O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Grandioser Duo-Abend

MARTHA ARGERICH | MISCHA MAISKY
(Ludwig van Beethoven, Frédéric Chopin, Claude Debussy)

Besuch am
6. Juni 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Klavier-Festival Ruhr, Historische Stadthalle Wuppertal

Als im Januar das Klavier-Festival Ruhr sein diesjähriges Programm veröffentlichte, gingen sofort die Karten für das Konzert mit Martha Argerich und Mischa Maisky im Großen Saal der Historischen Stadthalle in Wuppertal weg wie warme Semmeln. Ruck zuck war es ausverkauft. Auch wer die wenigen Karten, die kurz vor dem Termin wieder in den Handel gingen, ergattern wollte, musst ganz schnell sein. Lange Rede, kurzer Sinn: Es passt also an dem Abend keine Maus mehr in das Auditorium hinein. Bevor aber die beiden legendären Musiker die Bühne betreten, werden zunächst die Besucher mit einer musikalischen Begrüßung in die Verantwortung genommen, die sich nicht zweimal bitten lassen. „Happy Birthday dear Martha“ und „Happy Birthday dear Mischa“ singen sie inbrünstig, nachdem der scheidende Intendant Franz Xaver Ohnesorg verkündet hatte, dass tags zuvor Argerich Geburtstag hatte und Maisky am 10. Januar seinen Ehrentag hatte. Außerdem ist es in diesem Jahr 50 Jahre – also ein Jubiläum – her, dass er in Europa ansässig wurde, nachdem er es über Israel schaffte, sich aus der Sowjetunion abzusetzen. Dort wurde er 1970 in ein Arbeitslager gesteckt. Er galt nämlich als Staatsfeind, weil seine Schwester ins Exil nach Israel gegangen war. Viele weitere Worte über die 82-jährige argentinisch-schweizerische Pianistin und den 75-jährigen Cellisten zu verlieren, hieße Eulen nach Athen tragen angesichts ihrer großen Popularität seit über 50 Jahren.

Das Geburtstagsständchen mündet nahtlos in frenetischem Beifall, als die beiden Protagonisten die Bühne betreten und sich nach einer kurzen schlichten Verbeugung hinsetzen. Ludwig van Beethovens Noten der Sonate für Violoncello und Klavier in g-Moll op. 5/2 liegen auf den beiden Pulten. Als bereits der ersten beiden Takte im Fortepiano einhergehend mit einem sonor-singenden G des Cellos höchst spannungsgeladen von der Bühne kommt, ist jedem klar, dass es in den kommenden zwei Stunden großartige Musikdarbietungen geben wird. Argerich und Maisky kennen sich seit Jahrzehnten und treten seitdem regelmäßig gemeinsam auf. So ist ein blindes Verständnis füreinander und eine seelenverwandte musikalische Haltung in dieser Zeit entstanden, die während des gesamten Abends deutlich hörbar sind. So kommen an diesem Abend Beethovens Cellosonate, die von Claude Debussy in d-Moll und die in g-Moll op. 65 Frédéric Chopins wie aus einem Guss von der Bühne. Selbst die filigransten und vielschichtigsten Strukturen werden deutlich und ausgewogen dargestellt. Etwa paaren sich gekonnt bei Beethovens erstem Satz die großen Melodiezüge des Cellos mit den Triolen des Tasteninstruments. Energisch-ausgelassen kommt das anschließende finale Rondo daher. Dann werden bei Debussy anhand eines großen musikalischen Spannungsbogens der zweite und dritte Satz als große Einheit geformt. Dabei gehen unter anderem die Pizzicati des Saiteninstruments und die Staccati des Flügels kongenial Hand in Hand miteinander. Bei Chopin sprühen die beiden Binnensätze vor großer Melodik. Erfrischend kapriziös und sehr gesanglich während des Trios erklingt das Scherzo, gefolgt von dem Largo, das ausgesprochen lyrisch angelegt ist.

Es ist nicht allein die extrem große Akkuratesse bei selbst den virtuosesten Passagen, mit der das Duo im Verlauf des über weite Strecken spieltechnisch sehr anspruchsvollen Programms brilliert. Genauso frisch und wie spielerisch leicht intoniert es außerdem als zweite Zugabe das Allegro aus Dmitri Schostakowitschs Cellosonate op. 40. Dabei handelt es sich um ein wildes Scherzo, das ebenfalls an die Interpreten höchste Ansprüche stellt. Vor allem ist es die hochmusikalische und zutiefst emotionale Vortragskunst, mit der Argerich und Maisky brillieren. Vom leisesten Piano bis hin zum mächtigen Forte lässt Maisky das tragfähige Cello ungemein anrührend singen. Dieser Tongebung steht Argerich dank ihres hoch sensiblen und sehr variablen Anschlagskultur und Pedaltechnik in nichts nach. Traumhaft schön, mit einer erstklassigen Klangbalance zwischen den beiden Instrumenten, ist Chopins Finalsatz zu vernehmen. Hinzu kommen als erste und dritte Zugaben Franz Schuberts „Du bist die Ruh“ und Fritz Kreislers „Liebesleid“, die sämtliche Herzen höher schlagen lassen.

Schließlich gibt es kein Halten mehr. Es geht zu wie in einem Tollhaus: verdiente stehende Ovationen, ohrenbetäubendes Pfeifen, Grölen, Bravo-Rufe ohne Ende wie bei großen Rock-Pop-Events. Sie ebben erst nach den Zugaben allmählich ab. Anschließend verlässt ausnahmslos jeder Besucher glücklich und zufrieden Wuppertals gute Stube. Dieser Abend wird allen wohl lange nachhaltig in Erinnerung bleiben. Manche werden bestimmt noch Jahre später in epischer Breite darüber erzählen und betonen: „Ich war dabei“.

Hartmut Sassenhausen