O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Tobias Hulsens

Aktuelle Aufführungen

Zwischen Barock und Moderne

SUNRISE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
10. Dezember 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Amici del Canto, Kulturzentrum Immanuel, Wuppertal

Seit 15 Jahren existiert der Kammerchor Amici del Canto. Seitdem hat er sich weit über Wuppertals Stadtgrenzen hinaus gerade wegen seiner niveauvollen Aufführungen von A-cappella-Literatur aller Epochen einen exzellenten Ruf erworben. Aber auch seine Konzerte mit Orchesterbegleitung stehen hoch im Kurs. So ist sein gemeinsamer Auftritt mit der Kammerphilharmonie Wuppertal am zweiten Advent im Wuppertaler Kulturzentrum Immanuel – umgangssprachlich: Immanuelskirche – sehr gut besucht. Gehaltvolle Werke aus der Barockzeit und der Moderne, die zur Vorweihnachtszeit passen, stehen auf dem Programm.

O Oriens ist einer von sieben O-Antiphonen, die zu den letzten Adventstagen vor Weihnachten zur katholischen Liturgie gehören. Sie sind seit dem 7. Jahrhundert bekannt. In der Kirchenmusik sind die Antiphone ein Bestandteil der gregorianischen Choräle. Der 1968 geborene polnische Komponist Paweł Łukaszewski hat den für den 21. Dezember vorgesehenen Text 1997 in neue Töne für Chor a cappella gefasst. Das lateinische Original lautet auf Deutsch übersetzt: „O Morgenstern, / Glanz des unversehrten Lichtes, / der Gerechtigkeit strahlende Sonne: / o komm und erleuchte, die da sitzen in Finsternis / und im Schatten des Todes!“ Diesen freudigen Charakter lassen die rund 25 Sänger sehr kultiviert klangvoll erstrahlen. Absolut intonationsrein tragen sie die vielschichtige Tonsprache mit ihren Sekundakkorden, Akkordformationen, polyphonen Abschnitten und klar herausgearbeiteten Dialogen zwischen den Stimmen vor.

Danach gibt es einen Sprung ins Barock. Das zwölfteilige Gloria RV 589 für Sopran, Alt, vierstimmig gemischten Chor, kleines Orchester und Basso continuo gehört mit zu den bedeutendsten kirchenmusikalischen Kompositionen Antonio Vivaldis. Gegliedert ist das Werk nach Art der „Kantaten-Messe“. Feierlich-klangvoll sind die Chorsätze, kammermusikalisch die Solosätze angelegt. Die Amicis und die Kammerphilharmonie harmonieren vorzüglich miteinander und bringen den musikalischen Gehalt packend zum Ausdruck. Auch Sopranistin Julia Sophie Hagenmüller und Mezzosopranistin Agnes Konnerth gestalten ihre Partien mi ihren beweglichen Stimmen sehr ausdrucksstark.

Explizit für Weihnachten komponierte Arcangelo Corelli um 1690 das Concerto grosso op. 6, Nr. 8. Es trägt die Inschrift „Fatto per la notte di Natale” – auf Deutsch: für die Weihnachtsnacht gemacht – und wurde von Kardinal Pietro Ottoboni in Auftrag gegeben. Es ist als in der damaligen Zeit üblichen Form „Concerto da Chiesa“ aufgebaut, aber um zwei auf sechs Sätze erweitert. Die Orchesterbesetzung besteht aus zwei Solo-Violinen, und Cello, Tutti-Streichern und Continuo. Mit großen musikalischen Bögen bringen die Instrumentalisten unter dem umsichtigen Geigenspiel des Konzertmeisters Christopher Huber das Weihnachtskonzert mit einer historisch orientierten Spielweise sehr nuanciert zu Gehör.

Dennis Hansel-Dinar – Foto © O-Ton

Schließlich geht es wieder zurück in die Gegenwart, ins Jahr 2008, als am 2. November in Oslo die Sunrise Mass für Chor und Orchester des 1978 geborenen und in den USA lebenden norwegischen Komponisten Ola Gjeilo uraufgeführt wurde. Er versah die vertonten Teile des Messordinariums mit anderen Überschriften: Das Kyrie hat den Titel The Spheres, Gloria Sunrise, Credo The City sowie Sanctus und Agnus Dei Identity & The Ground – also „Die Sphären“, „Sonnenaufgang“, „Die Stadt“ und „Identität & der Grund“. Dazu bemerkt der Komponist:Der Grund, warum ich für die Sätze in dieser Vertonung der Messe englische Titel verwendet habe, die scheinbar nichts mit den – meist – lateinischen Texten zu tun haben, hat hauptsächlich mit der ursprünglichen Idee der Sunrise Mass zu tun. Ich wollte, dass sich die musikalische Entwicklung des Werks vom Transparentesten und Kosmischen zu etwas völlig Erdigem und Geerdetem entwickelt; von nebulös und rein, dann immer emotionaler und dramatischer werdend und schließlich warm und gefestigt endend – als Metapher für die menschliche Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen oder als spirituelle Reise.“ Die für Gjeilo typischen Klänge sind die Verbindungen von Chor und Orchester, er spricht vom „ultimativen Klang“. Hier sind schlichte Melodik, mit Dissonanzen angereicherte Harmonien und minimalistische Begleitmuster im Orchester zu einem harmonischen Zusammenklang vereint. Chor und Philharmonie sorgen für ausgewogene dichte, vielschichtige, eingängige Klangteppiche, die eine vortreffliche Symbiose eingehen oder bestens miteinander korrespondieren.

Abgesehen von Corellis Konzert, das wie seinerzeit üblich ohne Dirigenten aufgeführt wird, ist Chorleiter Dennis Hansel-Dinar ein stets aufmerksamer, mitatmender Dirigent, auf den sich die Sänger und Musiker stets verlassen können.

Das Publikum wird, wie bei Weihnachtskonzerten keine Seltenheit, mit einbezogen, indem es zwischendurch die Kirchenlieder Wie schön leuchtet der Morgenstern, Tochter Zion, O Heiland, reiß die Himmel auf und Macht hoch die Tür, die Tor macht weit beherzt mitsingt.

Der gehaltvolle, vorweihnachtliche Abend mündet folgerichtig in langanhaltenden, begeisterten Schlussapplaus.

Hartmut Sassenhausen