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Neu entflammter Verführer

CASANOVA IN DER SCHWEIZ
(Paul Burkhard)

Besuch am
30. Oktober 2020
(Premiere)

 

Theater Orchester Biel Solothurn, Solothurn

Dass ausgerechnet ein Schweizer dem wohl bekanntesten Schwerenöter aller Zeiten eine Oper widmet, ist eine kleine Sensation. Das komische Werk Casanova in der Schweiz hat gleich mehrere Pfeile im Köcher, um auf die Spielpläne zurückzukehren. Paul Burkhard, Komponist des Abenteuers in fünf Bildern, das 1943 am Zürcher Stadttheater uraufgeführt wurde, dürfte den meisten von uns ohnehin schon im Ohr liegen. Sein Lied Oh, mein Papa ging um die Welt. Der Evergreen stammt aus seinem musikalischem Lustspiel Der Schwarze Hecht, das er 1939 schrieb.

Burkhard war ein Vielschreiber, und die meisten seiner Werke, darunter auch Operetten, waren Großerfolge. Aber kann er auch Oper? Casanova in der Schweiz wurde nach der Uraufführung in Zürich und später in Salzburg gefeiert, verschwand danach aber für fast 70 Jahre in der Versenkung. Tobs-Intendant Dieter Kaegi lässt sich von so etwas nicht beirren, im Gegenteil. Das Städtebundtheater ist bekannt für Ausgrabungen, manchmal kommen pro Saison fast mehr Opera rara als Repertoire zur Aufführung. Nun ist Kaegi die Wiederbelebung einer Pretiose gelungen. Ja, Burkhard kann Oper. Sein Werk verzückt rundum, die Casanova-Partitur ist von schillernder Vielfältigkeit.

Die Handlung der Opera buffa ist schnell erzählt: Casanova, Chevalier de Seingalt, reflektiert im Zwingli-Zürich seine wilden Jahre als Herzensbrecher und kommt zum Schluss, der Wonne und Lust zu entsagen. Sein weiteres Dasein will er im Kloster Einsiedeln fristen. Eine Madame de ***, die sich mit Gatte und Gefolgschaft auf dem Weg nach Solothurn befindet, durchkreuzt seine hehren Pläne. Casanovas Leidenschaft kehrt so schnell zurück, wie ein Hund mit einem weggeworfenen Ast. Dieser Teil der Geschichte ist sogar historisch überliefert. Was sich dann Burkhard und sein Librettist Richard Schweizer an fiesen Finten ausgedacht haben, entspricht jedoch einer blühenden Fantasie und gehört in die Abteilung klassische Verwechslungskomödie.

Was man hört, ist nicht etwa lapidar, sondern in hohem Mass berauschend. Würden Jacques Offenbach, Johann Strauss Sohn und Richard Strauss zusammen eine Oper schreiben, dann käme sie wohl Burkhards Casanova-Streich sehr nahe. Seine Anlehnungen an den Rosenkavalier und seine Einflüsse von Fledermaus & Co. sind unüberhörbar. Burkhard findet jedoch zwischen rezitativischem Singen und vollmundigen Orchester-Melodien eine eigene Tonsprache, die einen über zwei Stunden gefangen hält. Dieser Goldschatz hat 24 Karat. Burkhards durchkomponiertes Opus ist ein virtuoser Mix aus komplexer Tondichtung und leichtfüssiger Schwelgerei. Der Komponist beschreitet auch neue musikalische Wege, die damals zukunftsweisend hätten sein können. Wege, die Anklang bei einem breiten Publikum finden und nicht nur verkopfte Feuilletonisten befriedigen.

Burkhard spielt in seiner einzigen Oper geschickt mit den Tonarten und er hat ein Händchen für unaufdringliche Leitmotive, die er subtil ins große Ganze einbindet. Es gibt liedhafte Arien, schwelgende Puccini-Duette und pompöse Ensembles, die für wohliges Nackenkribbeln sorgen. Sein sprühendes Nonett hat Donizetti-Qualität. Burkhard gelingt es vor allem, nie in den musikalischen Kitsch abzugleiten, und gerade das macht sein Werk so faszinierend. Eine Einspielung auf Tonträger ist nach dieser Wiedererweckung beim Tobs überfällig.

Regisseur Georg Rootering macht das einzig Richtige mit einem Werk, das so lange verschollen war. Er lässt die süffisante Tändelei in der Ära des Rokokos zu Casanovas Lebzeiten spielen. Mit der Bühne von Vazul Matusz und den bonbonfarbenen Kostümen von Rudolf Jost beschwört er ein illustres Sittenbild, das sich vorwiegend in einem blauen Salon mit schwarzen Trennwänden aus Gaze entspinnt. Gehröcke aus Satin und voluminöse Roben aus Taft verwöhnen das Auge und lassen gleichzeitig die feine Ironie der Commedia dell‘arte durchschimmern. Das Licht und die filigranen Videoeinblendungen von Claude Rast verströmen einen Hauch Poesie.

Tobs wartet mit überzeugenden Darstellern und starken Stimmen auf. Das Städtebundtheater mit seinen Häusern in Biel und Solothurn läuft dem Stadttheater Bern regelmäßig den Rang ab. Simon Schnorr ist der seidene Verführer mit dem gewissen Etwas. Die raffinierte Galanterie kontrastiert er mit seinem markanten wie wandelbaren Bariton. Schnorr hat eine warm vibrierende Stimme, die nicht nur die Damen auf der Bühne betören dürfte. Mit Grazie und glasklarem Sopran, der auch im Forte angenehm schwingt, bietet ihm Rebekka Maeder in der Rolle der sittsamen Madame de *** die Stirn. Wenn ihr der venezianische Tunichtgut die Schuhe auszieht und dabei sanft das Fussgelenk streift, gerät auch ihr Blut kurz in Wallung. Es ist dann ihre Contenance, die das Geschehen vorantreibt.

Wie bei Mozarts Don Giovanni weiss auch Casanova um einen treuen Diener und der heisst Leduc. Konstantin Nazlamov hat in dieser Oper alle Hände voll zu tun, was sich ebenfalls in einer Registerarie niederschlägt, in der er sich am liebsten drei Damen wünscht, zwei für den Herrn und eine für sich. Ein Stück Käse, mit einem Schweizer Sackmesser sauber aufgeteilt, dient hier zur Anschauung und Nazlamov bringt mit seinem hellen Tenor auch die dazugehörigen Kantilenen sauber hin.

Auf die kecken Auftritte der Madame Latente muss man an diesem Abend verzichten. Die Altistin Judith Lüpold, der die Rolle auf guten Leib und volle Stimme geschrieben ist, befindet sich in Quarantäne. Das ist bedauerlich, weil die Vorstellung nur für 30 Pressevertreter stattfindet und danach in den Lockdown geschickt wird. Lüpolds Partie wird von Josy Santos, die im Stück noch als Glutz zu bewundern ist, souverän ab Vorlage gesungen. Santos timbrierter Mezzosopran ist ein Versprechen. Bariton Wolf Latzel ist ein grimmiger wie stimmstarker Monsieur de ***, und Horst Lamnek glänzt als wendiger Fürstabt mit sonorem Bassbariton. Martin Mairinger verleiht der Figur des Lebel mit seinem luziden Tenor Präsenz, und Sopranistin Céline Steudler hat als kesse Dubois das passende Kolorit in ihrer jungen Stimme.

Trotz erschwerter Proben aufgrund der Corona-Pandemie gelingt Francis Benichou ein glanzvolles Debüt am Pult. Mit Schwung und Eleganz führt er das Sinfonie-Orchester Biel Solothurn durch die vielschichtige Partitur und lässt die Zügel bis zum Schluss nicht locker. Die Wiedererweckung eines vergessenen Opus glückt in Solothurn auf allen Ebenen. Möge der Casanova so bald als möglich ins älteste Barocktheater der Schweiz zurückkehren und auch anderswo seinen Esprit verströmen. Der anhaltende Schlussapplaus ist jedenfalls von vielen Bravorufen begleitet.

Peter Wäch