O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Zu viel grau

LOHENGRIN
(Richard Wagner)

Gesehen am
27. März 2020
(Video on demand)

 

Staatsoper Stuttgart

Dieses Video wäre unter normalen Umständen vermutlich nie gezeigt worden. Es wäre zu Dokumentationszwecken in den Archiven der Staatsoper Stuttgart verschwunden – und es hätte nicht wenige gegeben, die darüber nicht traurig gewesen wären. Dann kam der staatliche Eingriff, der ein generelles Aufführungsverbot mit sich brachte. Und so fand die Aufzeichnung von Lohengrin vom 20. Oktober 2018 Eingang in die Idee Oper trotz Corona, mit der die Stuttgarter ausbleibende Besucher im Netz versorgen wollen.

Prinzipiell ist nichts dagegen einzuwenden, auch mit qualitativ minderwertigen Streamings an das Publikum heranzutreten – wäre das mediokre Angebot im Netz nicht bereits überbordend. Gleichzeitig finanziert die Europäische Union eine Plattform, die Opern zeigt – eine äußerst fragwürdige Subvention, die den Wettbewerb deutlich verzerrt. Aber in Zeiten, in denen alle Gesetze außer Kraft gesetzt zu scheinen, ist das wohl eher eine Randbemerkung.

Regisseur Árpád Schilling hat mit Lohengrin eine Durststrecke von fast vier Stunden zu bewältigen. Es gibt wenig Handlung und schleppende Gesänge mit unsäglichen Texten. Da ist Fantasie gefragt. Die bleibt in dieser Inszenierung aus. Hier gibt es wenig Bewegung, ein paar Regie-Einfälle, die weniger als witzig sind, und im Leben nicht irgendetwas, was dem Werk auch nur ansatzweise Neues abgewinnen könnte. Raimund Orfeo Voigt baut eine leere Bühne, die mit grau in grau auskommt und sich auf einen Kreidekreis konzentriert, der nach dem Gottesurteil keine wesentliche Rolle mehr spielt. Hinterher kommt noch eine Art Bett hinzu. Aber das rettet auch nichts, sondern wirkt wie hingestellt. Tina Kloempken hat die Aufsicht über die Kostüme. Da gibt es in den ersten beiden Aufzügen nur grau und beige zu sehen. Schlechtgeschnittene Anzüge und viele Brillen. Im Laufe der Aufführung gewinnt die Farbe an Bedeutung – warum auch immer. Denn während sich die Umstände eigentlich verschlechtern, kann man nicht ganz nachvollziehen, warum die Gesellschaft immer bunter wird. Tamás Bányai leuchtet ordentlich, ohne irgendwelche Effekte, aber die wären bei dieser Inszenierung auch eher überraschend. Schilling indes ignoriert den Text der Partitur, was angesichts der Untertitel der Übertragung besonders deutlich wird. Da, wo das Schwert nun wirklich nicht mehr zu übergehen ist, bekommt der Zuschauer ein Küchenmesser zu sehen. Es ist zum Heulen. In der Personenführung bleiben sich Chor und Solisten weitgehend selbst überlassen. Sprich, der Chor steht in der Ecke rum – gut, hier wird überspitzt, hin und wieder tollt der Chor auch über die gesamte Bühne – und die Solisten füllen ihre Rolle nach eigenem Verständnis aus. Das ist dünn.

Um es positiv zu formulieren: Schilling setzt ganz auf die Fähigkeiten der hervorragenden Solisten. Michael König zeigt einen Lohengrin, der ganz der Partitur verhaftet ist und stimmlich die Erwartungen voll und ganz erfüllt. Simone Schneider als Elsa von Brabant zeigt ebenso wie Okka von der Damerau als Ortrud einige Vibrato-Ausfälle in der Mittellage. Ansonsten gefallen beide Damen in der stimmlichen Ausformulierung. Martin Gantner zeigt sich der Rolle des Telramund voll und ganz gewachsen und zieht damit gleichauf mit Goran Jurić als Heinrich der Vogler. Sämtliche andere Rollen sind ebenso gut ausgefüllt wie der Chor der Staatsoper, der von Manuel Pujol ganz wunderbar einstudiert wurde. Das einem nach drei Stunden die bedeutungsvollen Blicke des Chors auf den Senkel gehen – dafür kann der Chor nun wirklich nichts. Da hätte Schilling, aber auch die Kameraführung mehr leisten können.

Die Ton- und Videoabteilung der Staatsoper ist zuständig für die Aufzeichnung. Da erstaunen in erster Linie der Ton der Solisten und in zweiter Linie die Kameraführung. Offenbar hat niemand damit gerechnet, dass dieses Video jemals an die Öffentlichkeit kommt. Zahlreiche Unschärfen trüben die Aufführungsqualität ebenso wie die zahlreichen Halbtotalen auf den Chor. Wenn der Regisseur den Chor nicht bewegen kann, helfen auch die Schnitte nicht, sondern wirken eher ermüdend. Und wieder geht es am Text vorbei, wenn aufgefordert wird, Elsa von Brabant Platz zu machen, während der Chor schon in der Ecke zusammengekauert ist.

Cornelius Meister leitet das Staatsorchester Stuttgart. Im Vorspiel geht es zu zaghaft zu, schließlich aber fangen Dirigent und Orchester sich und führen musikalisch über all die inszenatorischen Unzulänglichkeiten hinweg. Am Ende des Abends ist in Kombination mit den Stimmen das Ziel erreicht

Das Publikum, das hier aus dem Off zu hören ist, jubiliert, insbesondere, was die Leistungen des Chors, der Solisten und des Orchesters angeht. Das ist vor dem Monitor nur teilweise nachzuvollziehen. On demand, also auf Abruf, kann man sich die Aufführung noch in der kommenden Woche ansehen. Wenn man nicht lieber auf die Wiederaufnahme warten will.

Michael S. Zerban