Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Unter der neuen Intendanz von Rebekah Rota konsolidiert sich der Opernbetrieb in Wuppertal zunehmend. Die Produktionen der ersten Spielzeit, angefangen bei Tristan und Isolde bis hin zu Die lustigen Weiber von Windsor, werden stilsicher und musikalisch äußerst ansprechend auf die Bühne gebracht.
Vor fast zehn Jahren wurde in Wuppertal unter der unglücklichen Intendanz von Kamioka zuletzt die Salome aufgeführt, inszeniert von Michiel Dijkema in einem ästhetisch beeindruckenden Bühnenkonzept. Die Erwartungen an die Neuinszenierung sind entsprechend hoch.
Richard Strauss’ Oper Salome, 1905 am Königlichen Opernhaus Dresden uraufgeführt, ist eine der ersten Literaturopern und eine kongeniale Verbindung von Text und Musik. Seine klangmalerische Musik, die die Abgründe menschlicher Psychen ausleuchtet und darstellt, stellt höchste Anforderungen an Orchester und Solisten.
Regisseurin Andrea Schwalbach inszeniert das düstere Drama behutsam historisierend in einem von Britta Leonhard entworfenen dunklen Bühnenraum mit zwei versetzten Spielflächen und wenigen aufsteigenden Stufen im Hintergrund. Ein schmaler Krater im Bühnenboden zeigt den Eingang zum Verlies des Propheten Jochanaan, den Salome mit Haut und Haaren begehrt.
Es entsteht ein offener Illusionsraum, in dem sich die grausam-faszinierende Handlung des Dramas und die zwar perverse, aber durchaus ambivalente Liebe Salomes entfalten können. Dezent eingesetzte Lichteffekte und die lichtumrissene Scheibe des übergroßen Mondes verwandeln die Bühne stimmungsvoll, ohne Brüche und Zäsuren in der Wahrnehmung. Der Fokus liegt auf den handelnden Personen, die immer wieder reizvolle Tableaus bilden und den Raum optimal nutzen. Die wenigen dynamischen Gruppenszenen mit Juden und Nazarenern, die in einem widerstrebenden Disput vereint sind, werden geschickt choreografiert.
Foto © Bettina Stöß
Die ebenfalls von Britta Leonhard entworfenen Kostüme zeigen durchweg einen Kanon von Schwarz und Weiß, der lediglich in den opulent ausgestatteten Erscheinungen von Herodes und Herodias farblich aufgebrochen wird.
Bei jeder Neuinszenierung darf man auf Salomes Tanz der sieben Schleier gespannt sein. Kati Farkas setzt die immer wiederkehrende Herausforderung, neue und unverwechselbare Akzente zu setzen, intelligent und packend um. Die Einleitung zum Tanz wird zu einem Pas de Deux von Salome und dem Pagen der Herodias, der in der Hosenrolle von Ensemblemitglied Edith Grossmann zu einer zentralen Figur aufgewertet wird. Während der tänzerischen Interaktionen munitioniert der Page Salome mit allem, was sie zur Verführung des geifernden Herodes einsetzen kann. Zuerst mit klischeehaften Accessoires wie Schaftstiefeln, falschem Kragen und Stock, dann aber wird Salome durch ein gelbes Kostüm und eine rote Perücke zur Erscheinung der Herodias stilisiert. Mutter und Tochter sehen sich plötzlich ihrem eigenen Spiegelbild gegenüber und scheinen erschrocken. Beim anschließenden Schleiertanz wird Salome erneut entkleidet. In leichter Unterwäsche bemächtigt sie sich unter anderem der Schals der fünf in das Geschehen involvierten Juden und präsentiert sich rollenkonform lasziv. Der aufs Äußerste erregte Herodes kommt ihr im wahrsten Sinne des Wortes hautnah. Beim ekstatischen Höhepunkt der Szene beginnt Salome, ihr Oberteil nach oben zu schieben, aber die lustvolle Blöße bleibt Illusion. Das Licht erlischt, und Herodes ist wie hypnotisiert.
Im Folgenden nimmt das Drama seinen Lauf, in dem Salome den Eid von Herodes gnadenlos einfordert und den Preis, also den Kopf des Jochanaan, letztlich nach langem Aufbäumen auch erhält. Die Exekution wird in dieser Inszenierung ebenfalls vom Pagen durchgeführt, der schließlich das Schwert auf der Bühne zurücklässt und sich zusammen mit allen anderen Protagonisten entfernt. Nur Salome und Herodes bleiben während des bizarr-schaurigen Liebesgesangs an den enthaupteten Jochanaan auf der Bühne. Der blutige Kopf, den Salome fortwährend in den Händen hält und auf ihren Körper legt, scheint plötzlich wie entzaubert und ohne jegliche Faszination. Sie wirft das Haupt des Propheten emotionslos in den offenen Krater. Für den entsetzten Herodes ist das endgültig der Anlass, Salomes Tod zu befehlen. Doch niemand ist geblieben, um diesen Befehl ausführen zu können. Und so stürzen sich Herodes und Salome, in tiefer Gegnerschaft vereint, auf das blutige Schwert, das zwischen ihnen liegt. Die Dunkelheit lässt offen, wer am Ende wen niederstreckt.
Der finale Regiecoup ist gewagt, aber in der dramaturgischen Gesamtkonstellation durchaus zulässig. Wer wird gerichtet: die männerverzehrende Femme fatale oder der in seinen Begierden schamlos übergriffige Herrscher? Insgesamt eine überzeugende und stimmige Regiearbeit von Schwalbach.
Foto © Bettina Stöß
Musikalisch liegt die Aufführung bei Patrick Hahn in besten Händen. Seit 2021 leitet er das Sinfonieorchester Wuppertal und behauptet die gute Reputation des A-Orchesters eindrucksvoll. Ihm gelingt es, im Zusammenspiel von Orchester und Solisten eine große atmosphärische Dichte der expressionistisch anmutenden Klangwelten zu erzeugen. Die Partitur von Salome erfordert eine der größten Orchesterbesetzungen und sorgt auch hier für beeindruckende musikalische Opulenz.
Alle vier Hauptpartien sind in Wuppertal mit hervorragenden Gästen besetzt, die Intendantin Rota aus ihrer Zeit als Opernmanagerin am Staatstheater Karlsruhe kennt. Davon profitieren nun die Wuppertaler Bühnen.
Im Mittelpunkt der Inszenierung steht natürlich Salome, überragend interpretiert von Helena Juntunen, die die Partie bereits 2017 an der Straßburger Oper verkörperte. Ihr Sopran verfügt über zahlreiche Schattierungen und überzeugt sowohl in den dramatischen Höhen als auch in vibrierender Tiefe. Sie wird der anspruchsvollen Partie sowohl darstellerisch als auch gesanglich voll und ganz gerecht. Eine agile Bühnenpersönlichkeit, die kindliche Verletzlichkeit ebenso wie monströse Begierde überzeugend darstellen kann.
Überragend ist auch Matthias Wohlbrecht als lüsterner Herodes. Die Rolle, mit der er erst im Frühjahr an der Oper Frankfurt brillierte, scheint wie für ihn geschaffen. Seine große und facettenreiche Tenorstimme trägt die gesamte Aufführung.
An seiner Seite überzeugt die Mezzosopranistin Gundula Hintz als Herodias, die als Opern-und Konzertsängerin alle Voraussetzungen mitbringt, die hysterisch-schrille Gattin des Tetrarchen glaubhaft zu verkörpern.
Michael Kupfer-Radetzky gibt den Jochanaan mit kräftigem Bariton, der in den Höhen eine enorme Durchschlagskraft und Bedrohlichkeit entfaltet. Etwas verzerrt und schwer zu verorten sind jedoch seine Rufe aus der Tiefe, die durch Verstärker aus Lautsprechern von oben und nicht von unten kommen.
Ensemblemitglied Sangmin Jeon zeigt sich als Hauptmann, der den Versuchungen der Salome leidvoll erliegt. Auch in dieser Produktion bewährt er sich mit seinem jugendlichen Tenor hervorragend. Einen minimalen Punktabzug gibt es in der Darstellung für den nicht enden wollenden Todeskampf in den Armen des Pagen. Edith Grossman gibt mit schönem Mezzo der kleinen Hosenrolle des Pagen mit ihrer regietechnisch angelegten Mehrdeutung eine eindrucksvolle, facettenreiche Note. Die übrigen Nebenrollen sind angemessen besetzt.
Nach einigen Momenten der stillen Betroffenheit entfesselt sich im nur zu zwei Dritteln gefüllten Haus der Jubel des Publikums, der die Leistungen der Sänger, des Sinfonieorchesters Wuppertal unter der Leitung von Patrick Hahn und das gesamte Regieteam einschließt.
Möge dem Opernhaus Wuppertal unter der engagierten Leitung wieder mehr Rückhalt und Interesse in der Stadtgesellschaft zuteilwerden. Das Haus hat die Chance durch die erfolgreiche Arbeit der vergangenen Monate mehr als verdient.
Bernd Lausberg