O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Peter Wieler

Aktuelle Aufführungen

Erlesener Klavierabend

DANKE, WUPPERTAL!
(Diverse Komponisten)

Besuch am
27. Oktober 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Klavier-Festival Ruhr, Historische Stadthalle Wuppertal

Gut, Galakonzerte zu Ehren von Personen, die sich um etwas verdient gemacht haben, sind nichts Außergewöhnliches. Aber gleich drei an der Zahl, um ein und demselben Menschen großen Dank auszusprechen, sind wahrlich nicht alltäglich. Im vorliegenden Fall geht es um Franz Xaver Ohnesorg, der das Klavier-Festival Ruhr – kurz: KFR – seit Beginn seiner Intendanz im Jahr 2005 zu dem weltweit größten seiner Art gemacht hat. Außerdem rief er das Education-Programm ins Leben, das etliche Preise für seine Programme erhielt, darunter 2016 den renommierten Echo Klassik. So kommt aus nah und fern ein Who is Who der internationalen klassischen Musikszene zur ersten Veranstaltung in Wuppertals Historische Stadthalle, um ihm musikalisch ihren Respekt zu zollen. Die Künstler verzichten außerdem auf ihre Gage, sodass der Erlös aus dem rund dreieinhalbstündigen Abend vollumfänglich dem Festival zu Gute kommen kann, das bekanntlich rein privat finanziert wird. Ohnesorg lässt es sich nicht nehmen, selbst als Moderator durch den Abend zu führen.

Alfred Brendel – Foto © Peter Wieler

Bevor es jedoch im sehr gut besuchten Großen Saal losgeht, haben sich draußen wie bereits beim Eröffnungs- und Abschlusskonzert des diesjährigen Festivals eine überschaubare Zahl an demonstrierenden Klimaschützern versammelt, die gegen den Konzern RWE – kurz für Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk – wettern. Er ist in diesem Jahr General- und Hauptsponsor des KFR. Eine Handvoll von ihnen findet wie vor sechs Monaten in der Essener Philharmonie Zugang zum sehr gut besuchten Großen Saal und versucht, zu Beginn die Veranstaltung lauthals zu stören. Doch die Sicherheitskräfte scheinen darauf vorbereitet zu sein. Binnen weniger Minuten werden sie hinauskomplimentiert, begleitet von Buh-Rufen eines Großteils des Publikums. Ohnesorg zeigt sich gereizt und müsste gar nicht betonen, von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen, um die Protestanten des Saals zu verweisen. Es funktioniert auch ohne diese Bemerkung automatisch und unspektakulär.

Wenig später hat er sich wieder gefangen, begleitet den Ablauf routiniert und spickt seine Ansagen stichpunktartig mit für ihn wichtigen beruflichen Erlebnissen. Eine seiner stärksten Prägungen war nach eigenen Worten das Lockenhaus-Festival, dem er bereits in den 1980-er Jahren ein wenig half. Viele Musiker zählen seit Jahrzehnten zu seinen Freunden und Weggefährten. Darunter sind die Pianisten András Schiff und Alfred Brendel, die sehr oft beim KFR auftraten.

Als Solist spielt Schiff Johann Sebastian Bachs Capriccio über die Abreise des geliebten Bruders mit großer Akkuratesse, einer trocken-barocken Tongebung und zeichnet sämtliche Strukturen wie musikalischen Linien deutlich nach. Auch als Kammermusiker lässt er keine Wünsche offen. Bei Robert Schumanns Adagio und Allegro in As-Dur für Horn und Klavier op. 70 ist er ein sensibel-mitatmender Klavierbegleiter. So kann der Hornist Radovan Vlatković seine ganz große Klasse voll zur Geltung kommen lassen. Seine hohe Virtuosität, variable Tongebung in allen Tonlagen und die Gestaltung großer musikalischer Spannungsbögen faszinieren. Ein ebenfalls berühmter Musiker, den Ohnesorg seit seinen ersten Lockenhaus-Tagen kennt, ist der Geiger Gidon Kremer. Er hat Franz Schuberts Sonate in A-Dur, D 574 für Violine und Klavier mit im Gepäck. Hier achtet Schiff sehr auf eine zarte Anschlagsdynamik. Denn würde er nur ein klein wenig zu laut spielen, wäre die Violine kaum hörbar. Kremer entlockt an diesem Abend seinem Instrument keine tragfähigen Töne, die zudem zwischendurch nicht ganz intonationsrein sind.

Gidon Kremer und András Schiff – Foto © Peter Wieler

Ein weiterer Pianist ist Stammgast des KFR: Pierre-Laurent Aimard, ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik. Seinem exzellenten Ruf wird er voll gerecht, als er Miniaturen aus den Federn von György Ligeti und György Kurtág, die teilweise zur Zeit ihrer Entstehung als unspielbar galten, leicht wie eine kleine Fingerübung differenziert und dem ihnen innewohnenden emotionalen Gehalt wie aus einem Guss vorträgt. Zwischendurch rezitiert unterhaltsam Brendel, der Ende 2008 seinen Beruf als Pianist an den Nagel hängte, mit einem großen Schalk im Nacken aus der poetischen Literatur der Unsinnspoesie kurze Texte.

Till Fellner, den Brendel einst förderte und der heute anerkannter Pianist ist, ist mittlerweile zum 15. Mal beim KFR zu Gast. Die ersten beiden der vier Impromptus aus D 953 von Franz Schubert hat er mitgebracht. Er hält sich streng an den Notentext inklusive Tempi, führt sie schnörkellos auf und legt Wert auf Sachlichkeit.

Fabian Müller ist oft beim Education-Programm mit dabei. Er wird zwar vielleicht wegen seiner wirkungsvollen Spielweise sogar mit stehenden Ovationen gefeiert. Doch Ludwig van Beethovens berühmte Klaviersonate Appassionata kommt gerade im Forte sehr wuchtig daher. Auch gelingen ihm einige schnelle Läufe und Ton- wie Akkordrepetitionen tadellos. So kommt der starke Einsatz des rechten Pedals wohl nicht von ungefähr, um dieses Manko zu verschleiern zu versuchen.

Last but not least ist es Kit Armstrong, der zum wiederholten Mal zu Gast ist und Werke von zwei Komponisten der elisabethanischen Epoche vorstellt, John Bull und William Byrd. Ganz im Sinn des Frühbarocks entlockt er dem Konzertflügel nüchterne Töne, dabei das rechte Pedal nur verhaltend verwendend. Kunstfertig sind seine abwechslungsreichen Melismen, also musikalischen Verzierungen. Damals war es den Interpreten anheimgestellt, sie oft oder selten zu verwenden. Armstrong macht ausgiebig Gebrauch davon. Manche mögen diese Haltung, andere wiederum weniger. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten.

Sämtliche Interpreten werden vom Publikum ausgiebig mit langanhaltendem, frenetischem Beifall gefeiert. Manche Künstler nehmen Ohnesorg zum Abschied kurz in den Arm.

Hartmut Sassenhausen