Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG
(Richard Wagner)
Besuch am
11. Dezember 2022
(Premiere am 4. Dezember 2022)
Der Premiere dieser Neuinszenierung an der Wiener Staatsoper ist ein wahrer Medienkrieg zwischen Bogdan Roščić, Direktor, und Philippe Jordan, Musikdirektor der Wiener Staatsoper, vorausgegangen. Zu den wahren Hintergründen um die Nichtverlängerung des Vertrages des Musikdirektors wurde ausreichend spekuliert. Die klar formulierten konträren Ansichten zum aktuellen Regietheater und der Auswahl von Inszenierungen wurden in Interviews öffentlich gemacht und eine rege Diskussion unter Publikum und Fachwelt folgte.
Umso mehr war das Medieninteresse groß an dem nun stattfindenden Premierenzyklus von Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg. Nahezu 50 Jahre nach der letzten Neuproduktion durch den vom Publikum verehrten Otto Schenk gibt der Brite Keith Warner als Regisseur sein Hausdebüt. Kurz vorausgeschickt fand seine intelligente ästhetische sowie musikalisch und werktreue Regie, durchaus als Wahrtraumdeuterei zu klassifizieren, ungeteilte Zustimmung und der sehr professionelle Philippe Jordan am Pult erlebte stete Ovationen. Eine Fortsetzung der Unstimmigkeiten oder ein handfester Skandal fanden nicht statt.
Das Werk steht in Richard Wagners Schaffen im Zusammenhang zu seiner Trennung von Mathilde Wesendonck, seiner langjährigen platonischen Liebe und seinem politischen Asyl in der Schweiz. Mit Inbrunst verpackt der Komponist Liebe, auch verschmähte, geschmähte oder nicht gewagte, und Kunst in eine romantische Liebesgeschichte und ein politisches Gesellschaftsdrama zwischen Tradition und Fortschritt, Jung und Alt. Im Mittelpunkt steht Hans Sachs, eine unvergleichbare Monsterpartie für den Sänger, ein Witwer, ein Handwerker am Ende seiner beruflichen Karriere, ein Poet, der an den Grenzen seiner Fantasie angekommen ist. Diesem Charakter widmet Keith Warner seine ganze Aufmerksamkeit und baut um das Leben und die Lebenserfahrung des sympathischen Helden seine romantisierte Umsetzung wie eine Traumwelt auf. Trotz seiner Beliebtheit ist der Mensch Sachs ein Außenseiter und Einzelgänger, der in seinen Erinnerungen von seiner verstorbenen Frau träumt, die auch immer wieder als stille Darstellerin auf der Bühne wandelt. Er steht zwischen seinem Handwerk und seiner Achtung für die Kunst, erkennt seine Vergänglichkeit und packt im dritten Akt sein Lebenswerk, stellvertretend in Büchern und Schuhen symbolisiert, in Kisten zusammen. Er stellt sich nicht mehr dem Wettkampf mit der Jugend, sondern besucht in einer geschickt eingebauten weiteren Traumszene auf der Festwiese das Grab seiner Gattin als auch seiner sechs Kinder – in der Todesahnung ist auch schon sein eigenes Grab bestellt. Keith Warner entwickelt mit ausgeklügelter Personenregie und vielfältigen Bildern eine kunstvolle, unterhaltsame Gestaltung, die Provokation und Neuartigkeit vermeidet und von einem großen Verständnis der Partitur geprägt ist.
Acht bewegliche Türme bilden auf der Bühne von Boris Kudlička unterschiedliche Handlungsräume oder eine geschlossene Projektionsfläche für Videoinstallationen von Akhila Krishan. Im ersten Akt erwecken gemäß des Textes Schattenbilder winterliche und frühlingshafte Eindrücke als auch kreisende Vögel. Im zweiten Akt blüht der Flieder in einer Videoprojektion in der Mitte der Bühne.
Durch die Kostüme von Kaspar Glarner werden die Gegensätze der Generationen bildlich umgesetzt. Die Meistersinger in üppigen Renaissance-Kostümen sind farbliche Hingucker auf alten Sesseln, die Gesellen wirbeln in modernen Latzhosen herum. Hans Sachs ist als modern Denkender bereits im Smoking. Die Prügelszene bildet das Regieteam in einem alten Stich der Stadt Nuremberg ab. Dem folgenden Wahnmonolog wird bereits in großen Buchstaben vorgegriffen. Zur Festwiese werden die offenen Innenseiten der Türme aneinandergereiht und der bestens von Thomas Lang vorbereitete Chor der Wiener Staatsoper überzeugt in seiner statischen Aufstellung über drei Etagen mit kräftigem, wohl einheitlich intoniertem Gesang.
Foto © Michael Pöhn
Michael Volle brilliert als Hans Sachs und beeindruckt mit seiner kraftvollen Stimme bis zum letzten großen Monolog. Höchstprofessionell weiß er seine Stimmgewalt zu dosieren, seinen Klang zu färben und mit präzis ausgeführtem Gesang seinen umfangreichen Einsatz über den gesamt Abend auszuführen. Dazu zeigt der charismatische Sänger in seinem ehrlichen, ungekünstelten Spiel auf der Bühne seine souveräne Klasse.
Die Rolle des Stadtschreibers Sixtus Beckmesser erfährt eine ebenso subtile Ausgestaltung durch den Regisseur und seinen Kostümbildner. Die Komik der Rolle lässt nicht auch deren Tragik und Symbolkraft vermissen. Wolfgang Koch atmet ebenso den Geist und den Charakter des Gegenspielers von Hans Sachs – und sind die beiden sich nicht auch sehr ähnlich? Mit Ausdrucksstärke und feiner Phrasierung sowie gehaltvollen barocken Koloraturen packt er in seine Rolleninterpretation ein vielfältiges Charakterbild.
Georg Zeppenfeld mimt Veit Pogner. Dieser bahnt mit seiner Idee, die Hand seiner Tochter Eva dem Sieger im Sängerwettstreit als Preisgeld zu übergeben, den Handlungsstrang. Ehrenhaft und mit sicherem, honorigem Bass bekleidet er die Rolle.
Repräsentativ für das Neue, die Fortentwicklung der Ideen und Kunst, aber auch den Umbruch steht der Ritter Walther von Stolzing. Er ringt um Aufnahme als Meistersinger, um seine Geliebte Eva in der überlebten Tradition als Preisgeld zu gewinnen, versagt aber der Meisterwürde am Ende. David Butt Philip hat sich in den letzten Jahren an zahlreichen Bühnen zu einem der führenden Tenöre entwickelt. Vorsichtig tastet er sich dem Abend entlang in der Rolle voran zur großen Schlussszene. Mutig und selbstbewusst lässt er seinen Tenor immer wieder in einzelnen Spitzentönen strahlen. Erfreulich ist seine gute Wortdeutlichkeit mit hoher Konzentration erarbeitet, die sein lockeres Spiel beeinträchtigt. Die von ihm eroberte Eva, seine Angebetete, erlebt in Hanna Elisabeth Müller eine aparte, jugendliche Erscheinung, die sich vom kecken Teenager zur veritablen Frau mausert. Vokal hat sie eine saubere, helle, auch kraftvolle Höhe, formt lyrische Töne, verliert sich aber mitunter in einer farblosen Mitte und Tiefe.
Michael Laurenz begeistert als munterer David, der in seiner Spielfreude zur Lebendigkeit des Abends beiträgt. Großgewachsen überragt Christina Bock viel als Magdalena, bleibt aber im Spiel hölzern.
Berauschend ist die Klangwelt, die die Wiener Philharmoniker im Orchestergraben unter der Führung von Philippe Jordan erzeugen. Mit größter Präzision, zumeist auswendig führt er das große Orchester durch eine von Spannung und Strahlkraft dominierte Interpretation. Feinfühlig formt er die leisen Stellen, führt die Streicher zu einem romantischen, vollen Klang, die Bläser zu präziser Melodieführung und hoheitsvollen Fanfaren. Es gelingt ihm, das Märchen, die Traumwelt in Töne zu kleiden und die Handlung von einer wunderbaren Klangwelt zu durchfluten. Er folgt den Sängern ohne Drängen, muntert aber zu Höchstleistungen an, ohne sie mit üppiger Lautstärke zuzudecken.
Das Publikum folgt mit großer Aufmerksamkeit der bebilderten Traumwelt und ist berauscht von der magnetisierenden Klangwelt. Großer Beifall und Jubel am Ende, wohlverdient für alle Beteiligten.
Helmut Pitsch