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Vom brennenden Todesengel

OTELLO
(Giuseppe Verdi)

Gesehen am
23. Mai 2020
(Video on demand)

 

Salzburger Osterfestspiele

Nach dem großartigen Erfolg der Kooperation der Sächsischen Staatsoper Dresden mit den Salzburger Osterfestspielen 2015 mit Cavalleria Rusticana und I Pagliacci war die Erwartungshaltung für das Folgejahr 2016 natürlich hoch, zumal mit Verdis Spätwerk Otello ein spektakuläres Bühnenwerk auf dem Spielplan stand. Doch die Produktion stand unter keinem guten Stern. Der für die Hauptpartie engagierte Johan Botha musste kurz vor der Premiere krankheitsbedingt absagen. Insider wissen, dass Botha sechs Monate später einem Krebsleiden erlag. Der schwarze Engel, der in dieser Inszenierung auf der Bühne wie Otellos Alter Ego omnipräsent ist, wirkt hier wie ein Todesengel in der Zukunft. Und José Cura, kurzfristig für Botha eingesprungen, wirkt fast wie gelähmt ob dieser Bürde. Neben großen Sängernamen, die ja oft als Zugpferde für ein elitäres Publikum herhalten müssen, war es diesmal der Modeschöpfer Christian Lacroix, der schon häufiger mit dem Regisseur Vincent Boussard zusammengearbeitet hat. Dabei hält sich Lacroix bei der Kostümierung der Hauptakteure diesmal mehr zurück und setzt auf schlichtes Outfit, dafür erscheint der Chor in farbenprächtigen und opulenten Gewändern, quasi als farblicher Kontrapunkt zu dem eher tristen und grauen Geschehen. Lediglich Dorothea Röschmann als weißgekleidete Desdemona wirkt von Anfang an wie ein Unschuldsengel, auch hier der Kontrast zum schwarzen Boten der Finsternis.

Es beginnt mit einem Schleier. Dieser füllt fast die ganze Bühne des Großen Festspielhauses. Elegant hüllt er die im Sturm vor Zypern ums Überleben kämpfende venezianische Flotte ein, überzeugend dargestellt durch den Sächsischen Staatsopernchor Dresden. Fein und ästhetisch wirkt das, zumal dekorative Videoprojektionen und eine ständig wechselnde Lichtregie zwischen hell und dunkel für wechselnde Stimmungen sorgen.

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Regisseur Vincent Boussard, sein Bühnenbildner Vincent Lemaire und Kostümbildner Christian Lacroix liefern das ab, was man von ihnen erwartet: schöne Bilder, allerdings ohne tiefere Deutung. Otello ist ungeschminkt, also weiß. Man möchte politisch korrekt sein, keine Diskussionen über Rassismus sollen das schöne Erlebnis trüben. Dabei steckt schon in Shakespeares Othello des 16. Jahrhunderts, dem Mohr von Venedig, und nicht minder im Spätwerk des italienischen Risorgimento so viel bleibende Aktualität drin. Sei es die Angst vor dem Fremden, nur weil es „fremd“ ist; Integrationswille, gepaart mit Machtgier, bis hin zur Selbstverleugnung, sei es „Königsmord“ durch heuchlerisches Intrigantentum, und blinde und rasende Eifersucht bis zum bitteren Ende.  Da wundert es schon, dass bei diesem Stück auf blanke Ästhetisierung und Schönheit im Sein gesetzt wird, ohne die psychologischen Verbindungsebenen der Protagonisten etwas tiefer zu beleuchten. Zwischen den Akteuren passiert wenig, man glaubt ihnen einfach nicht, was sie da singen. Rasch erschöpfen sich zudem die hübschen Bilder. Da sieht man ein mit Kerzen bestücktes Bankett, Türen leuchten bedeutungsvoll, einmal fällt sogar eine riesige Wand geräuschlos um. Und Desdemonas weißes Tuch, „Corpus Delicti“ ihrer anscheinenden Untreue, ist in den Videoprojektionen omnipräsent, damit es auch jeder versteht. Der Höhepunkt scheint erreicht, als die schwarzen Flügel des Todesengels Feuer fangen. So erscheint diese Inszenierung mehr Effekthascherei mit schönen Bildern als schlüssige Personenregie. Lediglich der Schluss, als Otello seine Desdemona erst erwürgt, um dann in der Erkenntnis seines fatalen Irrglaubens sich selbst zu richten, darf von der schauspielerischen Seite als gelungen bezeichnet werden. Doch das reicht insgesamt für eine bewegende Inszenierung nicht aus, als Zuschauer bleibt man etwas hilflos und fast schon gelangweilt zurück.

Leider schaffen es die Akteure auf der Bühne nicht, trotz der fehlenden Personenregie zumindest stimmlich und sängerisch hier für Kompensation zu sorgen. José Curas erster Bühnenauftritt mit dem gewaltigen „Esultate!“ nach dem Chorpreludio ist einfach nur grausam, es klingt furchtbar gequält, gepresst, in den Höhen droht die Stimme schon nach den ersten Tönen zu kippen. Selten hat man einen Sänger sich so durch eine Partie quälen gehört, dass es einem als Zuhörer selbst schon physisch schmerzt. Auch wenn Cura sich im Laufe des Abends wieder etwas fängt und noch ein passables Finale hinbekommt, so bleibt doch ein bitterer Nachgeschmack. Auch Dorothea Röschmann erwischt nicht ihren besten Abend. Ihre Höhen, ihre dramatischen Ausbrüche wirken unangenehm schrill, und die fast kindliche Innigkeit, die man beim „Ave Maria“ erwarten darf, weicht hier einer zu dramatischen Interpretation. Es ist, als ob sie sich von Curas Indisposition hat anstecken lassen.

Auch Carlos Álvarez wirkt in der Rolle des kalten Intriganten Jago etwas angestrengt, und die dämonische Ausstrahlung geht ihm leider völlig ab. Es ist schon bezeichnend, dass es vor allem die vermeintlich kleineren Rollen an diesem Abend sind, die stimmlich aufhorchen lassen, allen voran Benjamin Bernheim als Cassio und Christa Mayer als Emilia. Georg Zeppenfeld als Lodovico ist mit seinem markanten Bass da schon eine Luxusbesetzung. Dafür zeigen der Sächsische Staatsopernchor, stimmlich hervorragend eingestimmt von Jörn Hinnerk Andresen, und der Kinderchor der Salzburger Festspiele und Theater unter Wolfgang Götz, eine starke Bühnenpräsenz. Der Todesengel, dargestellt von der Tänzerin Sofia Pintzou, choreografiert von Helge Letonja, übernimmt durch seine Omnipräsenz eine Hauptrolle, die weder bei Shakespeare noch bei Verdi vorgesehen ist und verfälscht die Geschichte als ein von höheren Mächten vorbestimmtes Ereignis und verkennt dabei die eigentliche Tragik des Werkes.

Musikalisch ist stark, was die Sächsische Staatskapelle unter Christian Thielemann abliefert. Einziges Manko: Auch Thielemann schafft es nicht, dass die Musik wirklich berührt, dass sich Gänsehaut einstellt, wie es zum Beispiel bei den beiden Verismo-Opern der Salzburger Osterfestspiele 2015 der Fall war. Es war, als ob sich der Schatten dieses schwarzen Engels auch auf die Musik gelegt hätte. Das Publikum, bei den Zwischenpausen sehr verhalten, spendet zwar am Schluss großen Applaus, es gibt auch vereinzelte Jubelrufe für die Hauptakteure, aber Euphorie hört sich anders an. Kameraführung, Ton- und Bildqualität bei diesem Stream sind dafür in Ordnung, auch wenn es die meiste Zeit doch sehr düster auf der minimalistischen Bühne ist. Dennoch bleibt beim Gesamtresümee, dass es deutlich gelungenere Aufnahmen dieses großen Werkes von Giuseppe Verdi gibt, die hörens- und sehenswert sind.

Die Sächsische Staatsoper Dresden setzt mit einer Ausstrahlung von Humperdincks Märchenoper Hänsel und Gretel aus dem Jahre 2006 in der Regie von Katharina Thalbach und unter der musikalischen Leitung von Michael Hofstetter am kommenden Wochenende ihre Reihe „Semperoper zuhause“ fort.

Andreas H. Hölscher