Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)
Besuch am
25. Juli 2019
(Premiere)
Die Junge Oper Schloss Weikersheim ist schon vom Namen her Programm, zumal für den Internationalen Opernkurs der Jeunesses Musicales Deutschland bei der Erarbeitung von Giacomo Puccinis La Bohème. Jung bedeutet hier, dass Sängernachwuchs aus der ganzen Welt, aus 13 Nationen, nach einem Auswahlverfahren aus weit über 200 Bewerbern ausgesiebt, sich in den Aufführungen im Schlosshof bewähren soll und dabei vielleicht für große Bühnen entdeckt wird. Doch vom Ort her ergeben sich ein paar Schwierigkeiten gerade für diese Oper: Wie kann eine verlotterte Studentenbude von Pariser Bohemiens sich gegen die wunderschöne Kulisse des prachtvollen Renaissance-Baus behaupten, wie der relativ große Raum des Hofes so bespielt werden, dass eine glaubhafte intime Atmosphäre emotionaler Verwicklungen entsteht?
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Gesang | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
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Die Antwort gibt Regisseur Patrick Bialdyga, indem er das Geschehen quasi großflächig umsetzt in eine heutige Welt junger, gängiger Hipster, die noch auf der Suche nach ihrer Position in der Welt sind, sich ausprobieren wollen, ohne irgendwelche Verantwortung zu übernehmen. Erst der Tod von Mimì macht ihnen bewusst, dass der Ernst des Lebens in ihre lockere Lebensweise hereingebrochen ist. Diese Generation von Internet-Gläubigen wird gleich anfangs vorgestellt, sie trifft sich zu Klängen von La Bohème von Charles Aznavour im Atelier des Möchtegern-Malers Marcello mit seinen poppig-farbigen, eigentlich bedeutungsleeren Kunstwerken, mit Parolen wie „He, She, We, Love“ darauf, wo auch gerade der Möchtegern- Schriftsteller Rodolfo einen Roman in seinen Laptop schreibt, wo der Philosoph Colline und der radelnde Musiker-Selbstdarsteller Schaunard ebenfalls für Wirbel sorgen. Zu dieser Clique gehört noch die temperamentvolle Musetta, die ihre unbedingte Freiheit will und Triumphe bei den Männern einsammelt, sich aber nicht an den sie liebenden Marcello binden will; hierhin verirrt sich nun die schüchterne Mimì, ein naives, kränkelndes, zartes Wesen, auf der Suche nach irgendetwas, in das sich der romantische Rodolfo sofort verliebt. Kurzzeitig wird die heitere Stimmung getrübt, als der Vermieter Benoît, eine Art schnöseliger Miethai, hereinschneit samt zwei Assistentinnen, um die Kündigung des Appartements voranzutreiben; doch es gelingt den vier Freunden, ihn zu alkoholisieren und hinauszuwerfen. Mimì aber versteht nichts von Literatur, und das zeigt sich bei einer Lesung plus Autogrammstunde des angehenden Autors Rodolfo; die verursacht ihr nur Ohrensausen, denn sie ist gesundheitlich angeschlagen. Das hohle „Zeremoniell“ dieser „Kulturveranstaltung“ vor andächtigen Zuhörern im steril schicken Ambiente von Norman Heinrich wird hier von der Regie auf die Schippe genommen, zumal die bedeutungslosen Sprachübungen über Engel aus dem ersten Buch des angehenden Schriftstellers im Hintergrund auf der Wand nachzulesen sind. Während diese Aktualisierung der dritten Szene – statt des Aufeinandertreffens am Zoll – gelungen scheint, wirkt anderes allzu sehr um jugendlichen Life-Style bemüht, etwa die Szene in der Disco Momus, einem Club #nightlife, der unter einem überdimensionalen Schallplattenspieler-Bild eine Schar von Aerobic-treibenden , sich gymnastisch bewegenden Tänzerinnen und Tänzern nach der Choreografie von Bärbel Stenzenberger versammelt, wo Parpignol, ein etwas seltsamer Transvestit, an der Stange Übungen veranstaltet, wo auch ein Kinderchor als wandelnde Disco-Kugeln und Träger silbriger Buchstaben-Botschaften wie „Love“ und „Dance“ die Bühne mal vorne, mal an den Seiten auf der Treppe bevölkert. Das soll wohl moderne Stimmung vermitteln. In diesem allerdings meist geordneten Getümmel vergnügen sich die vier Freunde, Musetta macht Marcello eifersüchtig, indem sie einen reichen Mann abschleppt, und Rodolfo schenkt Mimì eine Mütze, aber obwohl sich beide lieben, trennen sie sich. Alle Mitwirkenden tragen heutige Kleidung von Doreen Winkler, Musetta dabei besonders schicke. Etwas ruhiger geht es dann in der letzten Szene zu, vor einer großen Bücherwand im Zimmer von Colline mit „Live/Die“-Aufschrift. Hier bricht die todkranke Mimì zum Erschrecken der Freunde zusammen, die hilflos sind angesichts ihres Schicksals; die mitleidige Musetta besorgt ihr noch einen Muff für ihre „kalten Hände“. Alles vergeblich. Als Mimì auf dem Bett stirbt, wird sie, im weißen Nachthemd, zum Engel, klappt die Bücherwand zu, und man liest „Black out“. Das ist ein etwas überflüssig überdeutliches Ende, als sich Schwärze über die Bühne senkt, die sonst von Thomas Rösener in passendes Licht getaucht war.
Foto © JMD
Ergreifend aber ist das Bühnengeschehen nicht nur durch die geschickte Personenregie, sondern vor allem durch die musikalischen Leistungen. Erstaunlich dicht, etwas dunkel getönt, klingt das groß besetzte Jove Orquestra Nacional de Catalunya, das hervorragende junge Instrumentalisten im Alter zwischen 18 und 25 in sich vereint, darunter exzellente Bläser, und Dirigent Fausto Nardi leitet alle aufmerksam und fordernd, so dass Puccinis bekannte Melodien immer wieder packend mitreißen und innerlich berühren. Auch der extra gebildete Projektchor unter Lukas Rommelspacher und der Kinderchor vom örtlichen Gymnasium unter Edith Wolff überraschen mit ausgewogenem Klang. Und die jungen Operntalente, die sich wochenlang auf ihre Auftritte vorbereitet haben, demonstrieren schon nahezu professionelles Können. Den Rodolfo singt in der Premiere der Peruaner Antonio Fernandez Brixis mit seinem lyrischen Tenor sehr ansprechend etwa in Che gelida manina mit strahlenden, aber etwas bemühten Höhen; sein Freund Marcello wirkt in der Rolle des unglücklichen Malers noch authentischer; der Südkoreaner Richard Euwon Park bringt dafür die nötige stimmliche Stärke seines runden, wohl timbrierten Baritons mit, während Dionysos Idis aus Stuttgart als Philosoph Colline sich vor allem im Abschied von seinem alten Mantel mit seinem flexiblen Bass bewährt; der französische Bariton Florian Marignol als etwas ausgeflippter Schaunard gefällt nicht nur darstellerisch. Friedo Henken hat als Vermieter Benoît und reicher Alindoro mit seinem Bariton eher komische Figuren zu markieren. Eine echte Attraktion bieten die Sängerinnen: Die chinesische Sopranistin Mengqi Zhang ist nicht nur ein entzückend kokettes Persönchen als Musetta, sie stattet ihre Partie auch glockenhell aus mit glänzenden Höhen, aber als Mimì überstrahlt die aus der Schweiz stammende Andrea Cueva Molnar sängerisch und darstellerisch alle. Sie überzeugt in Mimik und Gestik als mädchenhaft unschuldige Figur, die mit Krankheit und Einsamkeit ringt, und ihr wunderbar klarer, schön gerundeter Sopran fasziniert mit herrlich unangestrengten Höhen, feiner Färbung, subtilen Piani und emotional berührender Gestaltung etwa in der berühmten Arie Mi chiamano Mimì . Zu Recht gelten ihr die meisten Bravo-Rufe des begeisterten und lange alle Beteiligten feiernden Publikums im fast voll besetzten Hof des Weikersheimer Schlosses.
Renate Freyeisen