Kulturmagazin mit Charakter
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DIE SACHE MAKROPULOS
(Leoš Janáček)
Besuch am
28. Oktober 2023
(Premiere am 30. Januar 2022)
Der Stoff der dreiaktigen Oper des Spätromantikers Leoš Janáček Die Sache Makropulos aus dem Jahr 1926 irritiert: Es geht, nach dem Vorbild des Stücks von Karel Čapek um die irreale Story von einem geheimnisvollen Mittel, das angeblich Unsterblichkeit verleiht, nach der Menschen schon oft strebten, was in Zeiten von Künstlicher Intelligenz vielleicht denkbar wäre. Aber ist solches überhaupt sinnvoll? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Werks, das erst ab 1957 den Weg auf deutsche Bühnen fand. Der Komponist und Librettist beantwortet das mit dem Schluss seiner hochdramatischen Oper: Die berühmte Sängerin Emilia Marty, Protagonistin des turbulenten Konversationsstücks mit Auseinandersetzungen um Geld, Macht, Liebe, einem Erbschaftsstreit und Zweifeln am Wahrheitsgehalt der Äußerungen der Diva über ihre verschiedenen Namen und Identitäten drei Jahrhunderte lang entscheidet sich am Ende gegen das unsterblich machende Elixier. Sie reicht das Rezept dafür weiter an ihre scheinbare Nachfolgerin Christa. Doch die vernichtet es. Und Emilia ist erlöst: Wundervoll war’s, wie der Tod mich zart angerührt. Und davor hab‘ ich Angst gehabt? Der Mensch muss leben können angesichts des unentrinnbaren Todes; der gehört zum Dasein, er erlöst schließlich von den Zwängen irdischen Lebens, von der ständigen Perfektion des Künstlertums, von der unseligen Sucht nach ewiger Jugend. Unter dem sehr aufmerksamen Dirigat von Gábor Hontvári kann sich das Philharmonische Orchester Würzburg immer mehr entfalten und vermittelt mit flirrend bewegten Rhythmen, dunklen Bläserpartien und lyrisch betonten, ruhigen Momenten die innere Seelendramatik der handelnden, oft verunsicherten und verwirrten Personen.
Foto © Nik Schölzel
Dazu passt, dass Bühne und Kostümbild von Julia Katharina Berndt das Ganze erst einmal surreal erscheinen lassen. Zwei silberne Container werden von Maschinisten hin und her geschoben, lassen an eine experimentelle Anordnung denken, und Frisuren und äußere Aufmachung der Personen machen das Geschehen zunächst nicht verständlicher. Alles wirkt recht seltsam bis skurril-trashig. Mit dem Verlauf der grotesken Handlung aber lichtet sich einiges, vor allem, als die metallenen „Einhausungen“ sich öffnen, mit einem Vorhang an Theater-Auftritte erinnern. Nur die Hauptfigur Emilia Marty entspricht mit ihren schwebend flatternden Gewändern der Selbstdarstellung einer Diva des Gesangs. Durch die lebendige Personenregie von Nina Russi erschließt sich die Diskrepanz zwischen ihrem verletzlichen Innenleben, ihrer äußerlichen Härte und Unnahbarkeit und dem Unverständnis ihrer Umgebung. Die nimmt mit eigenen egoistischen Interessen an ihrem Lebensweg teil, glaubt ihr nicht, dass sie immer wieder die äußere Hülle und ihren Namen wechseln konnte und dass sie nun mit Hilfe eines Anwalts und eines Sollizitators an ein griechisches Dokument kommen will, das sich allerdings im Besitz von Jaroslaw Prus befindet. Der Preis dafür ist, dass sie sich dem unangenehmen Gutsbesitzer hingibt. Deshalb begeht dessen Sohn Jarek, in sie verliebt, Selbstmord. Emilia aber ist ihres langen Lebenswegs müde; ihr Urenkel und ein betagter ehemaliger Liebhaber lassen noch einmal Stationen ihres langen Daseins aufleuchten. Sie aber will das Experiment für Unsterblichkeit, das einst ihr griechischer Vater an ihr erfolgreich ausprobiert hatte, nicht weiter fortsetzen. Sie wählt den Tod als Befreiung. Am Ende begrüßen das alle als eine humane Lösung.
Foto © Nik Schölzel
Die Regie lässt die Opernhandlung zwischen vordergründiger Science-Fiction und real menschlicher Problematik pendeln, hintergründig mit dem Schwerpunkt auf existenziellen Fragestellungen und doch irgendwie unterhaltend. Dazu kommt die geschickte Zeichnung der Figuren. Ilia Papandreou ist nicht nur vom Äußeren her die ideale Besetzung der Rolle der Emilia Marty, attraktiv, selbstsicher als erfolgreicher Bühnenstar, aber auch entnervt von ihren Anhängern und männlichen Bewunderern, stets umweht von einer Aura der Einsamkeit und inneren Kälte. Glaubhaft vermag sie die Wandlung vom Überdruss an ihrem zu langen Leben bis zum mutigen Entschluss, den Zustand zu beenden. Überzeugend gelingt auch die stimmliche Bewältigung der schwierigen, omnipräsenten, facettenreichen Partie, ohne jeden Bruch mit klangschönem, kraftvollem Sopran bis zum ergreifenden Schluss. Die übrigen Personen werfen interessante psychologische Schlaglichter auf ihre jeweiligen Rollen. Brad Cooper zeichnet mit hellem Tenor Albert Gregor, den ständig leicht verunsicherten Urenkel und Verehrer der Diva; als Rechtsvermittler Vitek wuselt Mathew Habib ständig herum; seine Tochter Christa will auch Sängerin werden, gibt aber schließlich aber alle Hoffnungen auf eine Bühnenkarriere und Eingang in die Unsterblichkeit auf; warum sie so seltsam verkleidet und steif wirkt, erschließt sich wenig. Vero Miller zeichnet sie mit etwas beengter Stimme. Besonders bewährt sich Kosma Ranuer als Gutsbesitzer Prus im unerbittlichen, harten Auftreten und mit sicherem, starkem Bariton; ihn berührt der Tod seines Sohnes Janek, Joshua Whitener, kaum. Michael Tews gestaltet einen irgendwie geheimnisvollen Anwalt Dr. Kolenaty, der scheinbar alle Fäden in der Hand hält, aber dann doch keine Macht besitzt. Als eher komische Gestalt tritt Yong Bae Shin als uralter ehemaliger Liebhaber der Marty auf. Neben diesen Figuren wirkt die resolute Kammerzofe und Aufräumefrau der Emilia wohltuend normal, Barbara Schöller gibt ihr auch stimmlich glaubhaftes Profil. Selbst die Maschinisten sind am Schluss von Emilias Schicksal betroffen.
Das Publikum in der bei der Wiederaufnahme mäßig besetzten Blauen Halle spendet allen Beteiligten freundlichen Beifall.
Renate Freyeisen