte ein volles Haus bescheren, ist doch diese Oper überaus populär. Hingegen war nach nur vier Vorstellungen Schluss, weil Corona und ein Hochwasserschaden im Sommer etwas dagegen hatten. Nun öffnen sich wieder die Pforten für diese unterhaltsame Kurzweil, die im zweiten Akt ein wenig an Lebhaftigkeit nachlässt. Zu statisch bestehen beispielweise Tamino und Pamina die letzten Prüfungen im Schlund eines Drachen.

Dabei ist mit kleinen Ausnahmen eine beachtliche Ensembleleistung zu erleben. Ralitsa Ralinova zeichnet stimmlich die Gefühlsschwankungen Paminas von unsterblicher Verliebtheit bis hin zum großen Liebeskummer dank ihrer in allen Belangen ausgewogenen und selbst im Piano tragfähigen Stimme eindrucksvoll nach. Ihr angebeteter Prinz Tamino ist Sangmin Jeon. Sein Tenor ist zwar strahlend, aber in der Höhe leicht angestrengt. Simon Stricker gibt einen draufgängerischen Straßenkünstler Papageno mit einem Vogel als Handpuppe ab, wozu sein strahlender Bariton passt. Nina Koufochristou als verschlagene Königin der Nacht gestaltet ihre beiden Koloraturarien perlend klar und unverkrampft selbst in den höchsten Tongefilden. Sebastian Campione spielt absolut glaubhaft den überlegenen, weisen Fürsten. Dagegen ist seine Stimme verhalten und mühevoll in der Tiefe. Monostratos ist in dieser Inszenierung ein Sklave Sarastros, der die Fronten wechselt. Ihn verkörpert Mark Bowman-Hester mit seinem sicheren Tenor. Auch die Nebenrollen überzeugen darstellerisch und gesanglich Nur die drei Knaben, die der Wuppertaler Kurrende angehören, singen zu scheu und nicht immer ganz intonationsrein. Ungeachtet dessen sind es gerade sie, die Papageno und Pamina davon abbringen, sich das Leben zu nehmen. Diesen Qualitäten steht der Opernchor, einstudiert von Markus Baisch und Ulrich Zippelius, in nichts nach, präsentiert sich von der Bühne und aus den linken wie rechten Logen eindrucksvoll stimmgewaltig.

Auf Wuppertals neuen Ersten Kapellmeister Johannes Witt ist dank seines umsichtigen und mitatmenden Dirigats stets Verlass. Das Sinfonieorchester Wuppertal lässt er nuanciert, mit feinen Phrasierungen und festem Zugriff aufspielen, das sensibel auf ausgewogene Dynamiken achtet gibt und sich somit die Sänger gesanglich frei entfalten können.

Allerorts scheinen es sich zurzeit die Kulturfreunde zweimal zu überlegen, ob sie Veranstaltungen aufsuchen sollen, seien sie noch so hochkarätig. Schuld daran ist die Pandemie. Viele bleiben deswegen fern, obwohl auf große Sicherheit wie die 2G-Regel Wert gelegt wird. Darunter leiden auch die Wuppertaler Bühnen, zu denen ein nur sehr überschaubares Publikum kommt. Die Anwesenden, die sich trotzdem trauen, zeigen sich begeistert und honorieren die Darbietung mit Zwischenapplaus nach den Arien, die in stehende Ovationen münden. Damit bringen sie zum Ausdruck, dass sich der Besuch einer der weiteren Aufführungen lohnt.

Hartmut Sassenhausen