O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Große Namen, großartige Programme

LIED FESTIVAL WÜRZBURG
(Diverse Komponisten)

Besuch vom
9. bis zum 13. März 2024
(Einmalige Aufführungen)

 

Festival Lied Würzburg, verschiedene Spielstätten

Das Festival Lied Würzburg bringt weiterhin sehr Interessantes, dazu unvorhergesehene Ereignisse. Anne Schwanewilms, gefeierte Strauss-Interpretin weltweit, hat mit Pianist Manuel Lange und Schauspieler Wolf-Dietrich Rammler ein sehr nahegehendes Programm zusammengestellt mit den Proses lyriques von Claude Débussy, Sieben frühe Lieder von Alban Berg und Sieben Lieder für Frauenstimme opus 94 des beim Konzert im Toscanasaal der Würzburger Residenz anwesenden Komponisten Stefan Heucke, geboren 1959. Letzterer hat seine Lieder nach Gedichten von Hilde Domin eigens für Schwanewilms in Musik gesetzt, die Sängerin ihrerseits fühlt sich von Domins Gedichten stark angesprochen, wie es in einer kurzen Einführung heißt. Ein ungemein anspruchsvolles und tiefgehendes Programm fordert die Zuhörer im zahlreich erschienenen Publikum. Viele junge Gesichter sieht man, auch die Schüler des Meisterkurses, den Schwanewilms gemeinsam mit ihrem brillanten Begleiter Manuel Lange im Rahmen des Festivals gibt.

Das Liedduo, das sein Programm auch auf CD veröffentlicht hat, beginnt mit den Proses lyriques, von Débussy gedichtet und komponiert. Symbolistische Traumwelten entfalten sich mit Exquisität im Raum: „D’étranges soupirs s’élèvent sous les arbres: Mon âme c’est du rêve ancien qui t’étreint! – Seltsame Seufzer steigen aus den Bäumen hoch: Es ist ein uralter Traum, der dich gefangen hält, meine Seele!“ heißt es im ersten Lied De rêve. Eine sehr feine, sehr durchsichtige Musik, die schwebende Stimmungen evoziert. Rammler steuert dem Abend drei Gedichte von Nikolaus Lenau und Hilde Domin bei, liest sie pointiert und sehr einfühlsam mit der sonoren Stimme des geübten Sprechers.

Schwanewilms‘ Stimme ist weich und seidig, und immer wieder blitzen die berückenden Strauss-Töne in der Höhe auf. Mit der etwas verschatteten, sehr innerlichen Tongebung gelingen leise, dunkle Passagen besonders gut: „Et la nuit à pas de velours Vient endormir le beau ciel fatigué – Und die Nacht kommt mit samtenen Schritten den schönen müden Himmel in den Schlaf zu bringen.“ Die Lieder sind sehr schwer, Schwanewilms ist höchst konzentriert, steht fast unbeweglich da und imaginiert aus dem Inneren heraus ihre Musik. Bei den Liedern von Berg gefällt sie in der Nachtigall, genießt die Linien etwas mehr – und muss abbrechen. Schon vorher macht ihr ein Husten Probleme, erklärt auch die etwas starre Haltung, nun geht nichts mehr – vorgezogene Pause.

Domins Gedichte, die einem „Dennoch“ verpflichtet sind, was dem Abend den Titel gibt, sollen dem Schrecklichen, das in der Welt passiert, ein „dennoch“ entgegenhalten, „dass aus dem Unlebbaren plötzlich etwas Lebbares auftaucht oder hingehalten wird, ein Trotzdem,“ schreibt sie selbst. Auch hier, nach der Unterbrechung, geht es dennoch mit den Heucke-Liedern weiter, sehr zur Freude des anwesenden Komponisten. Eine großartige Leistung der Sängerin, die sehr vorsichtig weiter singt, aber den Liedern gerecht wird.

In Heuckes Musik ist nach seiner eigenen Aussage im Programmheft die „größtmögliche Einheit von Musik und Dichtung angestrebt.“ Mit einer Begleitung im Klavier, die teils an zersplitternde Glasscherben erinnert, Staccatoläufe bei „Gewöhn Dich nicht!“ bringt, als ob sie die Wirklichkeit zerhauen möchten, damit man sich an ihr nicht festhält, und Klängen wie Glockenspiele bei „nur die klingende bis zur äußersten Haut des Herzens gespannte Stunde besteht“ liefert er der Stimme keinen bequemen Klangteppich. Aber Schwanewilms fühlt sich hier zuhause, gestaltet mit ihrem exzellenten Begleiter Lange tief aus dem Inneren.

Die Zuhörer danken es allen mit sehr herzlichem Applaus, und es gibt dennoch keine Zugabe.

Dichterliebe – nicht nur von Schumann

Alexander Fleischer und Manuel Walser – Foto © Katharina Gebauer

Manuel Walser stellt neben Schumanns Dichterliebe die Songs of Travel von Ralph Vaughan Williams nach Gedichten von Robert Louis Stevenson und von Gerald Finzi Let Us Garlands Bring nach Lyrik von William Shakespeare. Dazu rezitiert er selbst Gedichte von Eduard Mörike, Marie Ebner-Eschenbach, Klabund, Friedrich Halm, Karoline von Günderrode und Georg Trakl. Ein seltenes Unterfangen, dass der Sänger auch selbst rezitiert, und als Zuhörer tut man sich erst einmal etwas schwer, die Sprechstimme des Sängers mit der Singstimme übereinander zu bringen, aber das muss man ja auch nicht. Doch Walser trägt die Lyrik mit großer Spannung und innerer Beteiligung vor. Texte fließen über in Lieder, und der Zuschauer hat etwas Mühe, aus den Welten des Gedichts zu den Liedern zu wechseln, zumal die Bildsprache gerade nur beim Hören teils schwer zu entschlüsseln ist. Ein Abdruck der Texte im Programm wäre hier sehr hilfreich gewesen, um die Intention des Vortragenden und die Zusammenhänge zwischen Gedichten und den folgenden Liedern herzustellen.

Sehr differenziert und mit viel gutem Schaffenswillen geht Walser die Lieder an. Man merkt ihm an, dass ihm das Programm sehr wichtig ist. Er gestaltet nachdrücklich und kommt mit der nicht immer ganz einfachen Akustik des Burkardushauses gut klar, nimmt sich zurück, lässt das schöne Piano sich entfalten. Sein Ton ist kräftig, sehr geschmeidig, Nebensilben werden gut abphrasiert. Alles ist sehr gleichmäßig bei gutem Sitz der Stimme und langem Atem. Bei den Liedern von Williams und Finzi wirkt die Stimme manchmal etwas nasal.

In der Dichterliebe tauchen Pianist Fleischer und Walser dann ein in die tiefen Welten Heines und Schumanns. Walser geht die Lieder von innen an, gestaltet frei und flüssig. Viel Humor blitzt auf und man nimmt ihm den großen Schmerz bei dem „großen Weh“ in Hör ich das Liedchen klingen. Fleischer am Klavier ist immer sehr nahe dabei, spielt sehr exquisit, sensibel, zart, aber auch mit großem Impetus. Die „Perlentränentröpfchen“ in Allnächtlich im Traume gelingen ihm ganz besonders gut. Nach dem Zyklus ist erst einmal Stille im Saal, beide Künstler sind tief im Lied versunken, bis sie vom Publikum mit langem Applaus erlöst werden. Zwei Zugaben, Gabriel Faurés Diane, Séléné, lune de beau métal und Schumanns Mondnacht versilbern noch den Abend.

Irish Revival – Lieder frisch von der Insel

Annette Schwanewilms – Foto © Katharina Gebauer

Der irische Dichter Thomas Moore veröffentlicht zwischen 1808 und 1834 seine Irish Melodies, die in ganz Europa beliebt sind und selbst Liedkomponisten wie Robert Schumann „als Frischzellenkur für das eigenen Schaffen“ benutzen. Im Geist einer irischen Renaissance verfasst die Dichterin Winifred Mary Letts 1913 ihre Gedichtsammlung Songs of Leinster, die Charles Villiers Stanford 1914 vertont, Momentaufnahmen aus dem irischen Leben, so schreibt Hansjörg Ewert im Programmheft.

Mit Unterstützung der irischen Botschaft in Deutschland, Zeitgeist Irland 24 und Culture Ireland kommt das Konzert beim Festival zustande, die Mitwirkenden fliegen direkt von der Insel ein, Irland pur mit Stanford im Gepäck, der in seiner Musik vom grünen Gras nicht nur in den Salley Gardens erzählt, dem Nieselregen in A Soft Day, von dem vielen Wasser, den Kühen und den Jahrmärkten, dem Wind – Irland, wie man es sich vorstellt eben. Er beschreibt die Welt der kleinen Leute, die Stadt London im Gegensatz zum Leben auf dem Land in Irish Skies und immer wieder die Ortschaften, die alle irgendwie „Glen…“ heißen, Glencullen, Glenhu, Glenchree. Sehr ernst wird es mit den Six Songs from a Shropshire Lad, sie zeugen vom jungen Tod in den Schützengräben, auch Komponist George Butterworth musste im Ersten Weltkrieg sein Leben lassen.

Und da es eine innere Verbindung über Morley zu Schumann gibt, steht der gleich zu Beginn im Programm mit Du bist wie eine Blume und später mit Requiem, Waldesgespräch, aus der Dichterliebe Ich grolle nicht und Hör ich das Liedchen klingen, neben Brahms‘ Mainacht und Von ewiger Liebe. Dazu Irisches: Stanford und, auf Gedichte von William Butler Yeats, Lieder von Rebecca Clarke, Muriel Herbert und Benjamin Britten.

So unternehmen die drei auf der Bühne eine recht erquickliche Reise durch Irland wie auch England und finden eine schöne Natur nebst einprägsamen, manchmal etwas schrulligen Typen. Die Sänger Sharon Carty, Mezzosopran, und Benjamin Russell, Bariton, haben sich das umfangreiche Programm mit 31 Liedern aufgeteilt, immer dabei ist Finghin Collins am Flügel.

Carty singt mit weichem, vollem Mezzo die Lieder auf langem Atem und hat eine breite Spanne vom kräftigen Forte bis ins Piano. Mit sparsamen Gesten gestaltet sie intensiv. Russell hat einen großen, zupackenden Bariton, immer frei und unverstellt, recht jungenmäßig interpretiert er die Lieder vom irischen Land, klar und mit viel Humor. Beide Künstler sprechen ein gutes akzentfreies Deutsch in ihren Liedern. Collins am Klavier lässt schon von Anfang an warme Klangnuancen im Vordergrund stehen. Er spielt geschmeidig, hingebungsvoll und immer die Sänger unterstützend, ihren Vortrag zum Teil um einen weiteren Blick in die poetischen Welten verlängernd. Besonders fällt das bei Butterworths Loveliest of trees auf, als zart und kostbar die Kirschbaumblüten herabrieseln.

Zum Abschluss singen beide Sänger noch Ich bin dein Baum von Schumann, ein etwas sprödes Duett auf einen heute doch sehr anzüglich wirkenden Text von Friedrich Rückert: „Ich bin dein Baum: o Gärtner, dessen Treue Mich hält in Liebespfleg‘ und süßer Zucht, Komm, dass ich in den Schoß dir dankbar streue Die reife dir allein gewachs’ne Frucht.“ Die zahlreich erschienenen Zuhörer im Würzburger Burkardushaus spenden herzlichen Applaus und werden, wohl ob der Menge der bereits gesungenen Lieder, ohne Zugabe entlassen. Es gibt von den dreien auch ein Album mit Liedern von Stanford mit dem Titel Cuschendall.

Das Festival geht noch bis Sonntag weiter. Statt des angekündigten Martin Mitterrutzner singt im letzten Konzert Jóhann Kristinsson Die schöne Müllerin von Franz Schubert.

Jutta Schwegler