O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © André Scollick

Aktuelle Aufführungen

Revival vom Feinsten

GENESIS REVISITED
(Genesis, Steve Hackett)

Besuch am
The Bowl, Historische Stadthalle Wuppertal
15. April 2023
(Premiere am 14. April 2023)

 

The Bowl, Historische Stadthalle Wuppertal

Was lange währt, wird endlich gut, in diesem Fall sogar dreimal so gut. Denn diese Genesis-Revival-Veranstaltung war ursprünglich an zwei Abenden Mitte April 2020 terminiert. Als das Event bekannt wurde, waren ruckzuck sämtliche Karten für den Großen Saal der Historischen Stadthalle in Wuppertal verkauft. Doch dann musste alles wegen Corona abgeblasen und um ein Jahr verschoben werden. Das Virus blieb aber hartnäckig, und man musste erneut vertagen. Kaum eine Karte wurde zurückgegeben. Also ging der Veranstalter das Wagnis ein, seine jüngste Auflage der Reihe „Rock meets Classic“ um ein weiteres Konzert aufzustocken, das ebenfalls ausverkauft ist. Lange Rede, kurzer Sinn: An diesen Abenden passt keine Maus mehr in die gute Stube der Stadt. Dort oben auf dem Johannisberg ist richtig was los. Der Grund für solch eine Völkerwanderung dorthin ist schlicht und einfach mit einem Namen verbunden: Steve Hackett. Der legendäre Genesis-Gitarrist ist mit seiner Band angereist. Damit aber nicht genug: Auch das Sinfonieorchester Wuppertal und der exzellente Kammerchor Amici del Canto sind mit dabei. Solch eine Zusammensetzung mit diesem Musiker hat es bisher weltweit noch nicht gegeben.

Der Titel Genesis Revisited – frei übersetzt: Genesis wieder ins Leben gerufen – ist Programm. Damit ist an diesem Wochenende die Zeit von Anfang bis Mitte der 1970-er Jahre gemeint, als die mit zu den wichtigsten Vertretern des Progressive-Rock zählende britische Gruppe Genesis um den Sänger Peter Gabriel, Schlagzeuger Phil Collins und Gitarristen Steve Hackett bei der damaligen Jugend absolut in war. 1975 verließ Gabriel, zwei Jahre später Hackett die Band. Collins blieb, abgesehen von einer zehnjährigen Pause, bei Genesis bis zur Beendigung der Live-Aktivität im letzten Jahr.

Foto © André Scollick

Hackett ist sich bis heute treu geblieben. Fleißig komponiert und textet er wie seinerzeit weiter und pflegt die alten Hits. Deswegen ist er bis heute nach wie vor in aller Munde. Jeder der fast ausschließlich anwesenden jung gebliebenen Fans von damals, jetzt kurz vor dem beziehungsweise längst im Rentenalter, ahnen also, was kommt und werden nicht enttäuscht: rund 50 Jahre alte Evergreens und zu Klassikern gewordene Hackett- und alte Genesis-Hits vom Allerfeinsten. Angekündigt war zwar, dass das legendäre Album Selling England by the Pound aus dem Jahr 1973 komplett im Zentrum steht. Doch nur Firth of Fifth und Dancing with the Moonlight Knight stehen auf dem Programm. Niemanden stört es. Denn andere legendäre Oldies aus den allseits bekannten Vinylscheiben A Trick of the Tail, Wind & Wulthering, Foxtrot, Nursery Crime und seinem Studioalbum aus dem Jahr 1975, Voyage of the Acolyte kommen vor. Also: Alles, was das Herz begehrt, ist dabei. Und last but not least ein paar Hackett-Stücke nach seiner Genesis-Ära wie Out oft he Body und Serpentine Song.

Dieser rund zweieinhalbstündige Abend ist eine musikalische Kurzweil erster Güte. Dafür sorgt zum einen Hacketts Band, deren Mitglieder in der Szene einen exzellenten Ruf haben und seit Jahren mit ihm zusammenarbeiten. Schließt man die Augen und achtet etwa bei Supper’s Ready auf den Gesang, ähnelt Nad Sylvas in allen Belangen bewegliche Stimme frappant der von Peter Gabriel damals. Rob Townsend entlockt seinem Sopransaxofon und seinen Flöten anrührende Tonfolgen wie Soli und begeistert als nuancenreicher Perkussionist. Keyboarder Roger King steht hinsichtlich Spieltechnik und Sound dem Kollegen von damals, Tony Banks, in nichts nach. Für das exquisite Bassfundament ist Jonas Reingold zuständig, während Gary O’Toole an den Drums für treibend-wuchtige wie feingliedrig-zarte Rhythmen sorgt. Außerdem gibt es zwei kurze unspektakuläre Gastauftritte der Gitarristin Amanda Lehmann. Und der mittlerweile 73-jährige, fit wie ein Turnschuh wirkende Steve Hackett steht beziehungsweise sitzt schlicht jenseits jedweder Starallüren vorne an der Rampe und entlockt seinen Gitarren exakt solche Klänge, Tonfolgen und Soli, mit denen er vor einem halben Jahrhundert die damaligen Teenager und Twens in seinen Bann schlug. Perfekt aufeinander eingespielt präsentieren sie sich und verzaubern mit sich langsam entwickelnden, ruhigen musikalischen Linien bis hin zum heavy-treibenden Rock etwa bei El Niño.

Foto © André Scollick

Allzeit hat der kanadische Dirigent Bradley Thachuk, der eigens für dieses Projekt über den Großen Teich gekommen ist, den Überblick. Der Musikdirektor des Niagara Symphony Orchestra und ausgewiesene Spezialist in Sachen symphonischen Arrangements von U-Musik lotst umsichtig und präzise das Sinfonieorchester Wuppertal mit seinen ausgewogenen Streicher- und Bläsersätzen durch die Partituren. Auch der von Dennis Hansel-Dinar vortrefflich einstudierte Kammerchor Amici del Canto kann sich jederzeit auf ihn verlassen und glänzt mit harmonischen Vokalisen im Hintergrund wie stilvollen Gesängen etwa bei Afterglow.

Einen ganz kleinen Wehrmutstropfen gibt es trotzdem. Bekanntlich ist die Akustik des Großen Saals sehr heikel, wenn Musik verstärkt werden muss. Sie hat schon routinierte Tonmeister die Schweißperlen auf die Stirn getrieben. So übertönt an diesem Abend der rockige Sound der Band gerade die Streicherklänge oft und manche Chor-Partien. Das Publikum nimmt es nicht übel und hört darüber hinweg.

Bleiben die Genesis-Fans während des Konzerts richtig happy sitzen und schwelgen in alten Zeiten, begrüßen sie die Musiker anfangs derart frenetisch, als befände man sich in einem Tollhaus. Auch nach der letzten Nummer, dem bereits erwähnten Titel Supper’s Ready, gibt es kein Halten mehr: standing ovations inklusive Pfeifen, Grölen und Bravo-Rufen. Daran ändert sich nach der perfekt gespielten Zugabe, dem Hit The Musical Box, nichts. Man will Hackett und Co. partout nicht von der Bühne lassen. Doch irgendwann ist nun einmal Schluss. Also zieht man selig von dannen. Bestimmt werden viele ihren Enkeln neben anderen Anekdoten aus dem Leben auch begeistert von diesem Erlebnis erzählen und betonen: „Ich bin dabei gewesen“.

Hartmut Sassenhausen