O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Ganz zart bis voluminös

DER FEUERVOGEL
(Diverse Komponisten)

Besuch am
2. Dezember 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf in der Historischen Stadthalle Wuppertal

Was macht eigentlich der Nachwuchs der Musiker in diesen Zeiten? Der Betrieb an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf läuft halbwegs. Das Schulgebäude erinnert an einen Hochsicherheitstrakt, was digital zu lösen ist, wird online absolviert. Aber manches geht eben nur in persönlicher Anwesenheit. Wie etwa das jährliche öffentliche Konzert des Sinfonieorchesters, das gegen Jahresende in der Tonhalle Düsseldorf und der Historischen Stadthalle Wuppertal veranstaltet wird. Dazu stellt Rüdiger Bohn ein Programm zusammen und ruft seine Kollegen der verschiedenen Instrumentengattungen auf, ihm ihre Studenten zu schicken, mit denen er dann die Stücke einarbeitet. Werden Instrumente benötigt, die an der Düsseldorfer Musikhochschule nicht gelehrt werden, helfen auch schon mal die Institute benachbarter Städte aus. Bohn ist Professor für Dirigieren. Studiert hat er Klavier und Dirigieren in Köln und Düsseldorf. Nach einer Solisten- und kammermusikalischen Karriere am Piano wechselte er ins Dirigierfach, wo er sich im Lauf der Jahre mehr und mehr auf die zeitgenössische Musik kaprizierte. Eigentlich zählen seine Studentenkonzerte zu den Höhepunkten im Hochschulbetrieb des Wintersemesters.

Rüdiger Bohn kann sich entspannt zeigen – Foto © O-Ton

In diesem Jahr wurde das für November geplante Konzert in der Düsseldorfer Tonhalle gestrichen. Ehe dasselbe auch noch in der Historischen Stadthalle Wuppertal passierte, zog Bohn die Reißleine. Das Konzert findet im leeren Konzertsaal statt und wird live gestreamt. Zu viele Menschen haben zu viel Arbeit in die Vorbereitungen gesteckt. Ganz nebenbei hängt auch noch ein Projekt des Instituts für Musik und Medien in Düsseldorf dran. Die Studenten des Instituts sind bereits am Nachmittag eingetroffen, haben ihre Vorbereitungsarbeiten – Kameras aufbauen, Kabel verlegen, Mikrofone stellen, Einstellungen proben – pünktlich abgeschlossen. Auch die Firma, die mit der technischen Seite des Livestreams beauftragt wurde, hat ihre Gerätschaften vorbereitet. Als die jungen Musiker die Bühne betreten, bringen sie spürbare Energie mit. Einer der stärksten Eindrücke dieses Abends wird die Konzentration und Professionalität aller Beteiligten sein. Kommilitonen haben die Bühne vorbereitet, dazu gehört jetzt auch das routinemäßige Stellen der Plexiglas-Wände.

Rüdiger Bohn tritt vor das Orchester. Für das erste Stück des Abends braucht er wirklich keine Partitur. Claude Debussys Meisterwerk Prélude à l’après-midi d’un faune – zu Deutsch: Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns – wird oft als die erste Komposition der Moderne bezeichnet und hier in der Fassung für Kammerorchester von Paolo Fradiani vorgetragen. Diren Duran kommt die Ehre zu, den Abend auf ihrer Querflöte zu eröffnen. Es gelingt ihr meisterlich mit zarten, sanften Klängen, die es ihren Kommilitonen erleichtern, in die Faun-Fantasien einzutauchen. Bohn darf es laufen lassen, gibt ein wenig Einsatzhilfen, hält sich aber sonst eher zurück und genießt. Ein gelungener Einstieg. Ein klein wenig gruselig wirkt sie schon, die Verbeugung des Orchesters vor dem leeren Saal. Man muss sich als Musiker vermutlich sehr genau vor Augen führen, dass man sich vor der Kamera auf der Galerie am Ende des Saals verbeugt. Später wird die Musikhochschule zufrieden eine Zahl von 200 Zuschauern vor den heimischen Monitoren bekanntgeben.

Bei dem Programm und ohne Werbung scheint das eine ganz ordentliche Beteiligung. Denn schon das zweite Werk ist kaum geeignet, als Publikumsmagnet zu dienen. Zu Unrecht. Denn die fünf Stücke für Orchester, opus 10, die Anton Webern 1913 fertigstellte, überfordern keinen Hörer. Filigran im Spiel bilden Orchester und Dirigent eine Einheit, konzentrieren sich die Akteure auf die zahlreichen Feinheiten der Partitur und üben sich in Werktreue. Die lyrische Gestaltung, die Webern in Klangfarben und Kürze der Stücke zum Ausdruck bringen wollte, werden verständlich und einfühlsam wiedergegeben.

Diren Duran eröffnet das Konzert – Foto © O-Ton

Es braucht keine große Fantasie, sich vorzustellen, wer in einem solchen Programmablauf nicht fehlen darf. Was in der historischen Reihenfolge eigentlich umgedreht werden müsste, wirkt in der Dramaturgie des Abends sehr gekonnt. Und so stehen die fünf Orchesterstücke, opus 16, von Arnold Schönberg, die 1909 entstanden, richtig an der dritten Stelle des Abends. Zumal die Kammerfassung erst sehr viel später entstand. Dass die Orchestermusiker sich diesem Werk widmen, ist keine Selbstverständlichkeit. Im späteren Berufsalltag werden sie damit wohl eher selten konfrontiert werden. Um so bewundernswerter, mit welcher Hingabe sie auch dieses Werk behandeln. Bohn greift hier ebenfalls zur Partitur und nimmt seine Schützlinge jetzt enger an die Hand. Es ist der Pflichtgang, der hier mit Bravour absolviert wird, ehe es zum sprühenden Finale eines höchst gelungenen Abends kommt.

Gerade mal 27 Jahre ist Igor Strawinsky alt – und dürfte damit als einer der ihren im Sinfonieorchester der Musikhochschule gelten – als er das Stück im Auftrage des Sergej Diaghilew komponiert, das ihn in der Pariser Welt berühmt machen wird. Der Feuervogel aus dem Jahr 1910 ist eine Ballett-Suite, die das Orchester in der Fassung für Kammerorchester von Paul Leonard Schäffer spielt. Wobei der Begriff des Kammerorchesters eindeutig in die Irre führt. Denn Bohn gelingt es, die Studenten an den richtigen Stellen zu eindrucksvollem Volumen zu bringen. Was bei der gezeigten Spielfreude aber auch wirklich nicht schwierig ist. Und so dürften auch die Zuschauer des Livestreams voll auf ihre Kosten kommen.

Was aber schon den jungen Orchestermusikern fehlt, ist die unmittelbare Rückkopplung des Publikums vor Ort. Da gibt es kein Jubeln im Saal, was an vielen Stellen angebracht gewesen wäre, keine wiederholten Verbeugungen des Dirigenten, der immer wieder auf die Bühne gerufen wird, um ihn und sein Orchester zu feiern. Das hält doch keiner aus. Und da sind Jubeln und Applaus hinter der Bühne nach dem Ende der Übertragung die Erlösung. Die verdiente Befreiung nach dem Höchstmaß an Disziplin und Anspannung bricht sich Bahn. Bohn zeigt sich mit allem Recht höchst beglückt über das Ergebnis eines Abends, der unter stark erschwerten Bedingungen entstand, was die Musiker aber offenbar nicht im Geringsten beeindrucken konnte. Auf diesen Nachwuchs dürfen wir uns freuen – wenn er denn in Zukunft Gelegenheit findet, sein Können zu zeigen.

Michael S. Zerban