O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Michael Pöhn

Aktuelle Aufführungen

In der Baumschule

GÖTTERDÄMMERUNG
(Richard Wagner)

Gesehen am
28. März 2020
(Video on demand)

 

Staatsoper Wien

Wie viele große Häuser bietet die Wiener Staatsoper mittlerweile Livestreams und Videos für den heimischen Fernseher gegen Gebühr an. In Zeiten von Covid-19, in denen die Eisernen Vorhänge der Opernhäuser sich nicht mehr öffnen, bietet auch die Wiener Staatsoper für die Zeit der starken Restriktionen kostenfrei eine Auswahl ihres umfangreichen Programmes an, was natürlich auch wieder etwas Eigenwerbung bedeutet, wobei die Frage erlaubt sein darf, ob ein Haus wie die Wiener Staatsoper das überhaupt nötig hat? Erlaubt ist aber auch die Frage, warum dann bei der Auswahl des Programmes der Live-Mitschnitt einer Aufführung der Götterdämmerung von Richard Wagner vom 20. Januar 2019 präsentiert wird, die nicht zu den Glanzlichtern der Wagner-Aufführungen der letzten Jahre in Wien zu zählen ist. Zum einen ist es immer schwierig, ein einzelnes Werk aus Wagners Tetralogie für sich herauszugreifen, ohne den szenischen Kontext der anderen Werke zu kennen. Man muss davon ausgehen, dass die meisten Zuschauer vor dem Fernseher die vorhergehenden Werke nicht gesehen haben und daher schon per se Schwierigkeiten mit der Interpretation von Regisseur Sven-Eric Bechtolf haben dürften. Wenn man die Götterdämmerung aber isoliert betrachtet und nur das grade Gesehene und Gehörte bewerten soll, dann macht sich große Ernüchterung breit und man fragt sich allen Ernstes, ob das wirklich eine Übertragung aus der Wiener Staatsoper war, mit dem Anspruch an höchste musikalische Qualität. Jedenfalls ist dieser Mitschnitt kein Aushängeschild der sonst so gewohnten Aufführungspraxis, das gilt sowohl für die Qualität im Orchestergraben als auch für das, was auf der Bühne präsentiert wird.

Das Nornen-Vorspiel beginnt sehr düster in einem kleinen Nadelwald, es ist fast dunkel auf der Bühne, die Nornen tragen schwere, schwarze Kleider, wie sie zur Entstehungszeit des Werkes üblich waren. Sie berichten vom Untergang der Natur, von der gefällten Weltesche und dem Versiegen des heiligen Quells. Es herrscht also nicht nur Dunkelheit, es ist auch eine apokalyptische Weltuntergangsstimmung, quasi eine Dystopie allerorten. Passend zu dieser düsteren Stimmung ertönen aus dem Orchestergraben die ersten Verspieler im Blech, was sich fast leitmotivisch den ganzen Abend wiederholt und am Schluss fast nicht mehr zählen lässt. Es ist kein hehres Paar da auf dem Walkürenfelsen, denn Siegfried kann Brünnhildes Dimension nicht erfassen. Und so will er nach einer Liebesnacht auf dem Felsen weg zu neuen Taten. Der Walkürenfelsen, fast wie ein Altar von der Unterbühne emporkommend, ist nur für einen Moment Stätte des Glückes von Brünnhilde und Siegfried. Die schon vom Nornen-Vorspiel bekannten, kleinen Tannenbäumchen wirken hier wie eine Baumschule, die je nach Lichtprojektion grün oder rot leuchten. Hinter einem großen Zaun sieht man die Silhouette eines projizierten Pferdes. Es ist Grane, das Brünnhilde Siegfried als treuen Begleiter auf seine Reise mitgeben wird.  Brünnhilde wird am Schluss Siegfried erlösen, und der Welt die Hoffnung auf eine neue Zukunft geben. Die Gibichungen sind die typischen Repräsentanten einer dekadenten, neureichen und oberflächlichen Gesellschaft, die keine Werte kennt. Gunter ist ein Schwächling, der nur durch Äußerlichkeiten zu glänzen weiß. Gutrune erscheint Anfangs einfältig, entwickelt sich aber zum Schluss zu einer liebenden Frau. Berührend ist die Szene im dritten Aufzug, als sie sich neben Brünnhilde zum Leichnam Siegfrieds hinstellt und verunsichert ist, ob sie ihn ebenfalls zärtlich zudecken darf. Als Brünnhilde ihr Zögern bemerkt, ermuntert sie ihre vermeintliche Nebenbuhlerin, indem sie sie schon fast zärtlich in die Arme nimmt. Hier sind zwei vom Schicksal getroffene Frauen vereint in der Trauer um den Geliebten. Es ist einer der seltenen Momente dieser Inszenierung, die berühren, ja, schon fast ans Herz gehen.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Hagen ist die zentrale Schlüsselfigur in dieser Inszenierung. Gefühlskalt, berechnend und manipulierend. Alles hat er minutiös geplant, um den Ring des Nibelungen zu gewinnen, für sich, nicht für Alberich. Doch er hat die Rechnung ohne Brünnhilde gemacht, die durch den Verrat Siegfrieds von der liebenden Frau wieder zur kühl agierenden Walküre wird, der Hagen nicht ebenbürtig sein kann. Der Vergessenheitstrunk, den Siegfried zu sich nimmt, ist eine schnell wirkende Droge, die ihn sofort abhängig und süchtig macht. Seine vermeintliche Liebe zu Gutrune ist nichts weiter als Begierde. Schnell ist klar, dass das Ende nicht gut ausgehen kann. Das Bühnenbild von Rolf Glittenberg zeigt hier eine zentrale runde Sitzecke, und den schon bekannten Zaun aus dem Vorspiel auf dem Walkürenfelsen. Die Kostüme hat seine Frau, Marianne Glittenberg, kreiert, und sie zeigt die Protagonisten in dunklen, edel und fast zeitlos wirkenden Kostümen. Lediglich die Rheintöchter dürfen sich in Badeanzügen und Hauben im Look der vorletzten Jahrhundertwende tummeln. Im dritten Aufzug besteht das Bühnenbild nur noch aus einem holzähnlichen Aufbau ohne wirkliche Zuordnung. Kleine optische Aufhellung bietet ein Kahn, in dem der Leichnam Siegfrieds liegt, da ist man schon fast an ein Bühnenbild des Tristan erinnert. Die Szene, in der Siegfried in der Gestalt Gunters Brünnhilde auf dem Felsen bezwingt, besticht vor allem durch die Arbeit der Maske, die Stephen Gould in der Rolle des Siegfried für diesen Auftritt so hervorragend geschminkt hat, dass er wirklich ohne Tarnhelm dem Gunther zum Verwechseln ähnlich sieht. Am Schluss dominieren Licht- und Farbprojektionen, die den Weltenbrand zeigen und den Rhein, der über die Ufer tritt und den Brand löscht und eine neue Weltenordnung erschafft. Das Schlussbild, ein engumschlungenes nacktes Paar, symbolisiert den Neubeginn. Das alles ist nichts Neues, in vielfacher Form und Ausprägung schon dagewesen und reduziert zumindest die Inszenierung dieser Götterdämmerung von Regisseur Sven-Eric Bechtolf zu einem banalen, ja, schon beliebigen Operntheater. Lediglich die Lichtregie von Rudolf Zorn und die Videoprojektionen von fettFilm und Friedrich Zorn lassen noch etwas wie emotionale Beteiligung zu, ansonsten versinkt das Setting und die Personenregie in Langeweile. Dass Aufführungen dann doch zu großen Abenden werden, liegt oft in der musikalischen und sängerischen Darstellung. Doch auch hier bleibt die Aufführung hinter den Erwartungen bis auf wenige Ausnahmen deutlich zurück.

Krass ist vor allem der Gegensatz zwischen dem über weite Strecken großartigen Dirigat von Axel Kober, der mit der Götterdämmerung in Wien sein Ring-Debüt am Pult des Orchesters der Wiener Philharmoniker vollendet. Schon im Nornen-Vorspiel erklingen die ersten Töne scharf und unheilvoll, als Vorboten des bevorstehenden Endes der Götter. Großartig der musikalische Übergang von der ersten zur zweiten Szene, wenn es plötzlich emotional und leidenschaftlich wird. Die Sänger begleitet er sensibel, immer darauf bedacht, deren Gesang in den Vordergrund zu stellen und dienlich zu begleiten und zu tragen. Aber Kober ist auch ein leidenschaftlicher Dirigent, der an den reinen Orchesterstellen Gas gibt. Sei es in der Szene, in der Hagen seine Mannen ruft oder Siegfrieds Rheinfahrt im ersten Aufzug. Doch der grandiose musikalische Höhepunkt ist sicher das große Finale. Zunächst begleitet er den sterbenden Siegfried im Piano, um sich dann beim Trauermarsch immer mehr ins Forte zu steigern. Dieser Trauermarsch ist voller Emotion, Spannung und Trauer, ohne jedoch in ein übersteigertes Pathos zu verfallen, leider nicht frei von Patzern.

Die Kamera zeigt ihn und das Orchester in diesen Momenten und vermittelt dem Zuschauer auch einen Eindruck von den manchmal schon fast überirdischen Leistungen, die die Dirigenten solcher Werke im Orchestergraben vollbringen. Kober kostet die Emotionen des Trauermarsches nur kurz aus, springt wieder in die Realität der vorletzten Szene, dem vermeintlichen Kampf um den Ring als Beutegut, bevor mit Brünnhildes Schlussgesang und dem orchestralen Finale der Götterdämmerung der letzte musikalische Höhepunkt erfolgt. Als der Weltenbrand durch den über die Ufer tretenden Rhein gelöscht wird, bevor die Musik sich beruhigt und die Hoffnung auf eine neue Weltenordnung entsteht. Leider, und das zerstört wiederum den musikalischen Gesamteindruck, gibt es so viele hässliche Verspieler bei den Bläsern, wie man es bei einer Aufführung einer Götterdämmerung mit diesem Orchester so wohl noch nie gehört hat. Dass sie es besser können, haben sie unzählige Mal unter Beweis gestellt, nicht zuletzt auch in der vorliegenden Live-Gesamtaufnahme des Ring des Nibelungen auf CD unter Christian Thielemann.

Foto © Michael Pöhn

Sängerisch dagegen ist die Aufführung auf durchweg hohem Niveau, bis auf wenige Ausnahmen. Iréne Theorin ist eine stimmlich wie darstellerisch stark präsente Brünnhilde, die ein breites Gefühlsspektrum durchwandert. Von inniger Hingabe, Enttäuschung und Trauer angesichts des Verrats und der Untreue sowie spätes, verständnisvolles und Liebe bis in den Tod. Sie bewältigt diesen großen Bogen bis zum Ende mit Bravour, moduliert ihre Stimme mühelos von zartesten, geradezu flüsternd vorgebrachten Passagen bis zu gewaltigen Ausbrüchen höchster Emotionalität. Manchmal forciert sie etwas zu stark, dann wirkt die Stimme schrill, ja, schon keifend wie in der Eidesszene. Am stärksten sind ihre Piano-Stellen, da wirkt sie schon fast berückend. Die Begegnung zwischen Brünnhilde und Waltraute ist eine der Schlüsselszenen dieses Abends. Die Stimme der im dämmernden Abendrot ihrer Karriere singenden Waltraut Meier hinterlässt immer noch einen bezaubernden Wohlklang, vor allem in der warmen Mittellage. Wie sie innig, voller Verzweiflung versucht, Brünnhilde zu überreden, ihr den Ring zu geben, um den Untergang Walhalls zu vermeiden, das geht unter die Haut. Ihre teils lyrische, teils dramatische Waltrauten-Erzählung ist ein Höhepunkt des Abends. Stephen Gould zeigt als Siegfried, dass er, der Held, im Grunde genommen ein naiver Tor geblieben ist, der die Hintergründe des Geschehens, in das er verstrickt ist und in dem er von Hagen rücksichtslos ausgetrickst wird, bis zum Schluss nicht begreift und daran auch keinerlei Interesse zeigt. Ohne Mühen meistert er diese Partie, sein Tenor hat große Stahlkraft in den Höhen, ein angenehmes Timbre in der Mittellage, und seine Diktion ist klar und verständlich.

Die Duette mit Brünnhilde, besonders in der Abschiedsszene des ersten Aufzuges, sind reine Stimmharmonie, sein Schlussgesang und letztes Gedenken an Brünnhilde voll beseelter Innigkeit. Falk Struckmann als Hagen ist auch stimmlich der grandiose Antiheld. Sein schwarzer, markanter Bassbariton ist idealtypisch für diese Rolle, und wenn er seine Mannen im zweiten Aufzug ruft oder am Schluss gegenüber Gutrune verächtlich ausruft, dass er, Hagen, Siegfried erschlagen habe, dann liegt in seinem stimmlichen Ausdruck eine Stärke und gleichzeitig eine Gefühlskälte, die ihresgleichen sucht. Eindrucksvoll, wie er sich vor den angetretenen Kämpfern am Hofe der Gibichungen in Positur wirft und sie mit wilden Handbewegungen – wie ein wild gewordener Kapellmeister – antreibt. Ein Anführer, der seine mühsam kontrollierte Contenance für einen Augenblick verloren hat. Anna Gabler als Gutrune bleibt stimmlich etwas blass und ist auch darstellerisch nicht sehr präsent. Ihre Stimme wirkt etwas zu klein für das Haus, und in den dramatischen Höhen wird die Stimmführung eng und der Ton zu schrill. Ganz im Gegensatz zu Tomasz Konieczny als Gunther. Die im Schatten von Hagen stehende Figur bekommt dank seiner darstellerischen Fähigkeit mehr Gewicht als üblich; gesanglich bewältigt er sie mit kraftvollem Bariton und starkem Ausdruck. Jochen Schmeckenbecher gibt in seinem Kurzauftritt einen markanten, seinen Sohn Hagen indoktrinierenden Alberich. Monika Bohinec, Ulrike Helzel und Fiona Jopson als die drei Nornen liegen mit gesanglichen Ungenauigkeiten und ungewohnten Vokalfärbungen nicht auf dem sonst gewohnten hohen Qualitätsniveau, und Maria Nazarova, Ulrike Helzel und Zoryana Kushpler als die drei Rheintöchter geben ein gesanglich solides, aber nicht wirklich überzeugendes Gesangstrio ab. Der Chor der Wiener Staatsoper darf an diesem Abend mit dem Auftritt als Hagens Mannen im zweiten und dritten Aufzug seinem umfangreichen stimmlichen Repertoire eine neue Facette hinzufügen. Kraftvoll, ohne zu dröhnen, und lyrisch, ohne zu säuseln, ist der Chor hervorragend eingestimmt von Thomas Lang.

Das wagnerkundige Publikum hält am Schluss für einige Sekunden inne, bis der Applaus losbrandet. Besonders Axel Kober, Iréne Theorin, Stephen Gould, Falk Struckmann und Waltraud Meier werden gefeiert. An diesem Abend haben sich die Bronchialrüpel im Publikum mit den Bläsern des Orchesters ein regelrechtes Duell geliefert. Vor allem an den zahlreichen Piano-Stellen, die es tatsächlich in der Götterdämmerung gibt, wird die Stimmung durch die zahlreichen Huster zunichtegemacht, während an den Forte-Stellen oder den Bläsersoli die zahlreichen Verspieler dem geneigten Zuhörer schon fast körperliche Schmerzen bereiten. Aber das Publikum differenziert da in seiner Beifallskundgebung nicht wirklich. So bleibt nach dem Ende von fast sechs Stunden Übertragung ein fader Geschmack und das Gefühl, mit dem Anschauen dieser Aufführung doch einen Abend irgendwie verschwendet zu haben. Positiv sei noch die Bildregie der Fernsehübertragung von Jasmin Eleta erwähnt, die an den entscheidenden Stellen in die Totale geht und subtil Orchester wie den Dirigenten einfängt. Die Interviews in den Pausen und die Blicke hinter die Kulissen, wie beispielsweise die Repertoireherrenschneiderei, sind amüsant und kurzweilig. Sehr spannend und informativ ist in der ersten Pause das Gespräch von Dramaturg Oliver Láng mit dem Korrepetitor Jendrik Springer über Wagners Leitmotive im Ring. Davon hätte man gerne mehr.

Trotz aller Kritik soll aber noch einmal betont werden, dass es in diesen schwierigen Zeiten ein schönes und wertvolles Zeichen der Wiener Staatsoper ist, den Zuschauern kostenlos Aufführungen zu präsentieren.

Andreas H. Hölscher