O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Claus Langer

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Aufbruchstimmung

WITTENER TAGE FÜR NEUE KAMMERMUSIK 2024
(Diverse Komponisten)

Besuch vom
2. bis 5. Mai 2024
(Einzelne Aufführungen)

 

Wittener Tage für neue Kammermusik, Saalbau und andere

Mit der Uraufführung dreier Orchesterwerke schloss das WDR-Sinfonieorchester am Sonntagnachmittag, wie in den zurückliegenden 55 Jahren, die Wittener Tage für neue Kammermusik effektvoll ab. An dieser Tradition rüttelt auch der neue Künstlerische Leiter Patrick Hahn nicht, der in diesem Jahr sein erstes von ihm gestricktes und verantwortetes Programm vorstellte.

Und zwar mit großem Erfolg, was Publikumszuspruch und Qualität angeht. Sogar das derzeit launische Wetter spielt mit, so dass auch beim einzigen, dafür umso spektakuläreren Ausflug in die Natur der Zeche Nachtigall die Füße trocken bleiben. Das ist für Raken Chacons kurzen Report für Feuerwaffen-Ensemble ebenso wichtig wie für die acht Trompeter des Monochrome Projects, die durch die Landschaft des Zollgeländes wandeln. Die Chance, zeitgenössische Klänge mit einem Familienausflug zu verbinden, nehmen viele Wittener Bürger wahr. Danken darf man dafür nicht zuletzt der Einsicht des naturgeschützten Turmfalken, der das Konzert beinahe verhindert hätte, jedoch rechtzeitig seine Brutstätte verlagert hat.

Geleitet wird das Ensemble von dem Trompeter Marco Blaauw, der auch im Schlusskonzert das Trompetenkonzert von Dai Fujikura aus der Taufe hebt, in dem er auf seiner Doppelrohrtrompete souverän Spieltechniken und Klangmöglichkeiten des Instruments entwickelt, die noch über das hinausgehen, was Koryphäen wie Miles Davies oder Markus Stockhausen erschlossen haben.

Die grenzenlose Experimentierfreude entspricht dem künstlerischen Konzept Blaauws, der rastlos die Welt bereist, um der kulturellen Vielfalt des Instruments nachzuspüren. Und die Öffnung für fremde Kulturkreise liegt auch Hahn am Herzen. Das schlägt sich besonders eindrucksvoll in einem Konzert nieder, in dem das Ensemble Recherche Kompositionen aus den Philippinen, Serbien und Südafrika präsentiert und wirklich neue exotische Klangerlebnisse beschert. Teilweise auf selbst gebauten Instrumenten mit verblüffenden Wirkungen. Dafür zieht man erstmals in die „Werk°stadt Witten“, die sich als exzellente Spielstätte bewährt.

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Einfach ist es nicht, die zeitgenössische Kammermusik aus ihrem nicht gerade populären Nischendasein zu befreien. Einen Weg sieht Hahn in der Öffnung für elektronische Techniken. Ein Nachtkonzert mit dem Berliner Synthesizer-Trio Lange//Berweck//Lorenz und dem Elektronik-Pionier Hainbach eröffnet allerdings keine neuen Wege, sondern die versierten Musiker wecken mit ihren Arbeiten für den ein wenig aus der Mode gekommenen Synthesizer fast nostalgische Gefühle. Auf hohem technischem Niveau mit einem meilenweiten Abstand zu jedem Techno-Mainstream.

Ebenso reizvoll wie wichtig ist der gemeinsame Auftritt des Sinfonischen Blasorchesters Blow-Witten mit den Profis des Monochrome Projects. Etwa 65 Laienmusiker von klein bis groß, von der Flöte bis zur Tuba, verwandeln den Vorplatz des Saalbaus in eine irreal surrende und vibrierende Klanglandschaft. Ein zwar mit 15 Minuten kurzer, aber wichtiger Einstieg in die Mitwirkung regionaler Musiker, ob Profi und Amateur, womit sich die Bindung an die Bürger der Stadt noch verstärken ließe. Auch diese Möglichkeit, zwischen den über den ganzen Platz verteilten Musikern zu wandeln und einer Bassklarinette oder einem Bass-Saxofon Klappe in Auge gegenüberstehen zu können, wird zahlreich wahrgenommen.

Zum Herzstück des Festivals gehört der exzellente Interpreten-Stamm. Zu den treuesten Vertretern zählen die Streicher des Arditti Quartets, die ihre 50-jährige Teilnahme an den Wittener Kammermusiktagen mit einer außergewöhnlichen Performance feiern, bei der die lange nicht genutzte Drehbühne des Theatersaals zum Einsatz kommt. Auf der rotieren die vier Streicher, isoliert in edlen Glasvitrinen voneinander getrennt, um Hannes Seidls Komposition Unfinished Circles zum Klingen zu bringen. Angesichts der erschwerten optischen und auch akustischen Verständigungsmöglichkeiten sind Unwägbarkeiten im Zusammenspiel erwünscht. Und Überraschungen bleiben auch nicht aus, auch wenn das Werk mit einer Dauer von fast 50 Minuten etwas lang gerät.

Insgesamt ein gelungener Einstand des neuen Leiters. Da sich die Stadt Witten und der WDR für die Fortführung des Festivals ausgesprochen haben, darf man sich auf neue Impulse für das neue Jahr freuen.

Pedro Obiera