O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Andreas Herold

Aktuelle Aufführungen

Skeptische Fragen zur Liebe

GLAUBE, LIEBE – HOFFNUNG?
(Claudio Monteverdi, Sarah Nemtsov)

Besuch am
30. Mai 2025
(Premiere)

 

Opernschule der Hochschule für Musik Würzburg, Theater in der Bibrastraße

Frühbarocke Vorläufer musikalischer Dramatik in Kombination mit einer modernen Kammeroper – wie kann man das miteinander verknüpfen und wodurch? Mit dem großen, die Menschen bewegenden Thema der Liebe, ihren Verirrungen, Enttäuschungen und der Versprechung von Harmonie gelingt das, wobei Skepsis immer angebracht ist. Die Opernschule der Würzburger Hochschule für Musik geht unter der Regie und Leitung von Katharina Thoma das Wagnis ein, unter dem Titel Glaube, Liebe – Hoffnung? Werke von Claudio Monteverdi, der von 1567 bis 1643 lebte, aus dessen Madrigalen mit meist religiöser Thematik und seinem einzigen Opernfragment, alles eingeleitet vom sechsstimmigen Altri canti d’amor , zu verbinden mit dem zeitgenössischen Herzland von 2003 der Komponistin Sarah Nemtsov, die 1980 geboren ist, über die gescheiterte Beziehung des Dichters Paul Celan mit seiner Ehefrau Gisèle de Lestrange. Nahezu übergangslos werden die einzelnen Teile miteinander verzahnt, so auch Monteverdis Il combattimento di Tancredi e Clorinda mit dem Duo Seraphim aus dessen Marienvesper, in dem zwei Engel die aus „Versehen“ von ihrem „Liebsten“ Tancredi erschlagene, aber an ihrem Ende christlich getaufte Clorinda in den Himmel quasi als eine Märtyrerin erheben und sich mit ihr zu einer Art Trinität vereinigen. Unmittelbar darauf erfolgt das Lamento, die Klage der Arianna aus dem erhaltenen Fragment von Monteverdis gleichnamiger Oper, voller Schmerz, Verzweiflung und Zorn darüber, dass ihr Geliebter Teseo sie verlassen hat und mit dem Schiff fortgesegelt ist. Ihr Klagen wird aufgefangen von Giro il nemico, als drei Bühnenarbeiter darüber spotten, weil sie zu viel und zu stark geliebt habe, währenddessen sie Stühle und Notenpulte hereinschleppen und seitlich aufstellen.

Foto © Andreas Herold

Die dienen dann einem nun verkleinerten Orchester mit Flöte, Klarinette, Viola und Akkordeon in Herzland, um die inneren Dissonanzen zwischen einem Sänger und einer Sängerin, dem Ehepaar Celan, musikalisch zu illustrieren und hörbar zu machen. Für ihren Auftritt aber ist eine kleine Umbaupause nötig zur Andeutung eines bürgerlichen Haushalts mit Stehlampe, Sessel, Teppich und Schreibtisch für den Poeten, berühmt für seine „Todesfuge“, diesen traurig-bitteren Abgesang auf vernichtetes jüdisches Leben; und Celan verfiel aufgrund dieser Traumata in Verfolgungswahn und Depressionen, was ein Eheleben auch durch die Differenzen im Glauben unmöglich machte, obwohl beide sich immer noch liebten.

Während im 17. Jahrhundert der christliche Glaube zuständig war für eine Erlösung nach einem zerstörerischen Liebeszerwürfnis wie bei der Kreuzrittergeschichte mit der Verheißung des Himmels, während Ariannas zerstörerisches Wüten aus verschmähter und allzu übertriebener Liebe lächerlich gemacht wird, herrscht bei der realen und gescheiterten Liebes- und  Lebensgeschichte von Celan und seiner Frau deprimierender Ernst vor: Liebe und Treue zeigen sich als vergänglich und wandelbar, obwohl immer noch eine innere Beziehung bleibt. All das aber gehört zum Menschsein dazu, und erst im Schlussbild, als die Nacht Ruhe verspricht, alle Verirrungen gnädig zudeckt zum Madrigal Hor che il ciel e la terra, in dem sich alle Sänger in Schwarz vereinen in einer Klage von Monteverdi über die „Unerreichbarkeit des geliebten Wesens“, wie es im Programmheft heißt, also vom unerfüllbaren Traum menschlicher Nähe singen, mit dem man sich abfinden muss, entsteht so etwas wie ein doch versöhnlicher Gedanke, untermalt von den wunderbar ausgleichenden Klängen dieser „alten“, aber innerlich berührenden Musik, etwas, was vorher bei den eher dissonanten, verstörenden Klängen der Moderne in dieser Weise nicht eintreten wollte. Mit einer irgendwie skeptisch bewerteten Hoffnung endet nach zwei Stunden die geschickt kombinierte Zusammenschau auf mögliche Perspektiven von Liebesbeziehungen, auch in einer Absage daran, sich allzu sehr dem Bedürfnis der Leidenschaft hinzugeben.

Foto © Andreas Herold

Alles beginnt auf einer quasi leeren Bühne, auf der vorne jede Menge zerknüllter Liebesbriefe liegen; hinten aber sitzt das Orchesterensemble, das auf historischen Instrumenten spielt. Nur mit wechselndem Licht und durch die Andeutung einer „himmlischen“ Sphäre durch ein herabgleitendes weißes, transparentes, geschwungenes Tuch sowie durch den aufs Wichtigste reduzierten bürgerlichen Haushalt der Celans ergeben sich atmosphärische Räume im Bühnenbild von Verena Hemmerlein. Die Personen, ausgestattet von Ben van Heyden, tragen eigentlich neutrale Kleidung, die Engel oder Arianna in Weiß, die Kreuzritter eine Art fragmentierte Rüstung, der Bote, der von ihrem Kampf berichtet, einen hellen, weiten Mantel, und das Paar Celan heutige Alltagskleidung, wobei der Dichter als Erinnerung an seine ungesicherte Existenz über seinen gestreiften Schlafanzug einen Morgenmantel gestreift hat. Alles sonst kann sich das Publikum erschließen, etwa den Sohn Eric durch einen Spielzeug-Bären.

Abgestuft, rund und warm klingen die historisch informierten Instrumente des Orchesters unter der aufmerksamen Leitung von Julius Ebert. Die Stimmen der sechs Sänger harmonieren vor allem in den Ensembles bestens, wobei die amerikanische Sopranistin Sydney Penny ihre Partien wegen eines Bühnenunfalls im Rollstuhl absolvieren muss. Sarah Sophia Malki imponiert als Clorinda mit kampfesmutigem Auftreten und facettenreichem Sopran. Ihr vermeintlicher Gegner Tancredi, Juho Stén, lässt seinen kräftigen Bass mit viel dramatischem Nachdruck erklingen, und als klagende Arianna gestaltet die Mezzosopranistin Catarina Taira ihr Lamento äußerst eindrucksvoll mit feinen Verzierungen und großartigen, starken Steigerungen. Eine besondere Rolle nimmt Marcel Huber als Bote des Liebeskampfs ein; sein fein nuancierter, in den Höhen glanzvoll schimmernder Tenor bewältigt alle Anforderungen und Aussagen seiner Partie bravourös und bestens textverständlich. Als zweiter Tenor bewährt sich Nicolás Elias Spierling in kleineren Rollen. In Herzland aber gefällt besonders Isabel Grübl als Gisèle mit ihrer glaubhaften Gestaltung einer liebenden, aber an den Umständen verzweifelnden Frau und mit ihrem tragfähigen, äußerst variabel differenzierenden Mezzosopran, der stets in den Klangfarben angenehm klingt, nie schrill oder hart wirkt. Ihr Partner Paul wird von Emil Greiter als innerlich schon resignierter Mann dargestellt, und sein sicher geführter, wohl timbrierter Bass-Bariton vollzieht die wechselnden Stimmungen Celans eher zurückhaltend mit gelegentlichen Ausbrüchen nach.

Für die insgesamt spannende, ungewöhnliche Kombination zweier so verschiedener, aber im Innersten verwandter Werke gibt es langen, jubelnden Beifall.

Renate Freyeisen