O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Andreas Herold

Aktuelle Aufführungen

Weiblicher Triumph

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
18. November 2022
(Premiere)

 

Theater in der Bibrastraße, Würzburg

Was für ein Spaß bei Mozarts Opera buffa Le nozze di figaro! Starke Frauen setzen sich durch gegen Männer, die sich aus verschiedenen Motiven zu viel herausnehmen. Und die Versöhnung, der Friedensschluss zwischen den Paaren am Ende, im üblichen lieto finale, hält der stand? Eher unsicher. Denn die Charaktere, der erotomane, stets eifersüchtige Graf in seiner Machtposition mit seiner Gattin, die ihn trotz aller Erniedrigungen liebt, die raffinierte, selbstbewusste Dienerin Susanna mit ihrem Verlobten, dem einfallsreichen, ihr letztlich unterlegenen Figaro, der pubertäre Cherubino, der allen reiferen Frauen Avancen macht und schließlich bei der frechen Barbarina landet, die tatendurstige, etwas schrullige Marcellina mit dem ihr ergebenen Dr. Bartolo, werden sich kaum ändern. So bedeutet der Opernschluss nur ein temporäres Innehalten in einem permanenten Konflikt zwischen den Geschlechtern und sozialen Positionen. Dank Mozarts genialer Musik aber erhält das Ganze Witz und hohen Unterhaltungswert, verliert ein wenig an gesellschaftspolitischer Brisanz der ursprünglich revolutionären Vorlage von Beaumarchais‘ Stück La folle jourmée. Mozart und seinem Textdichter da Ponte geht es mehr um seelische Beziehungen der Personen untereinander als um soziale Positionen, etwa zu sehen an der menschlichen Nähe der Gräfin zu Susanna.

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Im Würzburger Theater in der Bibrastraße nun begeistern die Studenten der Opernschule der Würzburger Hochschule für Musik mit ansteckender Spielfreude und hervorragender stimmlicher Gestaltung. Das liegt zum einen an der geschickten, in jeder Bewegung auf die Musik reagierenden Inszenierung und der überzeugenden Charakterzeichnung durch Regisseurin Katharina Thoma. Sie kürzt sinnvoll, etwa in der Verkleidungsszene, lässt die deutschen Übertitel „moderner“ übersetzen, zum anderen können sich in der Ausstattung durch Verena Hemmerlein die Agierenden einfach wohlfühlen, mit ihren Rollen identifizieren. Die Handlung geschieht im Heute, und die jeweiligen Räume werden nur angedeutet durch Türen, Fenster oder Samthänger im letzten Akt, im Garten, der mit grüner Beleuchtung eine geheimnisvolle Stimmung erhält, während blaues Licht vorher auf Unsicherheit oder Befürchtungen hinweist. Alles beginnt in einem leeren Raum: Figaro, der das Zimmer einrichten will, schleppt Karton und Matratze herein, und als die Tüte mit Schrauben platzt, fallen diese herunter; er zählt sie ab, eine vergessene Schraube verhindert eine zärtliche Szene der beiden auf der Matratze – beide sind im Ikea-Zeitalter angekommen. Mit Verhinderungen geht es weiter. Susanna und dann auch der erst begriffsstutzige Figaro wollen den liebestollen Grafen vom leichten Zugang zu ihrer künftigen Wohnung abhalten, doch der will die Hochzeit der beiden torpedieren durch den intriganten Plan, Figaro mit einem gefälschten Darlehens-Vertrag ehelich an die ältere, aber durchaus aktive Marcellina zu binden. Doch das geht letztlich schief. Die nächste brenzlige Situation, die Entdeckung des Pagen Cherubino im Zimmer, kann gerade noch gemeistert werden. Auch die zarte Annäherung des Jungen an seine Patin, die Gräfin Rosina, wird knapp gestört, er aber muss sich verkleiden lassen, wird eingesperrt, ihm bleibt nur der Sprung aus dem Fenster in den Garten, um sich zu retten. Doch der Gärtner entdeckt seine Spuren. Als nun Marcellina samt Dr. Bartolo und Notar Don Curzio erscheinen, um das angebliche Eheversprechen mit Figaro einzuklagen, wird der Graf, der alles eingefädelt hat, schon wieder düpiert. Denn auf wundersame Weise stellt sich heraus, dass Figaro der Sohn von Marcellina und Bartolo ist. Nach einigen Verwirrungen kann die Doppelhochzeit stattfinden, doch der Graf muss noch bestraft werden für seine Machenschaften, wird zu einem nächtlichen Stelldichein in den Garten gelockt, um als Liebesabenteurer entlarvt zu werden. Aber Graf und Gräfin finden dabei doch wieder zusammen, Figaro und Susanna beenden ihr streitlustiges Geplänkel, Cherubino kriegt Barbarina, die sich eigentlich was anderes erhofft hatte, und alles ist in Butter. Wirklich?

In dieser Inszenierung geht es Schlag auf Schlag mit vielen witzigen Momenten, etwa mit neugierigen Beobachtern über der Suffite oder hinter dem Blumentopf in der nächtlichen Gartenszene. Zur Erheiterung trägt auch oft das Äußere bei, so wenn Marcellina mit Hütchen auf blonder Dauerwelle und im engen, knallbunt gemusterten Sommerkleid hereinschwebt, wenn Musiklehrer Don Basilio als rockiger Gitarrenspieler in Goldglanzjacke und in Leder auftritt, wenn die Brautjungfern in Glitzerlook erscheinen; auch der Chor als bunt gemischter Haufen junger Leute bevorzugt wohl Trash, allen voran Barbarina. Der Graf, anfangs im samtblauen Morgenmantel, später in silbergrauem Anzug, wirkt etwas durchschnittlich, während seine Frau Rosina sich vorteilhaft abhebt von der Masse durch ihr unaufdringlich elegantes Äußeres mit Cape und weiten Hosen. Die heutige, praktische Kleidung unterstreicht im Vergleich zu der des 18. Jahrhunderts das Persönliche, fördert ein unbeschwertes Agieren auf der Bühne.

Foto © Andreas Herold

Erstaunlich gut gerät auch die musikalische Seite: Das Projektorchester unter Leitung von Andreas Hotz spielt flott, mit „rundem“, warmem, wohligem Klang, wozu auch die Naturoboen beitragen, eilt nie zu sehr, deckt die Sänger nie zu, betont so Mozarts Oper als allgemein menschliches Seelendrama mit fast „romantischen“ Zügen und lebendigen Rezitativen bei inneren Verwicklungen. Auch wenn Jakob Ewert als Figaro in seiner jugendlich männlichen Erscheinung, seiner natürlichen Art der Bewegung und seiner schönen, tragenden, starken Stimme, etwa in der schwungvollen Kavatine Se vuol ballare sängerische Höhepunkte liefert, die eigentliche Hauptrolle hat die quirlige Susanna; sie besitzt Verstand und Herz, steht alle Akte hindurch auf der Bühne; Rebecca Suta brilliert mit ihrem klaren, höhensicheren, facettenreichen Sopran, gefällt besonders in den Rezitativen und auch in der genussvollen Arie Deh, vieni, non tardar. Zu dem nicht allzu sympathischen Grafen Almaviva passt der etwas flache Bariton von Dong Won Seo, der sich aber bei seiner Wut-Arie noch großartig steigern kann. Dieser Schürzenjäger ist eigentlich ein einsamer Mensch mit vielen Fehlern; trotzdem liebt ihn seine Frau Rosina. Kyoungmin Choi strahlt als Gräfin sehr viel innere Würde aus, strebt nach Harmonie mit den Menschen ihres Umfelds. Ihre Gefühle drückt die Sopranistin äußerst überzeugend aus, vor allem in der berühmten Arie Dove sono, einer Sternstunde dieser Aufführung, mit sanfter Fülle, geschmeidig gestalteten Linien, tollen Höhen, wunderbaren Nuancen und Steigerungen. Cherubino ist bei Nadine Süssenbach bestens aufgehoben. Sie verkörpert nicht nur in ihren Bewegungen und Reaktionen noch das Unsichere eines pubertierenden Jungen, sondern gestaltet auch mit unschuldig hellem, feinem Mezzosopran gesanglich diese Rolle äußerst ansprechend, so ihre poetische, verführerische Arietta Voi che sapete oder die von innerer Unruhe gezeichnete Arie Non so più cosa so. Nina Schumertl als Marcellina ist nicht nur äußerlich herrlich überzeugend, sondern sie verfügt auch über den für ihre Partie nötigen fundierten, in Höhe wie Tiefe sicheren Mezzosopran; dass ihr Gefährte Dr. Bartolo, Felix Lodel, ein etwas verklemmter Typ mit weichem Herz ist, passt zur Zeichnung dieser förmlich auftretenden Figur mit nicht allzu dunklem Bass. Die Rollen des intriganten Don Basilio und des vom Grafen abhängigen Notars Don Curzio erfüllt Adnan Barami mit sichtbarem Vergnügen und sängerisch mit viel Einsatz. Für das umtriebige Girlie Barbarina, Tochter des Gärtners Antonio, Emil Greiter, die aber auch traurige Seiten zeigt bei der Suche nach der Nadel, eignet sich Mechtild Söffler bestens dank ihrer hellen, beweglichen Stimme. Das äußerlich groteske Brautjungfern-Paar Anastasia Fendel und Stella-Verona Ulrich verstärkt noch die komische Seite dieser Opera buffa, bei der die tapferen, klugen Frauen im Mittelpunkt stehen. Abgerundet wird die Aufführung durch die Huldigungs-Chöre mit ihrem ausgewogenen Klang.

Nach dem glücklichen Schluss will das bis auf den letzten Platz gefüllte Haus gar nicht mit seinen Beifallsbekundungen aufhören.

Renate Freyeisen