O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Musik für’n Konsum

METROPOLE ORKEST
(Komponisten unbekannt)

Besuch am
4. Juni 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Startfestival, Historische Stadthalle Wuppertal

Es gibt Menschen, die sind der Auffassung, Musik müsse man nicht erklären, sondern verstehen. Diesen schlauen Spruch bekommen Konzert- und Festivalbesucher immer genau dann zu hören, wenn irgendjemand zu faul oder – schlimmer – kognitiv nicht in der Lage ist, entsprechende Informationen zu liefern, die das Verständnis der Musik erleichtern. „Na ja, die spielen halt“, bekommt man heute Abend in der Historischen Stadthalle Wuppertal auf die Frage nach einem Programmheft zur Antwort. Es gebe aber ein Display im Foyer, auf dem die Musiker aufgezählt seien und die Informationen auf der Netzseite des Startfestivals. Das nämlich ist Veranstalter des Konzerts. Auf der Netzseite allerdings gibt es außer einem Werbeblock und den Namen der Musiker nichts weiter. Wer nicht informiert, braucht auch nicht zu wissen, was auf der eigenen Netzseite steht.

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Es wird eine „funky night“, ist dort zu lesen. Mit „Weltstars“. Aha. Das ist unbedingt so gehaltvoll wie heiße Luft. Apropos. Funky heißt im Deutschen übelriechend. Im musikalischen Sinne versteht man darunter eher unbestimmt die Weiterentwicklung des Rhythm & Blues in Richtung Pop-Musik, ursprünglich geprägt von Bläsersätzen. Aber es muss ja einen Grund geben, dass die Stadthalle so gut wie lange nicht besucht ist und auffällig viel junge Menschen im Publikum sind. Eingeladen ist das Metropole Orkest unter der musikalischen Leitung von Jules Buckley in Begleitung von Louis Cole und Genevieve Artadi. 1945 entschied die niederländische Regierung und das Königshaus im Londoner Exil, ein Orchester zu gründen, das den Niederländern Vergnügen und Hoffnung bringen sollte. Gegründet wurde es schließlich von der Niederländischen Rundfunkanstalt und entwickelte sich bis heute zu einem Orchester, das eine Big Band integrierte. Längst hat sich das Orchester vom Rundfunk gelöst und tritt unter anderem als Begleiter von Céline Dion, Joe Cocker oder Shirley Bassey auf. Am Pult steht Jules Buckley, Komponist, Dirigent und Arrangeur.

Als Gast – und da erhellt sich allmählich die Motivation des Publikums – ist Louis Cole dabei. Der in Los Angeles lebende Sänger, Produzent, Komponist und Multi-Instrumentalist bindet Millionen von Menschen auf seinem YouTube-Kanal. Bekannt ist seine Zusammenarbeit mit der Sängerin Genevieve Artadi, die an diesem Abend ebenfalls zugegen ist.

Das Entrée ist in der Tat beeindruckend. Die Musiker wie der Chor treten in schwarzen Ganzkörperanzügen auf, die mit Skelettknochen bedruckt sind. Zum Auftakt sitzt Cole an der Orgel. Eine Lichtshow flutet das Podium, das dicht gedrängt mit Pulten und Instrumenten bestückt ist. Der Streicherapparat ist ebenso wie die Bläser in den Hintergrund gelegt. Vorn drängen sich links die Perkussionisten hinter dem fünfköpfigen Chor, rechts ist Platz für den Altsaxofonisten Dave Binney, Sam Wilkes am Bass und Pedro Martins an der E-Gitarre, die sich um das Schlagzeug von Cole scharen, an das der sich sofort nach seinem Orgelspiel begibt.

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Die Musik beeindruckt in erster Linie durch ihre Lautstärke. Hier ist alles laut, auch wenn die Stücke häufig unvermittelt abbrechen. Effekthaschereien komplettieren den eher durchschnittlichen Streicherklang. Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Streicher geben alles. Die Komposition, von wem auch immer sie stammt, bietet wenig. Was die Technik an großartigen Lichtspielereien produziert, verdirbt sie gründlich in der Abmischung. Die Stimmen gehen im Instrumentenklang unsäglich unter – vielleicht mit Ausnahme von Coles Einsätzen, die im Falsett erklingen und damit keine Chance auf Verständlichkeit bieten. Dass Cole mit Sonnenbrille und verkehrtherum aufgesetzter Baseballkappe auftritt, hindert das Publikum nicht, ihm schon zuzujubeln, wenn er nur den Mund aufmacht. Das ist ein wenig gruselig.

Ohne nähere Erläuterungen ist an diesem Abend nicht viel mehr als ein „modernes“ Rum-ta-ta zu hören. Und Atradi? Die steht beim Chor und bekommt selbst mit, dass ihre Stimme kaum zu hören ist, geschweige denn, dass man versteht, was sie singt. Selbst die Soli von Cole, Binney, Wilkes und Martins kommen nicht über das hinaus, was man schon tausend Mal gehört hat. Wenn mediokre Musik in ansprechender Aufmachung und Lautstärke ausreicht, für solch eine Begeisterung zu sorgen, kann einem das Sorge bereiten. Ja, das klingt nach Spielverderberei für Veranstalter, die unreflektiert einfach nur für „Spaß“ sorgen wollten und den auch noch undifferenziert und ohne Informationen auf die Bühne heben. Aber bei näherem Nachdenken könnte es auch dazu führen, solche Aufführungen in kommenden Jahren etwas professioneller anzugehen.

Die „Weltstars“ jedenfalls, die an diesem Abend zu erleben sind, musste man vorher nicht kennen und kann sie im Anschluss auch getrost wieder vergessen. Ach ja, und das Metropole Orkest wird in zwei Tagen auf einer „weltberühmten“ Bühne in Utrecht auftreten. Vermutlich wird es auch dort genügend Menschen geben, denen es reicht, Lärm zu konsumieren.

Michael S. Zerban