Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
SONGS & ARIEN
(Diverse Komponisten)
Besuch am
4. November 2022
(Einmalige Aufführung)
Nach eigenen Angaben ist das Café Ada auf der Wiesenstraße ein etablierter Veranstaltungsort in Wuppertal mit einer über 30-jährigen Tradition. Angeboten werden hier lateinamerikanische Tänze wie Tango und Salsa zum Lernen, Mitmachen und Erleben. Seit rund zwei Jahren ist im Obergeschoss des Cafés der Verein Insel ansässig. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, das Ada zu einem Kommunikations- und Produktionszentrum für die so genannte Freie Szene aufzubauen. Dabei setzt der Verein gezielt auf Kooperationen mit anderen Kulturinstitutionen wie beispielsweise den Wuppertaler Bühnen oder der Folkwang-Universität der Künste.
An diesem Abend findet eine Veranstaltung unter dem Titel Songs & Arien statt. Die Überschrift führt in die Irre. Tatsächlich wäre Gespräche, Songs und Arien sehr viel passender. Bereits zum vierten Mal kooperieren die Insel und die Wuppertaler Oper unter dem Label. Für die Oper eine willkommene Gelegenheit, sich mit der freien Kultur zu vernetzen und sich in die Stadt hineinzubegeben. Sarah Prinz hat dafür das passende Umfeld geschaffen. In dem großen Saal gibt es links eine Bar. Der Publikumsraum ist in der vorderen Hälfte mit Tischen und Stühlen vollgestellt, dahinter schaffen Stuhlreihen Platz für mehr Zuschauer. Auf der Bühne entsteht der Eindruck eines gemütlichen Wohnzimmers. Im Zentrum gibt es eine Sitzgruppe. Links davon steht ein Flügel, rechts ist Platz für ein Schlagzeug und ein E-Piano. Hierhin hat Torsten Krug zwei Sängerinnen eingeladen, die sich bislang nicht kannten. Krug ist Gründungsmitglied und heute Erster Vorsitzender des Vereins. Er hat in Tübingen Literatur, Musikwissenschaft und Philosophie studiert und absolvierte eine klassische Gesangsausbildung. Seit 2006 lebt er als freier Theaterregisseur, Sänger und Autor in Wuppertal.
Foto © O-Ton
Joslyn Rechter stammt aus Melbourne. Von 2005 bis 2014 war die Mezzosopranistin Mitglied des Wuppertaler Opernensembles. In der Klavierbegleitung von Jens Bingert, Chordirektor an der Wuppertaler Oper bis 2016, eröffnet sie den Abend mit Una voce poco fa, der Cavatine der Rosina aus Gioacchino Rossinis Barbier von Sevilla. In der Aufwärmphase sicher ein guter Einfall. Auf der anderen Seite der Bühne macht sich Anna Luca Mohrhenn hinter dem E-Piano bereit. Zur musikalischen Verstärkung hat sie Yonga Sun am Schlagzeug und Dimitrij Markitantov am Saxofon mitgebracht. Die Sängerin und Komponistin, die sich selbst Anna Luca nennt, ist in Deutschland geboren und in Schweden aufgewachsen. Heute lebt sie in Wuppertal. „Wenn Wuppertal, dann Ronsdorf“, lautet ihr Bekenntnis zur Wahlheimat. Die Mutter ist Cellistin, der Vater Geiger. Mit vier Jahren beginnt sie selbst mit dem Klavierspiel, und alsbald scheint ihre Laufbahn als klassische Pianistin vorgezeichnet. Bis sie sich eine Handverletzung zuzieht, die die Ausbildung von einem Tag auf den anderen beendet. Der Besuch einer Diskothek eröffnet ihr eine neue Welt. Sie beginnt zu singen und zu komponieren. Inzwischen hat sie acht Alben veröffentlicht, stark Jazz-orientiert, aber immer auch offen für neue Wege in andere Genres. Ihr erster Titel heißt Gryning, auf Deutsch Dämmerung.
Foto © O-Ton
Anschließend ist Zeit für das erste von vier „Gesprächen“. Echte Gespräche entwickeln sich aber nicht. Es bleibt dabei, dass Gastgeber Krug fragt und die Künstlerinnen antworten. Das hätte schiefgehen können. Allerdings zeigen sich Rechter und Luca ausgesprochen redefreudig und humorvoll. So bleibt es für das Publikum ein kurzweiliger Abend, der häufiger zum Schmunzeln, wenn nicht gar Lachen einlädt. Da sieht Rechter inzwischen durchaus ein, dass ihr kindlicher Berufswunsch, Tierärztin zu werden, sich glücklicherweise nicht erfüllt hat, während Luca doch noch ein ganz klein bisschen dem Journalismus nachtrauert. Wie das Leben so spielt: Am Ende geht es doch noch gut aus. Und so kann der nächste Musikblock starten. Luca präsentiert ihr Sometimes We Drown, ehe sie von Rechter mit der Arie der Erika Must the Winter Come So Soon? aus Samuel Barbers Oper Vanessa abgelöst wird. Nach einer weiteren Gesprächsrunde verschiebt sich das Gewicht des Abends zugunsten der Musik. Rechter will mit einem weiteren Stern der Opernliteratur glänzen und präsentiert Près des remparts de Séville, die Séguédille aus dem ersten Akt der Oper Carmen von Georges Bizet. Ein Abend (Stüves Stadt) setzt Luca als Eigenkomposition dagegen, bevor Rechter zum Musical wechselt und mit You’ll Never Walk Alone an einen Schlager aus Carousel erinnert. Ein netter Einfall: Nun interpretiert Luca die Arie Must the Winter Come So Soon? mit Orchestereinspielung von der Festplatte.
Im letzten Block darf sich Rechter nach dem Song Iceland von Luca mit einer „operatischen“ Version von Sometimes We drown revanchieren – sehr zur Rührung der Jazz-Sängerin, die nach eigenen Angaben zum ersten Mal eines ihrer Lieder von einer anderen Sängerin hat singen hören. Home by the Sea, nicht zu verwechseln mit dem Song von Genesis, wird Lucas letzter Einzelbeitrag an diesem Abend. Rechter pocht zwar darauf, nicht patriotisch werden zu wollen, aber I still Call Australia Home von Peter Allen aus dem Jahr 1980 hat schon das Zeug zu einer Hymne, bei der man ein Tränchen verdrücken kann. Weniger geglückt ist der abschließende Song Both Sides, Now von Joni Mitchell, den Judy Collins 1968 zuerst veröffentlichte und der inzwischen mehr als 1.500-mal nachgesungen wurde. Ihn „spontan“ als Duett zu singen, muss man vielleicht doch mehr als einmal üben.
Alles in allem ein entspannter, kurzweiliger und abwechslungsreicher Abend, der Lust auf die Fortsetzung der Reihe macht. Das findet auch das Publikum, das im Übrigen ungewöhnlich zahlreich erschienen ist und sehr herzlich applaudiert.
Michael S. Zerban