Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
TRIADISCHES BALLETT
(Diverse Komponisten)
Besuch am
23. Juni 2023
(Premiere)
Ausgefallene Formate sollte ein internationales Musikfestival immer im Programm haben. Mit dem Triadischen Ballett nach Oskar Schlemmer begibt sich das Würzburger Mozartfest dafür ins Museum im Kulturspeicher. Leider reichen dort dann die Plätze nicht aus, um die vielen Kartenwünsche zufriedenzustellen. Wer aber das Glück hat, die Veranstaltung mitzuerleben, geht hochzufrieden nach Hause. Wieso aber der Bauhauskünstler mit seinen Marionetten-Ballett bei dem Musik-Event, bei dem Mozart als Namengeber fungiert? Vor allem, weil Schlemmer dafür auch Werke von Mozart ausgewählt hat, weil nämlich der bildende Künstler bei den eigentlich beabsichtigten Komponisten wie Hindemith und Kollegen nicht die passenden Stücke fand. Bei der Uraufführung 1922 in Stuttgart wurde eine Händel-Suite gespielt, die nun von der Pianistin Ragna Schirmer, artiste étoile des diesjährigen Mozartfestes, wiederbelebt wird und mit dem weiteren Programm dem entspricht, was Schlemmer damals als Begleitung für die farblich unterschiedlichen drei Ballett-Teile vorgesehen hatte: „Erst war das Kostüm, die Figurine. Dann ward die Musik gesucht, die jenen am ehesten entsprach – bei der Moderne nicht zu finden, wohl aber, wenn auch behelfsmäßig, bei den Alten.“ Mit den „Alten“ meinte Schlemmer Georg Friedrich Händel, dann wohl die jüngeren italienischen Komponisten Mario Tarenghi und Mario Enrico Bossi, sowie Claude Debussy, Joseph Haydn, Wolfgang Amadé Mozart, Pietro Domenico Paradisi, Baldassare Galuppi und als Abschluss Händels Passacaglia aus der Suite Nr. 7 g-Moll HWV 432.
Eingeleitet aber wird die Vorführung im Kulturspeicher von einem aus der Ferne gelenkten „Tanz“ einer Marionette an einer Art ferngesteuertem „Galgen“, den Mechanismus des Tanzes symbolisierend, begleitet vom Klack-Klack-Rhythmus von drei Metronomen. Heinrich von Kleists Anmerkungen Über das Marionettentheater werden zweimal vorgelesen, in denen sich der Dichter gegen das reflektierende Bewusstsein als Gefährdung von Anmut und Grazie wendet. Das eigentliche Ballett, hier nicht von Menschen, sondern von Marionetten getanzt, beginnt dann als Ouvertüre mit der Händel-Suite. Im leider etwas engen und niedrigen Raum des Ausstellungssaals klingt der Steingraeber-Flügel zu massiv, zu wenig farbenreich, und unter den Händen der um Variabilität bemühten Pianistin deshalb zu eindeutig. Ihr großes Verdienst aber ist es, dass sie sich diesem Wagnis stellt, für die Realisierung mit verantwortlich zeichnet und selbst Misshelligkeiten nicht scheut.
Foto © Beate Kröhnert
Für das Publikum aber, das konzentriert lauscht und sich an witzigen Klavier-Kapriolen erfreut, die drei Teile des Triadischen Balletts atemlos verfolgt, ist das Ganze ein faszinierendes Erlebnis. Die Marionettenführer und die Bühne hinter dem Klavier wechseln programmgemäß dreimal die Farben: Die ersten fünf Tänze finden in Gelb statt, analog der neueren Musikstücke, der zweite Teil erscheint in Rosa, dominiert von Mozart, und der letzte Teil ist von Schwarz umgeben, zu barocken Musikstücken mit dem traurigen Händel-Schluss. Vor dem farbigen Hintergrund vergisst man schnell, dass die Puppen souverän an Fäden geführt werden von Christian Fuchs, der das Ganze inszeniert hat; er wird assistiert von den Mitspielern Emma Teichert und Patrick Jech. Gebaut wurden die Marionetten von Marianne Erben und ihrem Ehemann Kurt; sie sind maßstabgetreue Nachahmungen der originalen großen Figurinen der Stuttgarter Uraufführung. Damals waren die Menschen in den oft steifen, wattierten, grafisch betonten und plastisch erscheinenden Kostümen mit oft konstruiertem Kopfputz an natürlichen Bewegungen gehindert, konnten nur abgezirkelte Schrittfolgen vollführen; das Körperliche war zurückgedrängt. Das kommt aber dem unnatürlichen, mechanischen Puppenspiel entgegen, es abstrahiert und stilisiert den Tanz. Noch eines darf man nicht vergessen: Schlemmer hebt die Bedeutung der Zahl Drei für das Triadische Ballett hervor und schreibt dazu, sie sei die „wichtige, beherrschende Zahl, bei der das monomane Ich und der dualistische Gegensatz überwunden sind und das Kollektiv beginnt“. Kollektiv aber staunt das Publikum über die Einheit von Musik und tanzenden Marionetten, wie sich eine zierliche Puppendame anmutig bewegt, sich dreht, lebendig und gleichzeitig mechanisch wirkt zu Tarenghis Allegro scherzando , wie sich zwei etwas ungelenke Gestalten in gestreiften, dicken Hosen in Grazie vor einer Tänzerin profilieren wollen, wie eine Puppe mit weißem Rock und orangefarbenen Beinen die Arme ausstreckt nach einer Partnerin in voluminösem, rosafarbenem Rock und es schließlich zum Kuss kommt; wie Puppen mit Gold-Kopf und Ballon-Ärmeln eine Art Turnübung versuchen, wie eine Art bunter Harlekin das Bein hebt und hüpft, dann aber müde wird.
Eine fast unirdisch graziöse weiße Tänzerin vollführt zu geschwinden Klavierläufen Kapriolen, Spagat und zarte Handbewegungen; bei Mozarts Menuett bewerben sich zwei Tänzerinnen synchron um einen Ritter, mit Kniefall und spreizenden Bewegungen sowie Hüpfen, und beim Alla-turca-Satz Mozarts, brillant vom Klavier gespielt, sind die Puppen „türkische“ Musikanten, die „Dame“ winkt graziös zum Abschied. Nun wird die Musik tragisch: Die Marionetten zeigen zwei Seiten ihrer Gestalt, kämpfen dramatisch mit angedeuteten Speeren und Schild, eine schwarze Ballerina trippelt zu geschwinden Klavierläufen, dreht sich immer schneller, wirbelt im Kreis, die Männer bemühen sich um die Dame, aber alles endet als Wunderwerk von Marionetten-Tanz, bunter Kostümierung und künstlicher Figuren-Beziehung. Eine Stunde konzentrierten Hörens und Schauens ist damit – vorschnell – zu Ende.
Das Publikum ist restlos begeistert, selbst diejenigen, die stehen müssen und die staunenden Kinder, und der Beifall dauert lange. Zur Belohnung dürfen alle noch „hinter“ die Kulissen schauen und die 18 Marionetten bewundern und fotografieren.
Renate Freyeisen