O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Wechselbad der Gefühle

DIE SCHÖNE MÜLLERIN
(Franz Schubert)

Besuch am
23. Februar 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Liedertal, Historische Stadthalle Wuppertal

Schon immer haben die Wuppertaler ihre kulturellen Geschicke selbst in die Hand genommen. Ein berühmtes Beispiel sind die Konzerte auf dem Gebiet der klassischen Musik in der Historischen Stadthalle, die auf Initiative von Bürgern und Firmen der Stadt gebaut wurde. Zum einen war es die Konzertdirektion Wylach, die unter anderem im Rahmen ihrer Meisterkonzerte die sogenannten Top 10 der internationalen Orchesterszene auf den Johannisberg lockte. Zum anderen managte die Konzertgesellschaft Wuppertal nicht nur das städtische Orchester, sondern sorgte ebenfalls für Orchester-Gastkonzerte und darüber hinaus erstklassige Kammermusikabende. Alles lief wie am Schnürchen. In Scharen pilgerten die Musikfans in die gute Stube. Doch seit über zwei Dekaden gibt es ein stetes Auf und Ab. Das Familienunternehmen Wylach hat den Betrieb eingestellt. Und die Konzertgesellschaft ist seit 2005 nur noch als Förderverein für das Sinfonieorchester Wuppertal und den Chor der Konzertgesellschaft tätig. Hochkarätige Gastkonzerte waren also Mangelware. Dann rief der Mäzen Detlev Muthmann im Jahr 2009 die Kammermusikreihe Saitenspiel ins Leben und finanzierte etwa 150 Konzerte aus der eigenen Tasche. Weltbekannte Ensembles gaben sich unter seiner Ägide ein Stelldichein. Als er 2020 starb, war auch damit Schluss. Gut, das Klavier-Festival Ruhr ermöglicht ein paar Spitzenveranstaltungen. Hierbei handelt es sich aber um keine Wuppertaler Institution. Mitten in der Pandemie nahm Thomas Laske sein Herz in die Hand und gründete die Reihe Liedertal. Seit der letzten Spielzeit will damit der in Wuppertal lebende Bariton – einstiger Publikumsliebling als festes Ensemblemitglied der Wuppertaler Bühnen und Honorarprofessor an der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule – wieder in der Stadt nach sehr vielen Jahren Pause Liederabende salonfähig machen. Wie einst Muthmann kümmert auch er sich außerdem um Schulkonzerte mit den engagierten Künstlern.

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Bei der jüngsten Veranstaltung sind aus Wien Tenor Daniel Johannsen und der Pianist Andreas Fröschl zu Gast. Einen anspruchsvollen, populären Liederzyklus haben sie mit im Gepäck: Franz Schuberts Die schöne Müllerin. Der Dichter Wilhelm Müller schreibt im Vorwort zu seiner 25-teiligen Gedichtsammlung, von denen Schubert 20 vertonte, er bedauere es, kein Musiker zu sein: „Wenn ich die Weisen von mir geben könnte, so würden meine Lieder besser gefallen als jetzt. Aber getrost, es kann sich ja eine gleichgesinnte Seele finden, die die Weise aus den Worten heraushorcht und sie mir zurückgibt.“ Und Schubert hat wunderbare Musik herausgehorcht. Er schuf einen ganz neuen Zyklus-Typ, indem er aus einer Vielfalt von Einzelgeschehnissen eine Einheit bildete. Es gibt keine Brechungen in der Musiksprache. Sie ist ganz nah am Volksliedhaften.

Eine große Palette an Emotionen und Stimmungsbildern liegt in der Musik, die Johannsen sehr packend zum Ausdruck bringt. Dank seiner klaren Artikulation spürt er den Textinhalten tief ausgelotet nach und dringt musikalisch in die reichhaltigen Gefühlswelten ein. Schwermut, drohendes Unheil, tiefe Bekümmernis bringt er genauso plausibel von der Bühne wie dankbare Freude, stürmische Leidenschaft oder Herzlichkeit. Dieses Eintauchen in ein Wechselbad der Gefühle wird mit einem variablen Tenor dargestellt. Zwar ist die Stimme an diesem Abend in der Höhe, gerade nach größeren Intervallsprüngen und im Forte ein wenig fest, was kleine Brüche in der musikalischen Linienführung zur Folge hat. Auch Fröschl, der als mitatmender, sensibler Klavierbegleiter überzeugt, trübt an wenigen Stellen mit einer etwas harten, zu lauten Tongebung den Genuss. Dennoch wird ein großer Spannungsbogen über den Zyklus gezogen, der in seinen Bann schlägt.

Demzufolge könnte man im Auditorium eine Stecknadel fallen hören, so mucksmäuschenstill ist es. Daran ändert sich zunächst nach dem Verklingen des letzten Tons nichts. Doch eine gefühlte Ewigkeit später, als die Spannung von Johannsen abfällt, bricht nicht enden wollender begeisterter Beifall, gespickt mit etlichen bravi, aus. Man wünscht sich eine Zugabe. Doch die bleibt logischerweise aus. Denn das tragisch endende Schlusslied des Zyklus‘ Des Baches Wiegenlied evoziert einen endgültigen Schluss.

Hartmut Sassenhausen