O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Michaela Büttgen

Aktuelle Aufführungen

Konzert in Memoriam eines Musikmäzens

GEDENKKONZERT FÜR DETLEF MUTHMANN
(Diverse Komponisten)

Besuch am
27. Februar 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Historische Stadthalle Wuppertal

Seit über einem Jahr ist Wuppertal um eine Konzertreihe ärmer. Denn am 9. Dezember 2020 starb Detlef Muthmann, ein Mäzen, wie er im Buche steht. Er wurde 1939 in Wuppertal geboren und verdiente als Unternehmer mit mobilen Transportkühlanlagen im benachbarten Haan sein Geld. 2005 zog er sich aus dem Berufsleben zurück. Vier Jahre später rief er, der seit seiner Jugend die klassische Musik liebte und regelmäßig Konzerte wie Opern vor allem in der Historischen Stadthalle Wuppertal – kurz Stadthalle – besuchte, die Kammermusikreihe Saitenspiel mit rund zehn Konzerten pro Spielzeit im Mendelssohn-Saal dort auf dem Johannisberg ins Leben. Ihm gelang es, in dieser Zeit renommierte Ensembles in die Stadt zu holen: das Auryn-Quartett, das Rolston String Quartet, das Prisma-Quartett, das Artis-Quartett Wien, das Novus String Quartet, das Mandelring-Quartett, Bratschist Nils Mönkemeyer, Cellist Peter Bruns, Pianistin Klára Würtz und und und. Er legte Wert darauf, dass nicht nur populäre Werke gespielt wurden, setzte sich für weniger bekannte Tonkünstler und Zeitgenossen wie Ulrich Leyendecker, Alfred Schnittke, George Enescu, Sofia Gubaidulina, Ernest Bloch und Santiago di Murcía ein. Ein Herzensanliegen war ihm, Werke von den von Nationalsozialisten verfolgten Komponisten Erwin Schulhoff, Gideon Klein, Viktor Ullmann, Pavel Haas und Hans Krása ins Programm aufzunehmen. Ein Höhepunkt war außerdem die Aufführung sämtlicher Streichquartette Ludwig van Beethovens an drei Tagen mit dem Uriel-Quartett. Kurzum: Getrost kann man von kammermusikalischen Meisterkonzerten sprechen, die es gegeben hat. Doch damit nicht genug. Alle Musiker verpflichtete er zu Schulkonzerten in der Stadthalle. An Demenz erkrankte Personen und Leute mit geringem Einkommen lud er kostenlos zu seinen Konzerten. Wuppertaler Musikstudenten ermöglichte er einen Kammermusikkurs bei dem berühmten Minguet-Quartett. Des Weiteren ließ er die während der NS-Zeit abgeschlagenen Namen der jüdischen Musiker Felix Mendelssohn Bartholdy, Jacques Offenbach und Giacomo Meyerbeer wieder an der Stadthallenfassade anbringen. Die gesamten Aktivitäten finanzierte er vollumfänglich aus seiner eigenen Tasche. Für seine Verdienste und sein vorbildliches Mäzenatentum wurde Muthmann im November 2018 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Bescheiden trat er auf, machte kein Aufheben um seine Person. So saß er etwa in seinen Veranstaltungen im Mendelssohn-Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal nie wie auf dem Präsentierteller in der ersten Reihe des Auditoriums, sondern am Rand ein paar Reihen dahinter.

Sibylle Mahni – Foto © Michaela Büttgen

Silke Asbeck, Geschäftsführerin der Stadthalle, und der städtische Kulturdezernent, Matthias Nocke, lassen es sich nicht nehmen, ihn im Rahmen des Gedenkkonzerts mit kurzen Ansprachen zu würdigen, sein Leben Revue passieren zu lassen. Außerdem kommt die Tagesaktualität zu Wort, indem Nocke den kriegerischen Angriff Russlands auf die Ukraine auch im Namen des Wuppertaler Oberbürgermeisters Uwe Schneidewind und des Stadtrats scharf verurteilt. Und er weist ausdrücklich darauf hin, dass Russlands Präsident Wladimir Putin den jüdisch-ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj als Nazi bezeichnet und für einen Genozid verantwortlich macht. Komponist Lutz-Werner Hesse, der bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand letztes Jahr geschäftsführender Direktor der Wuppertaler Musikhochschule war und vor den Konzerthälften mit kurzen Worten durch das Programm führt, schließt sich mit einem Zitat des legendären Dirigenten Leonard Bernstein an, in dem ein musikalisches, jüdisches Herz schlug. Damit versuchte er die Welt ein Stück besser zu machen und seine Philosophie in die Welt zu tragen.

So viel zu dem weinenden Auge an dem Abend. Es gibt aber auch ein lachendes, und das betrifft den rein musikalischen Teil. Zum einen werden zwei Werke aus der Taufe gehoben – eine absolute Rarität im Konzertleben. Wenn überhaupt, ist nämlich nur eine Uraufführung üblich. Zum anderen sind mit dem Schumann-Quartett, der Hornistin Sibylle Mahni und dem Pianisten Rainer Maria Klaas erstklassige Musiker zu Gast.

Los geht es mit dem fünfsätzigen Stück Des Baches Wiegenlieder für Horn und Klavier aus der Feder von Stefan Heucke. Er ist einer der ganz wenigen Künstler, der mittlerweile nur vom Komponieren leben kann. Denn seine Werke verschwinden nicht nach der Erstaufführung für unbestimmte Zeit in der Schublade, sondern werden regelmäßig gespielt. Seine Tonsprache ist erzählend. So verwendet er auch für seine Instrumentalwerke literarische Vorlagen. In diesem Opus 112 ist es das gleichnamige Gedicht Wilhelm Müllers. Musikalisch scheut er sich nicht, bekannte Melodien zu zitieren. Hier ist es die Vertonung von Franz Schubert, die das letzte Lied des Zyklus Die schöne Müllerin ist. Sangliche Melodien gehen Hand in Hand mit Tonrepetitionen, Klangverfremdungen. Sein Verfahren bezeichnet er als synthetische Tonalität. Damit ist eine Reihung von Dur- und Molldreiklängen gemeint, die durch Überlagerungen von Rhythmen und Melodien verfremdet werden. In diesem Werk übernimmt das Horn den melodiösen Part, während auf dem Klavier damit korrespondierend, reflektierend und kontrapunktierend die komplexen Strukturen liegen. Hornistin Sibylle Mahni und Pianist Rainer Maria Klaas verstehen es ausgezeichnet, den reichhaltigen Gehalt klar und fein abgestuft zum Ausdruck zu bringen.

Rainer Maria Klaas – Foto © Michaela Büttgen

Es liegt nahe, dass sich Joseph Haydns berühmtes Kaiserquartett anschließt. Denn Heucke hat sich einmal mit dem zweiten Satz in seinen Variationen mit Haydn op. 85 für Klavier auseinandergesetzt. Unfreiwillig ist er auch tagesaktuell, verarbeitete er doch 1797 seine zum Deutschlandlied gewordene Melodie, damals bekannt als Kaiserhymne alias Gott erhalte Franz, den Kaiser angesichts der Niederlagen Österreichs gegen die Truppen Frankreichs zu dem Variationssatz Poco Adagio. Cantabile. Hinzu kamen die Schrecken des österreichischen Erbfolgekriegs, die er als Kind erlebt hatte und die sich tief in seinem Gedächtnis eingebrannt hatten. Dieses Werk mit seinen feinen Phrasierungen intoniert das Schumann-Quartett sehr homogen, fest zupackend und schwungvoll. Vielleicht hätte nur der Cantus firmus, also die durch die Stimmen gehende Kaiserhymne in den Variationen des zweiten Satzes, dynamisch ein wenig verhaltener intoniert werden können. Dann wäre der meisterhafte Umgang mit den Harmonien, die von Abschnitt zu Abschnitt immer chromatischer werden, noch deutlicher hervorgetreten.

Die zweite Uraufführung stammt von Lutz-Werner Hesse. Es handelt sich um einen Auftrag Muthmanns, den er ihm anno 2019 erteilt hatte. Zu einer Aufführung zu seinen Lebzeiten kam das einsätzige sechsteilige Quintett für Horn und Streichquartett mit der Opuszahl 84 nicht leider mehr. Hesses Oeuvre beinhaltet hauptsächlich orchestrale und kammermusikalische Werke unterschiedlicher Besetzung. Viele von ihnen erklangen in Wuppertal zu ersten Mal. Etliche seiner Tonschöpfungen wurden und werden in Europa bis hin in die USA und Japan aufgeführt. Der Komponist selbst bezeichnet sein Quintett als „unterhaltsam und erhebend“. Ähnlich wie bei Heucke ist dem Horn die harmonische, melodiöse Aufgabe zugeteilt. Laut Hesse verlässt das Instrument nicht seine althergebrachte Tradition. Weniger komplex, harmonischer, wesentlich geschmeidiger, hin- und herbewegender ist der Klang des Streichquartetts. Wie bei Heucke präsentiert sich Mahni auch hier als eine brillante Hornistin. Eine große, runde, warme Tongebung paart sich mit hoher Virtuosität und großem musikalischen Tiefgang. Sehr einfühlsam intoniert sie Hesses musikalische Linien, mitatmend und nuanciert vom Schumann-Quartett begleitet.

Ihre große Klasse demonstrieren die drei Brüder Mar, Erik und Ken Schumann sowie der Bratschist Veit Hertenstein zu guter Letzt bei Antonín Dvořáks Streichquartett in F-Dur, bekannt als Amerikanisches Quartett. Die große Vielfalt des „American way if life“, die er während seines Aufenthalts in den USA Ende des 19. Jahrhunderts kennenlernte und musikalisch in dieses Werk einfließen ließ, vermitteln sie mustergültig mit viel Verve, einer sonoren Tongebung und großen musikalischen Spannungsbögen.

Stehende Ovationen sind der Dank für das eindrucksvolle Gedenkkonzert, das als Finale der Reihe Saitenspiel bezeichnet werden kann. Übrig bleibt der Wunsch nach einer Neuauflage solch einer kammermusikalischen Meisterkonzertreihe in Wuppertal. Dafür sprechen nach kleinen Anlaufschwierigkeiten die stets ausgezeichnet besuchten Konzerte wie diese Gedenkveranstaltung.

Das Konzert hat der Westdeutsche Rundfunk aufgezeichnet. Es wird am 4. März um 20 Uhr auf WDR 3 gesendet.

Hartmut Sassenhausen