O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Norbert Scheuring

Aktuelle Aufführungen

Hochkarätige Solisten

MESSA DA REQUIEM
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
4. November 2023
(Premiere)

 

Tauber-Philharmonie, Weikersheim

Weikersheim an der Tauber war bis vor nicht allzu langer Zeit in erster Linie durch den Sitz der Jeunesses musicales mit einem umfangreichen Kursprogramm für den Sängernachwuchs und der alle zwei Jahre stattfindenden Oper im Schlosshof mit jungen Sängern bekannt. Im Jahr 2019 wagte die Stadt den Schritt, ein neues Konzerthaus zu bauen, das den Jeunesses musicales im Falle schlechten Wetters eine Aufführung halbszenisch ermöglicht, aber in erster Linie ein Veranstaltungsort für allerlei Konzerte ist. Direkt an der Tauber gelegen, fügt sich das Gebäude wunderbar in die malerische Gegend ein.

Schon von außen bietet die vor fünf Jahren eröffnete neue Tauber-Philharmonie einen interessanten Anblick, moderne Architektur im besten Sinne. Innen bestätigt sich der Eindruck. Ein ansprechendes Foyer empfängt die Besucher, im großen Konzertsaal herrscht viel Holz vor, der Saal ist bekannt für seine gute Akustik. Große Namen hat Intendant Johannes Mnich im Jahrbuch stehen, im fünften Jahr kann er auf einen fulminanten Start und vielseitige Programme zurückblicken. Igor Levit tritt hier auf, Grigory Sokolov, Voces 8, Christian Gerhaher, um nur die bekanntesten Namen aus der Klassik-Szene zu nennen. Dazu Crossover- und Popkonzerte, Comedy und Kabarett, Jazzkonzerte und besondere Formate, auch für Familien mit Kindern. Dazu verschiedenste Orchesterkonzerte, unter anderem das SWR-Symphonieorchester und die Stuttgarter Philharmoniker.

Aber der Konzertsaal am Ufer der Tauber soll nach Intendant Mnich nicht nur ein elitäres Publikum bedienen, sondern vielmehr „Ein Haus für alle“ sein, verschiedenste Erwartungen erfüllen, aber auch „außergewöhnlich – unerwartet“ sein, wie er im Jahrbuch schreibt.

Und hier kommen die Chöre von nebenan ins Spiel, die das Requiem von Verdi eingeübt haben und an diesem Abend zum Besten geben. Der Chor Cappella Nova aus Bad Mergentheim und der Kirchenchor von St. Jakob in Rothenburg ob der Tauber haben die Messa da Requiem von Giuseppe Verdi erarbeitet und führen sie an zwei Abenden auf. Zunächst in der Tauber-Philharmonie unter der Leitung von Karl Rathgeber, am darauffolgenden Tag in der St.-Jakobs-Kirche in Rothenburg unter dem Dirigat von Jasmin Neubauer, beide Male mit Unterstützung des erweiterten Ansbacher Kammerorchesters. Als Solisten fungieren Yasmine Levi-Ellentuck, Kora Pavelic, Nino Aurelio Gmünder und Thomas Jesatko.

So können alle von der wirklich guten Akustik des Saales profitieren, wenn sie das wohl bedeutendste Werk Verdis außerhalb seines Opernschaffens aufführen. Verdi hat es mit 60 Jahren zunächst als Abschluss seines Schaffens komponiert, um sich danach auf sein Landgut zurückzuziehen und sich um seine politischen Projekte zur Verbesserung der Infrastruktur zu kümmern. Danach entstanden mehr als zehn Jahre später noch Otello und Falstaff, bevor er mit den phänomenalen Quattro pezzi sacri 1898 kurz vor seinem Tod 1901 sein Vermächtnis abschloss.

Foto © Norbert Scheuring

500 Zuhörer füllen allein an diesem Abend den ausverkauften Saal, was Mnich bei seiner sympathischen Begrüßungsrede mit Freude erfüllt, das können nicht nur Angehörige der Chorsänger sein, immer mehr Besucher kommen auch von weiter her zu den Konzerten, wie der Intendant verrät. Und die Spannung ist groß, als der mit über 100 Sängern besetzte Chor das Requiem im Piano eröffnet und dann die innere Beklemmung bei der lichten A-Dur-Stelle bei Et lux perpetua löst. Der Chor, durch beide Dirigenten auf die Abende vorbereitet, widmet sich mit vollem Einsatz und großer Konzentration dem umfangreichen Werk. Gut ausgeglichen in allen Stimmen schaffen sie eine packende Version des dramatischen Werkes und können dabei mit erstaunlicher Kraft auch in Fortissimo-Stellen dem Orchester standhalten. Gerade auch in den sonst so gesuchten Männerstimmen ist die Singvereinigung gut besetzt, die Bässe liefern ein gutes Fundament. Das ist besonders im Dies irae, dem Tag des Zorns, diesem „Kolossalgemälde des Jüngsten Gerichts“, wie es in der Literatur bezeichnet wird, zu spüren. Mit voller Wucht werfen sich alle Chorsänger in diese Version des Schreckens und der Hoffnung hinein. Das Dies irae mit seinen verschiedenen Teilen umfasst ein Drittel der Gesamtdauer des Werkes, das eigentliche Dies irae mit den unerbittlichen Akkordschlägen und seiner heulenden Chromatik wird dreimal wiederholt im Laufe des Werkes. Der Bläserruf der Trompeten im Orchester wird durch die vier auf der Seitenempore platzierten Ferntrompeten eindrucksvoll beantwortet und mahnt an das Jüngste Gericht. Im Lacrimosa vereinen sich Solisten und Chor zu einem expressiven Gebet für das Seelenheil der Menschen.

Nach einer Pause bittet man im Offertorium um die Errettung der Seelen vor dem Rachen der Hölle, das Sanctus, als höchst kunstvolle doppelchörige Fuge komponiert, fordert vom Chor hohe Präzision. Die von Verdi komponierte extreme Höhe gelingt gut– der Chorsopran muss bis ins b‘‘ hinauf. Das Pleni sunt coeli, eigentlich schwerelos, schwebend komponiert, ist noch etwas erdverhaftet. Im ältesten Teil der Partitur, dem Libera me, werden die Hauptthemen der Partitur nochmals erinnert. Sowohl die gleißenden Akkorde des Dies irae als auch die Stimmung des allerersten Requiem-Teils münden in das Ende, an dem die Bitte um Erlösung vom Tod steht, sowohl beim Chor als auch solistisch ein besonders inniger Moment der Aufführung.

Die Solisten haben in der Messa da Requiem einen überaus großen Anteil am Gelingen der Aufführung. Verdi verlangt jedem von ihnen schwierige Passagen ab. Sopranistin Levi-Ellentuck wird ihrem Part mehr als gerecht. Sie füllt mit ihrer weichen und dennoch sehr kraftvollen, dramatischen Stimme mit Leichtigkeit den Saal und schafft in den lyrischen Passagen Höhepunkte der Aufführung. Beeindruckend, wie die junge Sängerin sich über das volle Orchester und den gut bestückten Chor erhebt. Gegen Ende hätte man sich manches Piano etwas weniger opernhaft vorstellen können. Ihr Libera me, das durch den Krieg in Nahost für die israelische Sängerin möglicherweise eine noch tiefere Bedeutung hat, berührt nicht nur sie, sondern auch die Zuhörer sehr. Pavelics Mezzosopran ist schlackenlos, frei von störendem Vibrato geführt, weist einen kernigen, kräftigen Ansatz auf und flutet sehr gut auf dem Atem. Das Liber scriptus gelingt ihr beeindruckend, aufwühlend. Tenor Gmünder singt auch die schwierige Ingemisco-Arie sehr lyrisch und ansprechend und meistert die extreme Höhe gut. Bass Jesatko zeigt sich sehr erfahren sowohl in den dramatischen als auch lyrischen Passagen. Sehr zu Herzen gehen seine voca-me-Rufe.

Das Ansbacher Kammerorchester folgt Rathgebers etwas sparsamem Dirigat willig und mit bei manchen zu beobachtender Spielfreude. Nun ist das grandiose Werk die wohl reifste und vollkommenste Totenmesse des 19. Jahrhunderts und verlangt dem Orchester Äußerstes ab. Die Ansbacher stellen sich der Herausforderung mit zupackender Kraft, wenngleich besonders in den leiseren Passagen mehr Präzision gut wäre.

Das Publikum feiert die Mitwirkenden mit begeistertem Applaus und stehenden Ovationen. Ein so großes Werk kann man im regionalen Kontext nur selten erleben.

Jutta Schwegler