O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Will van Iersel

Aktuelle Aufführungen

Politthriller

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
8. Januar 2023
(Premiere am 9. April 2017)

 

Wuppertaler Bühnen, Opernhaus Wuppertal

Absolut normal ist es, wenn Opernproduktionen nach ihren Premieren für ein bis zwei Spielzeiten aufgeführt werden. Anschließend verschwinden sie in der Versenkung. Selten wird eine von ihnen etliche Jahre später wieder auf die Bühne gehoben. Dabei handelt es sich um Stücke, deren hochkarätige Inszenierungen überregional auf sich aufmerksam machten. Eine solche Ausnahme ist nun im Wuppertaler Opernhaus zu erleben. Giuseppe Verdis Oper Rigoletto feierte dort am 9. April 2017 eine umjubelte Premiere und wurde zur besten Inszenierung in Nordrhein-Westfalen gekürt. Verantwortlich dafür war der russische Regisseur Timofey Kulyabin. Es war seine erste Regie-Arbeit außerhalb seiner Heimat. Russland hat er mittlerweile nach seiner Kritik am Krieg gegen die Ukraine verlassen. Zurzeit dürfen seine Inszenierungen in Moskau nicht gespielt werden. Nun ist der ins Hier und Jetzt transponierte Dreiakter als Neueinstudierung wieder da. Nichts hat er in den vergangenen sechs Jahren an Aktualität eingebüßt.

Verdis Mantua ist für Kulyabin ein osteuropäischer, totalitärer Kleinstaat nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Auflösung der Sowjetunion. Dort sind Einheitspartei, Korruption und Intrigen an der Tagesordnung. Der Herzog von Mantua ist der Präsident des Landes und Chef der Partei „Mantua United“. Er ist ein skrupelloser, diktatorischer Politbonze, der seine abnormen sexuellen Neigungen an jeder Frau auslässt, die ihm über den Weg läuft und die er rumkriegt. Der unbeliebte Rigoletto kommt als ein linientreuer Fernsehmoderator und zugleich latenter Wahlkampfleiter daher. Er weiß genau, wie mit den Medien umzugehen ist. Seine Tochter Gilda verbringt ihr Dasein in einem Irrenhaus, hantiert mit Buntstiften. Sparafucile verdient sein Brot als Sicherheitsoffizier.

Den Sieg nach einem – natürlich regulären – Wahlkampf feiert die Partei ausgiebig. Viel Alkohol ist im vom Bühnenbildner Oleg Golovko geschaffenen großräumigen holzgetäfelten Empfangszimmer des Duca mit im Spiel. Rührend kümmert sich Rigoletto um Gilda. Der perverse Schürzenjäger kommt als armer kleiner Student verkleidet zu ihr, die seinem Charme erliegt. Obwohl das Haus von Kameras überwacht wird, gelingt es den in schwarzen Kutten und mit weißen Totenschädeln maskierten Gefolgsleuten, sie zu entführen und in den Palast zu schleppen. Nun muss auch sie dran glauben, kommt aus dem Privatgemach des Diktators – mit einer Handschelle am rechten Arm – genauso körperlich wie seelisch fix und fertig wie ihre Leidensgenossinnen vor ihr. Dem Killer Sparafucile gelingt die Ermordung Gildas nicht richtig, die letztendlich aus Liebe zu dem Duca für ihn in den Tod geht. Dafür geht ihr Rigoletto anschließend erfolgreich an die Kehle und packt sie wieder in den Müllsack, in dem er sie zuvor halbtot gefunden hatte. Tja, die Teilhabe an der politischen Macht ist ihm letztendlich doch wichtiger als die Liebe zu seiner Tochter.

Die Geschichte wird sehr schlüssig erzählt, wie ein aktueller Politthriller mit allen menschlichen Abgründen, Widersprüchlichkeiten und unerfüllten Hoffnungen. Nie gibt es einen Stillstand in der Handlung, die in sich gegensätzlichen Charaktere, die zwischen Machtgier, Selbstgefälligkeit, Rachsucht einerseits und wahrer Liebe und Humanität andererseits changieren, sind packend-nachvollziehbar herausgearbeitet. Gespenstische Beklemmungen machen sich breit.

Foto © Will van Iersel

Dafür sorgen ausnahmslos alle an der Produktion beteiligten Darsteller: die Protagonisten, Nebenrollen sowie Opernchor und Statisterie der Wuppertaler Bühnen. Auch gesanglich bleiben so gut wie keine Wünsche offen. Allen voran brilliert Ralitsa Ralinovas mit einem in allen Belangen lockeren, beweglichen, facettenreichen Sopran und offenbart Gildas Gemütszustände überaus ergreifend. Ihre Arien wie Gualtier Maldè! sprühen nur so vor Leidenschaft. Sangmin Jeon zeichnet dank seines kräftig-strahlenden Tenors den geilen, machtbesessenen Herzog von Mantua äußerst plausibel nach. Voll zur Geltung kommt seine Stimme bei Ella mi fu rapita! und La donna è mobile. Auch harmonieren beide etwa bei T’amo! vortrefflich miteinander. Vittorio Vitellis Rigoletto kann gesanglich als dritter Protagonist im Bunde diesen Qualitäten erster Güte nicht gerecht werden. Denn die Erkältungs- und Grippewelle hat auch ihn ereilt. Ohne Orchesterprobe und noch nicht hundertprozentig genesen, kann man deswegen seinen Vorträgen nur großen Respekt zollen, zumal seine Baritonstimme unüberhörbar im gesunden Zustand brillant strahlend-tragfähig sein kann. Auch die anderen Gesangssolisten wie Mezzosopranistin Iris Marie Sojer als Maddalena und Bassist Sebastian Campione als Sparafucile begeistern mit ausdrucksstarken Stimmen. Diesem hohen Niveau steht der von Ulrich Zippelius erstklassig einstudierte Opernchor in nichts nach.

Genauso wie bei der Premiere vor sechs Jahren kommen gehaltvolle orchestrale Klänge aus dem Graben. Damals lag die Verantwortung in den Händen des Ersten Kapellmeisters Johannes Pell, der seit der Spielzeit 2020/21 Chefdirigent der Staatsoperette Dresden ist. Nun ist es der junge Wuppertaler Generalmusikdirektor Patrick Hahn, der passend zum Bühnengeschehen diese sensible, klar durchstrukturierte und durchhörbare Sichtweise Pells bis auf ganz wenige, etwas zu laut genommene kleine Passagen akkurat wieder hörbar macht. Nuanciert spielt das Sinfonieorchester Wuppertal unter seiner konzentrierten Leitung auf und lässt sorgfältig dank seiner variablen Dynamiken die Sänger voll zum Tragen kommen.

Sofort nach dem Abspann hält es das Publikum nicht mehr auf den Sitzen. Zu Recht werden alle Beteiligten mit enthusiastischem Beifall und stehenden Ovationen gefeiert, bis der Vorhang endgültig fällt.

Hartmut Sassenhausen