O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Nik Schölzel

Aktuelle Aufführungen

Tanzenthüllungen

NAKED
(Dominique Dumais)

Besuch am
31. Januar 2020
(Premiere)

 

Mainfranken-Theater Würzburg

Tanz hat ganz viel zu tun mit Körperlichkeit. Diese Beziehung aufzudecken, gelingt Dominique Dumais mit ihrem Ballett Naked am Mainfranken-Theater Würzburg auf poetische und erstaunlich fesselnde Weise.

Die Chefchoreografin des Theaters greift dabei zurück auf ihre Uraufführung 2016 am Nationaltheater Mannheim. Doch nun ist etwas anderes daraus geworden. Das hat zu tun mit dem neuen Ort und zwölf anderen Tänzerinnen und Tänzern. Im Stück geht es nicht um Nacktheit, sondern um Enthüllung der jeweiligen Besonderheiten der Ausführenden, körperlich, anatomisch, vom Ausdruck und der Persönlichkeit her, um ihre so verschiedene Individualität.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Dass alle aber auch als Ensemble eine große Einheit bilden können, dass sie sich paarweise ordnen und wieder auseinanderstreben können, dass sie in Gruppen nach dem Gemeinsamen, der Verbindung oder dem Trennenden suchen, das wird eindringlich und spannend vorgeführt. Einzelne dürfen sich kurzzeitig profilieren, schließen sich aber bald wieder in die Gruppe ein oder verschwinden. Dumais orientiert sich bei ihrer Arbeit an der Anatomie des Menschen, an seinen natürlichen Bewegungen. „In unserem Körper ist nichts gerade; er besteht aus Kurven, Kreisen, Helix-Strukturen von geschwungenen Knochen bis zur DNA“, betont sie. Sie lässt sich vom Körper der Tanzenden inspirieren zu ganz natürlichen Bewegungen; bisweilen erinnert die Formation der hintereinander aufgereihten Tänzerinnen und Tänzer sogar an die Krümmung einer Wirbelsäule, nicht zuletzt durch die Hände, die sich daraus heraus strecken. Im Grund aber entwickelt sich bei diesem Ballettabend keine Handlung oder Idee – vielmehr entstehen poetische Eindrücke, optisch ein sich ständig veränderndes, insgesamt aber abgerundetes Bild von der Körperlichkeit des Menschen trotz aller Verschiedenheit beim Einzelnen.

Dieser abstrakte, „reine“  Tanzabend wird getragen von der eher schlichten Ausstattung von Tatyana van Walsum mit einer Bühne, die sich zu Anfang vorne erschließt, sich dann immer mehr öffnet, durch das Fallen von Vorhängen den Blick immer mehr frei gibt auf neue Räume; die Stoffbahnen sind zuerst dunkel, werden dann immer heller und durchsichtiger, dienen einerseits als Spielmaterial, unter dem man sich verstecken kann, aber auch als Hüllen, in die man sich einwickelt oder als Schleppe hinter sich herzieht. Die Tanzenden, zuerst in weich fleischfarbenen Hosen oder Hemdchen, später in Rot, schließlich in Schwarz erscheinend, werden vom Licht von Mariella von Vequel-Westernach weiß angestrahlt, wenn sie sich aus der Gruppe heraus profilieren; am Schluss aber erscheint die ganze Gruppe unbeleuchtet als vielfiguriger Schattenriss. Der Einzelne besitzt so keine individuelle Ausstrahlung mehr, und doch wirken die Körper imponierend vor dem nunmehr nach hinten weisenden weißen Vorhang, der schließlich als transparente, flatternde Hülle, als bewegte „Welle“ am Boden für einen verdeckten Abgang sorgt.

Alles aber wird zusammengehalten durch die Musik von Julia Kent. Sie sitzt seitlich auf der Bühne, spielt Cello und bedient dabei barfüßig die Vervielfältigung von Tönen durch Loops, elektronische Klänge und Klangstrukturen, erzeugt so Gefühltes wie Stress und Spannung oder innere Ruhe, emotionale Erfahrungen. „Es geht mir darum, Inneres aufzudecken in all seiner Zerbrechlichkeit“, sagt die Komponistin. Natürlich darf auch Gesprochenes bei einem modernen Tanzabend nicht fehlen.

Eigentlich aber lenkt das nur ab von der enormen Leistung der Tänzerinnen und Tänzer, die sich hier in den einzelnen Szenen völlig verausgaben, in körperlich äußerst aufregenden neuen Figuren und Duetten, in gymnastisch extrem anspruchsvollen Bewegungen und unglaublicher Biegsamkeit, in Rollen, Springen, Kreisen und die dennoch völlig bei sich scheinen, aufgehen in ihrer eigenen Körperlichkeit, in Gesten, neuartigen Hebefiguren, alles Ausdruck von Zuneigung, von Hilfe, von Anspannung, Erregung oder Abkehr voneinander. Das vermittelt eine große Ausdruckspalette menschlicher Körperlichkeit. Einzelne aus dieser Zwölfergruppe herauszugreifen wegen ihres beeindruckenden Einsatzes, wäre unangebracht, denn das ganze Ensemble bildet trotz aller Verschiedenartigkeit eine außerordentlich überzeugende Einheit.

Der Beifall im nicht ganz ausverkauften Haus ist enthusiastisch, und alle Mitwirkenden werden immer wieder auf die Bühne gebeten.

Renate Freyeisen