O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bettina Stöß

Aktuelle Aufführungen

Herzergreifende Violetta

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
25. November 2021
(Premiere)

 

Wuppertaler Bühnen, Historische Stadthalle Wuppertal

Die Wuppertaler Oper hat in den letzten Jahren, seit dem Amtsantritt von Toshiyuki Kamioka als Intendant anno 2014, eine ganze Menge durchmachen müssen. Zunächst kündigte der Japaner, der vorzeitig das Handtuch schmiss und zwei Jahre später aufhörte, dem gesamten Ensemble und installierte ein Stagione-System. Resultat war ein leeres Haus, dem die überregionale Presse fernblieb. Ein Publikumsschwund kam hinzu. Er hinterließ also verbrannte Erde.

Dann hatte die Stadt eine glückliche Hand, als sie Berthold Schneider zu seinem Nachfolger bestellte. Er rief wieder ein kleines, aber feines Ensemble ins Leben, entwickelte neue Formate. Viele Inszenierungen machten wieder weit über die Stadtgrenzen hinaus auf sich aufmerksam. Und der neue Geschäftsführer Daniel Siekhaus passt seit rund drei Jahren ordentlich auf die Zahlen auf. Alles lief in geordneten Bahnen. Nichts sprach dagegen, dass das traditionsreiche Musiktheater allmählich den Weg hin zu einem erstklassigen Ruf ähnlich wie in der legendären Zeit des Operndirektors Kurt Horres und Generalintendanten Arno Wüstenhöfer einschlagen könnte. Doch dann kam Corona. Wie allerorts mussten auch hier Spielpläne abgesagt oder umgeschmissen, Pläne B, C, D entwickelt werden. Doch damit nicht genug. Das Hochwasser im vergangenen Juli machte aus dem Untergeschoss inklusive Orchestergraben einen Swimmingpool, der für ein unbespielbares Haus sorgte. Seitdem wird aus der Not eine Tugend gemacht, indem das Erholungshaus in Leverkusen und die Bühnenwerkstätten Ausweichspielorte sind. Man fiebert dem 9. Dezember entgegen. Denn wenn nicht alle Stricke reißen, kann dann das altehrwürdige Dreispartenhaus seine Pforten wieder öffnen und Wolfgang Amadeus Mozarts Oper Die Zauberflöte auf die Bühne gehoben werden.

Doch noch ist es nicht so weit. Längst ist Giuseppe Verdis Oper La Traviata einstudiert. Corona geschuldet wurde sie im Großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal konzertant ohne Publikum aufgezeichnet und anschließend in den vergangenen Sommerferien als Stream im Internet angeboten. Jetzt ist der Lockdown vorbei. Man darf wieder live unter 2G-Auflagen am Kulturleben teilnehmen. Nur scheinen noch nicht so viele das Angebot wahrzunehmen wie vor der Pandemie, fand doch am selben Ort die nun öffentliche Präsentation dieses populären Werks nur vor sehr überschaubaren Zuhörern statt. Die Inszenierung des Regisseurs Nigel Lowery, soll in einer der kommenden Spielzeiten nachgeholt werden.

Eine Oper konzertant zu präsentieren, ist natürlich nur ein Kompromiss. Das Visuelle fehlt. Denn die Musik ist auf das Bühnengeschehen maßgeschneidert, die es ergänzt, hervorhebt oder untermalt, abgesehen von den Ouvertüren oder Zwischenspielen. Die reine Konzentration auf die Musik bietet aber auch den Vorteil, Verdis geniale Kompositionstricks nachzuvollziehen. Das Augen brauchen nicht sonderlich in Anspruch genommen zu werden, wenn die Sänger mit Sicherheitsabstand nur vorne an der Rampe stehen. Wenige kleine Annäherungen zwischen Ralitsa Ralinova als Violetta und Sangmin Jeon als Alfredo sind die Ausnahme. Beide Protagonisten lassen keine Wünsche offen, allen voran die Sopranistin. In ihrem Rollendebüt zeichnet sie die seelischen Zustände der an Tuberkulose erkrankten Kurtisane höchst einfühlsam nach. Dank ihrer ausgewogenen, tragfähigen Stimme, die unverkrampft selbst in den höchsten Tongefilden ist, und ihren sauberen Koloraturen lässt sie ihre Arien packend erstrahlen. Gerade ihre Sterbeszene rührt herzergreifend an.

Genauso stimmlich überzeugend ist Jeon der unsterblich in Violetta verliebte Alfredo mit all seinen Gefühlsschwankungen von himmelhochjauchzend bis abgrundtief betrübt. Klar und strahlend ist sein sattelfester Tenor, mit der er seine Rolle glanzvoll, absolut überzeugend vorträgt. In Alfredos Vater Giorgio schlüpft Simon Stricker als weiteres Rollendebüt. Sein Bariton liefert anschaulich ein seriös-autoritäres Familienoberhaupt ab, das keine Diskussion zulässt.

Auch die kleineren Partien sind stimmlich vortrefflich besetzt. Iris Marie Sojer als Flora, Ján Rusko als Gastone, Sebastian Campiona als Dottore, Błażej Grek als Giuseppe sowie Hak-Young Lee als Diener und Komissionär sorgen dank ihrer profunden Gesänge ebenfalls für viel Kurzweil. Daegyun Leong als Barone Douphol, Demian Matushevsyi und Heejin Kim als Annina sind Mitglieder des Opernstudios NRW. Aufgrund ihrer bereits ausgezeichnet ausgebildeten Stimmen tragen sie mit zu einem harmonischen Gesamtbild bei.

Vor den Solisten, unten im Parkett, nimmt der Opernchor der Wuppertaler Bühnen im schwarzen Konzertdress Aufstellung, von Markus Baisch und Ulrich Zippelius glänzend einstudiert. Auch er lässt hinsichtlich Stimmgewalt keine Wünsche offen.

Johannes Witt verliert nie den Überblick. Der neue erste Kapellmeister der Wuppertaler Bühnen, der damit seinen überzeugenden Einstand gibt, ist allen Sängern eine zuverlässige, mitatmende Stütze. So können sie ihre Partien ruhig, unverkrampft gestalten. Auch auf die Dynamiken gibt er Acht, indem die Gesänge bis auf kleine wenige Stellen im Vordergrund stehen, nicht vom Sinfonieorchester Wuppertal übertönt werden. Fein ziseliert wird die Musik gestaltet, jede noch so kleine wichtige Phrasierung deutlich herausgearbeitet.

Das Publikum zeigt sich begeistert. Einige bravi muten zwar wie die von Claqueuren an. Die sind aber nicht notwendig. Auch ohne sie sind die stehenden Ovationen gerechtfertigt.

Mit dieser Vorstellung demonstriert die Wuppertaler Oper ihre hohen gesanglichen Qualitäten, womit sie beste Werbung in eigener Sache macht.

Hartmut Sassenhausen