O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Nik Schölzel

Aktuelle Aufführungen

Extremer Hass

ELEKTRA
(Richard Strauss)

Besuch am
8. Oktober 2023
(Premiere)

 

Mainfrankentheater Würzburg, Blaue Halle

Ein erhöhter weißer Kubus, nach vorne offen, in der Mitte der Bühne, ein angedeutetes Haus, hier des Atriden-Palastes, davor geschäftige, weiß und sauber gekleidete Dienerinnen, darunter aber, in der dunklen Tiefe, Müll, altes Zeug, Trümmer eines Kronleuchters, und inmitten dessen eine schwarze Lumpen-Frau mit zotteligen Haaren: Elektra, Tochter des Hauses, der man Brocken zuwirft. So beginnt, vor rot ausgeleuchtetem Hintergrund, die Oper Elektra von Richard Strauss in der Blauen Halle des Mainfrankentheaters Würzburg. Der Komponist hatte 1908/09 zusammen mit seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal ein einaktiges Musikdrama nach der reduzierten Vorlage von Sophokles, weit ab von der bei Goethe humanen Sicht auf die Antike, geschrieben. Mit der gewaltigen Besetzung von 115 Musikern hatte er dafür ein mitreißendes, riesiges Klanggemälde über das Hass-Inferno am Hof der Atriden geschaffen. Dass solches auf die engen Verhältnisse in der Ausweich-Spielstätte passen könnte, daran zweifelt so mancher vorher. Doch erstaunlicherweise funktioniert es. Denn Generalmusikdirektor Enrico Calesso hat eine leicht reduzierte Fassung entworfen, aber nicht auf eine verstärkte Besetzung für sein engagiert mitgehendes Philharmonisches Orchester verzichtet. So sitzen die Blechbläser samt Wagner-Tuben rund um das Atriden-Haus oben auf der Bühne, und das übrige Riesen-Orchester ist im Graben platziert. So ist das Rauschhafte, Überwältigende, Aufwühlende zu hören, und dennoch haben auch Lyrisches, schwelgerisch-romantische Momente Platz, besonders in den Passagen mit der menschlich fühlenden Chrysothemis und bei der Erkennungsszene Elektra-Orest.

Das eigentlich verstörende Werk fasziniert trotz der Härte und Dissonanzen durch seine Dichte der Aussagen. Die Regie von Nina Russi verstärkt die mitreißende Wirkung noch durch die Konzentration auf wenige Mittel und das Bühnen- und Kostümbild von Julia Katharina Berndt wie bei einem reduzierten Kammerspiel. Es dominieren die Kontraste Weiß und Schwarz, ergänzt durch die Blutfarbe Rot, und die Beschränkung auf den Spielort des Weißen Hauses, zu dem an der Seite ein weißer Steg hinführt, erlaubt eine Komprimierung auf wenige, aber entscheidende Mittel. Alles ist ausgerichtet auf das Seelenleben der Elektra und deren psychotische Fixierung auf Rache für den Mord an ihrem Vater Agamemnon durch ihre Mutter Klytemnästra und deren Liebhaber Ägisth. Elektra ist durchtränkt von abgrundtiefem Hass, vegetiert dahin in der Vorstellung, dass nur der Tod der beiden, also die Rache ihr Glück bringen werde, dass sie dann tanzen könne; damit sind Schweigen und ihr eigener Tod am Schluss verknüpft. Einstweilen wartet sie auf ihren Bruder als Vollstrecker der Tat, da sie ihre Schwester Chrysothemis nicht dazu überreden konnte; denn die will Leben, Kinder, ein Frauenschicksal. Man fragt sich aber, warum Elektra selbst nicht zur Tat fähig ist, obwohl sie doch gerade die Tat seligpreist. Auch die zärtliche Erinnerung an ihren Vater Agamemnon wirft Fragen auf, ebenso wie auch die Beziehung zum Bruder Orest, ob da nicht inzestuöse Gedanken mitspielen. Das Fazit am Schluss der Oper jedenfalls lautet: Liebe tötet. Und sie endet ja auch mit dem Tod der Elektra.

Bei allen Grausamkeiten des Inhalts lebt die Inszenierung von der überzeugenden Zeichnung der Personen, allen voran von der umwerfend darstellerisch und sängerisch bravourös agierenden Elektra der Elena Batoukova-Kerl. Wie sie die Gedemütigte, Verstoßene aufzeigt beim Herumkriechen auf dem Boden, beim Wühlen im Müll, wie sie ihre Verzweiflung äußert auch durch das Hochrecken der Arme, verstärkt noch durch die Schatten vor Weiß, wie sie mit schleppendem Gang, in schweren Schuhen, im schmutzig schwarzen Kleid, unförmig im Aussehen, ihre Figur verkörpert, ist beeindruckend, und ihr großer, dramatischer Sopran vermag alle Facetten ihrer inneren Erregung auszudrücken, vom heftigen Ausbruch mit großer Höhe bis zu fahlen Nuancen und fast gesprochenen Passagen, aber auch mit leisen, feinen Momenten, stets präsent und ohne Schärfen oder Ermüdungserscheinungen. Nach der gelungenen Rache zieht Elektra den Kronleuchter wieder hoch. Ihr Widerpart ist auch äußerlich die elegante, schlanke Klytemnästra in ihrem rot glänzenden Schleppenkleid, sich geschmeidig bewegend, und Sanja Anastasia verleiht dieser Mörder-Mutter mit ihrer hell-dynamischen, vollen, energiegeladenen Stimme die nötige innere Unruhe und kräftige Schärfe angesichts der sie schreckenden Albträume. Als Chrysothemis fungiert für die erkrankte Ilia Papandreu bestens Margarita Vilsone in der glaubhaften Darstellung der jungen, mädchenhaften, blonden Schwester der Elektra in einem weiß-schwarzen Kleid mit roter Stola; sie bildet auch äußerlich einen absoluten Kontrast zu ihr, wünscht sich ein Leben in Freiheit, wehrt das mörderische Ansinnen der Elektra ab und gefällt mit ihrem hellen, fein nuancierten Sopran und viel Elan in der Stimme. Als Ägisth imponiert kurzzeitig Brad Cooper mit schönem Heldentenor – er wird ja gleich von Orest umgebracht, den Kosma Ranuer Kroon mit etwas trockenem, stets sicheren Bariton und wie starr gesteuert von seiner Schwester Elektra verkörpert. Die kleineren Rollen werden angeführt von einer Aufseherin mit Peitsche und dramatischer Stimmkraft, Natalia Boldyrieva; bemerkenswert schön singen auch die fünf Mägde, Barbara Schöller, Veronica Brandhofer, Hiroe Ito, Milena Arsovska und Sandra Harnisch.

Das Premierenpublikum im nahezu ausverkauften Haus feiert die packende Opern-Inszenierung lange mit begeistertem Applaus und vielen Bravo-Rufen.               

Renate Freyeisen