O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Nik Schölzel

Aktuelle Aufführungen

Vom Fluch ewigen Lebens

DIE SACHE MAKROPULOS
(Leoš Janáček)

Besuch am
30. Januar 2022
(Premiere)

 

Theaterfabrik Blaue Halle des Mainfrankentheaters Würzburg

Die Sache Makropulos – der Titel dieser vorletzten Oper des Spätromantikers Leoš Janáček, der von 1854 bis 1928 lebte, hat so gar nichts „Romantisches“ an sich, sondern wirkt realistisch-kühl. Und doch irritiert an diesem Stoff nach dem Stück von Karel Čapek die geheimnisvoll-irreale Story von einem Mittel, das angeblich Unsterblichkeit verleiht, nach der Menschen schon oft strebten. Aber – wollen wir das überhaupt? Ist das sinnvoll? Diese Frage steht im Mittelpunkt der dreiaktigen Oper von 1926, die erst ab 1957 den Weg auf deutsche Bühnen fand. Der Komponist beantwortet diese Frage mit dem Schluss seines hochdramatischen Werks: Die berühmte Sängerin Emilia Marty, Protagonistin dieses Konversationsstücks mit den Auseinandersetzungen um Geld, Macht, Liebe, dem Erbschaftsstreit und den Zweifeln an dem Wahrheitsgehalt der Äußerungen dieser hochberühmten Sängerin über ihre verschiedenen Namen und Identitäten drei Jahrhunderte lang, entscheidet sich am Ende gegen das unsterblich machende Elixier; sie reicht das Rezept dafür weiter an ihre scheinbare Nachfolgerin Christa, doch die vernichtet es. Der Mensch muss leben können angesichts des unentrinnbaren Todes; der gehört zu seinem Dasein, aber er erlöst auch von den Zwängen irdischen Lebens, von der ständigen Perfektion des Künstlertums, von der unseligen Sucht nach ewiger Jugend.

In der Blauen Halle des Würzburger Mainfranken-Theaters kann dieses spannende, tiefsinnige Werk trotz Corona-Ausfällen im Orchester eine bejubelte Premiere feiern. Es funktioniert nämlich bestens mit Klavierbegleitung. Das erweist sich nicht als Verlust, sondern als stärkere Klarheit, als Betonung des musikalischen Stils von Janáček; er enthält wenig Melodik, hebt den Ausdruck des Sprechens, orientiert an Tonfall und Rhythmus der Sprache hervor und unterstreicht gelegentlich illustrierend die Seelenzustände der Figuren. Studienleiter David Todd am Klavier erfüllt seine Aufgabe bravourös, und Dirigent Enrico Calesso, mit viel Engagement am Pult, garantiert für eine packende musikalische Umsetzung.

Irritierend aber ist zuerst einmal die Handlung. Zwei Container werden auf der Bühne dabei ständig hin- und hergeschoben, ebenso machen die anfangs recht seltsam bis skurril-trashig  erscheinenden Kostümierungen und Aufmachungen der Personen durch Ausstatterin Julia Katharina Berndt das Geschehen zunächst nicht verständlicher. Mit dem Verlauf der grotesken Handlung aber lichtet sich alles, auch als die metallenen „Einhausungen“ sich öffnen, mit einem Vorhang an Theater-Auftritte erinnern. Nur die Hauptfigur Emilia Marty entspricht mit ihren schwebend flatternden Gewändern der Selbstdarstellung einer Diva des Gesangs. Durch die lebendige Personenregie von Nina Russi erschließt sich die Diskrepanz zwischen ihrem verletzlichen Innenleben, ihrer nach außen gezeigten Härte, ihrer abweisenden Haltung und dem Unverständnis ihrer Umgebung; diese nimmt mit eigenen Interessen an ihrem Leidens- und Lebensweg teil, glaubt ihr nicht, dass sie über 300 Jahre immer wieder die äußere Hülle und ihren Namen wechseln konnte und dass sie nun mit Hilfe eines Anwalts und eines Rechtsvermittlers an ein griechisches Dokument kommen will, das sich allerdings im Besitz des Jaroslaw Prus befindet. Der Preis dafür ist, dass sie sich dem unangenehmen Grundbesitzer hingibt. Dessen Sohn Janek, in sie verliebt, begeht deshalb Selbstmord. Emilia ist nun ihres langen Lebenswegs müde; ihr Urenkel und ein ehemaliger Liebhaber lassen noch einmal Stationen ihres Daseins aufleuchten. Sie aber will das Experiment für Unsterblichkeit, das einst ihr griechischer Vater an ihr – erfolgreich – ausprobiert hat, nicht weiter fortsetzen. Sie wählt den Tod als Befreiung. Auch die Übrigen begrüßen das als eine humane Lösung, als selbstbestimmtes Glück oder Unglück. Dank der Regie pendelt die Opernhandlung schlüssig zwischen vordergründiger Science-Fiction und real menschlicher Problematik mit dem Schwerpunkt auf existenzielle Fragestellungen, hintergründig und irgendwie doch mit leichter Hand unterhaltend.

Ein Plus ist hierbei die geschickte Zeichnung der Figuren. Ilia Papandreou ist nicht nur von ihrem Äußeren her die ideale Besetzung für die Rolle der Emilia Marty: Sehr attraktiv, selbstsicher im Auftreten als erfolgreicher Bühnenstar, angebetet, aber auch entnervt von ihren Anhängern und männlichen Bewunderern, lässt sie keinen Menschen näher an sich heran, lässt sich immer von einer Aura der Einsamkeit umwehen, und auch ihre Liebesbeziehungen geben ihr letztlich keine Erfüllung. Glaubhaft vermag sie ihre Wandlung auszudrücken vom Überdruss an ihrem zu langen Leben hin zu dem mutigen Entschluss, diesen Zustand zu beenden. Besonders überzeugend aber gelingt die stimmliche Bewältigung der schwierigen, omnipräsenten, facettenreichen Partie, die Papandreou mit ihrem klangschönen, kraftvollen Sopran ohne jeden Bruch meistert bis zu einem ergreifenden Schluss. Die übrigen Personen in diesem irrealen Drama sind psychologisch interessant gezeichnet und passen stimmlich bestens in ihre Rollen. James Kee ist ihr leicht verunsicherter Enkel Albert Gregor, Mathew Habib der umtriebige Vitek, Akiho Tsujii seine quirlige Tochter Christa, Kosma Ranuer der harte Gutsbesitzer Prus, Joshua Whitener sein sensibler Sohn Janek, Michael Tews ein machtvoller Anwalt Dr. Kolenaty; sie alle sind verwickelt in den Erbschaftsstreit von Gregor und Prus. Als Beleg für Emilias frühere Existenz tritt Young Bae Shin auf als Hauk-Schendorf, und auch Barbara Schöller hat als Kammerzofe und Aufräumefrau einiges zu sagen. Alle aber sind am Ende betroffen von Emilias Schicksal.

Das Publikum in der coronamäßig voll besetzten Halle feiert die ungewöhnliche, zum Nachdenken anregende und auch mit und trotz Klavierbegleitung musikalisch gelungene und höchst anspruchsvolle Inszenierung lang, mit vielen Bravo-Rufen als Plädoyer für ein erfülltes Leben. Schade, dass diese Aufführung nur ein Solitär bleiben wird. Wann das Orchester dazu kommen wird – wer weiß …

Renate Freyeisen