O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Aktuelle Aufführungen

Kammermusikalischer Jazz

DUO TROVESI/LÜDEMANN
(Gianluigi Trovesi, Hans Lüdemann)

Besuch am
22. September 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Multiphonics-Festival, Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal

Der Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Denn der in dieser Stadt ansässige britische Künstler Tony Cragg schuf eine harmonische Symbiose aus Natur und eigenen wie anderen Werken renommierter Bildhauer, die wohl seinesgleichen sucht. Doch damit nicht genug. Denn auch die Musik hat ganz oben am Ende der Hirschstraße einen Platz gefunden, der gerade die Freunde des Jazz sogar aus den Beneluxländern bis vor der Corona-Krise anlockte und sicherlich wieder anlocken wird. Auch in diesem Zusammenhang wird Wert auf Qualität gelegt. Weltstars gaben sich bis vor der pandemiebedingten Pfortenschließung vor rund zwei Jahren die Klinke in die Hand: etwa Gitarrist Al Di Meola, Pianist Jasper van’t Hof, Bassist Stanley Clarke, und, und, und. Die Liste der lebenden Legenden ist ellenlang. Allmählich scheint es wieder los zu gehen. Just ist es das Kölner Multiphonics-Festival, das derzeit dort mit acht Veranstaltungen und einem Konzert nicht weit entfernt in der Immanuelskirche zu Gast ist. Auch dieses Mal treten weltbekannte Musiker auf.

Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Einer von ihnen ist der italienische Klarinettist Gianluigi Trovesi. Er sorgte im Skulpturenpark bereits im August vor zwölf Jahren für ein umjubeltes Open-Air-Konzert im Rahmen des Festivals Klangart. Inzwischen verlässt er kaum noch sein Heimatland. So ist dieses Konzert eine große Ausnahme. Er ließ sich nicht zweimal bitten, als man ihn fragte, ob er das Konzert, das die unerwartet kürzlich verstorbene Klarinettenlegende Rolf Kühn gestalten sollte, übernimmt. Auch der allseits bekannte und renommierte Pianist Hans Lüdemann sagte selbstredend zu. Zum ersten Mal sind sie nun gemeinsam auf der Bühne zu erleben und sorgen für einen kurzweiligen Abend. Natürlich widmet das Duo seinen Auftritt Kühn, ohne aber zutiefst traurig zu sein. Lüdemanns Depart, ein Stück für ihn zum Abschied, kommt nach einem recht kontemplativen Intro lebensbejahend mit lyrischen Momenten daher. Auch die anderen Nummern sind aus seiner und Trovesis Feder, anhand derer sie ihre große spieltechnische und musikalische Palette wie unterschiedliche Stile eindrucksvoll demonstrieren.

Trovesis Sprache fußt unter Einbeziehung zeitgenössischer Tonsprachen unüberhörbar auf der klassisch-italienischen Kunst- und Volksmusik. Sein Dance from Eastern sprüht vor ausgelassener Folklore. Spaßig sind die Schilderungen von zwei Küstengegenden. Auch den Modetanz Chaconne des 16. Jahrhunderts intoniert er gekonnt schwungvoll, natürlich harmonisch verfremdet und manchmal rhythmisch ganz bewusst ein wenig daneben. Lüdemanns Werke sind abstrakter. Bis vor kurzem hat er sich in der Villa Massimo in Rom aufgehalten und dort komponiert, Movimenti etwa als Schlussstück des Konzerts. Auch Emotion Picture – Musik zu einem imaginären Film – ist von ihm. Als ehemaliger Schüler des 2006 verstorbenen japanischen Komponisten Toru Takemitsu beherrscht er zwar die modernen Tonsatztechniken gekonnt. Doch er geht frei damit um, löst sich von strengen Regeln. Unter anderem sind es vertrackte rhythmische Rückungen und auf wenigen Tönen basierende Motive, die in Dynamik und Tonhöhe verändert werden.

Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Die unterschiedlichen Ausdrucksmittel der beiden Künstler prallen an diesem Abend nicht aufeinander, sondern gehen Hand in Hand. Beide Vollblutmusiker greifen die musikalischen Spielbälle des jeweils anderen geschickt auf, verarbeiten sie auf ihre ihnen eigene Art mit viel kurzweiligem Humor, Spielwitz und Esprit. Resultat ist ein zeitgenössischer, kammermusikalischer Jazz mit abwechslungsreichen Dialogen erster Güte. Auch ein kleiner Abstecher in den Free Jazz muss während der zweiten kurzen Zugabe sein, als es noch einmal wie zu Anfang um Ostern geht. Brutale Klaviercluster paaren sich mit markerschütternden Klarinettenklängen. Ja, dann erinnert man sich: Trovesi hat sich nämlich einmal in den 1970-er Jahren damit beschäftigt, unter anderem mit Peter Kowald und Günter „Baby“ Sommer zusammengespielt.

Zudem lassen ihre Soli keine Wünsche offen. Trovesi ist ein Klangzauberer an der tiefen und normalen Klarinette. Meisterhafte Überblastechnik, virtuose Tonfolgen in allen Registern, traumhaft schöne, weiche Klänge und eruptive Ausbrüche faszinieren allenthalben. Lüdemann ist ebenfalls ein großer Meister an seinem Instrument. Rasend schnelle Akkordkaskaden, wirbelnde Tonfolgen über die gesamte Tastatur, dazu die volle Dynamik ausnutzend vom hauchzarten Piano bis hin zum knallharten Fortissimo ziehen in ihren Bann.

Die Stühle in der unteren Halle des Anwesens sind zwar nur, wie derzeit überall zu erleben, überschaubar besetzt. Doch die anwesenden Musikfreunde applaudieren zu Recht derart laut, als sei das Auditorium brechend voll. Zwei kurze Zugaben sind der Dank dafür.

Hartmut Sassenhausen