O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Zündendes Feuerwerk – komödiantisch überzogen

IL BARBIERE DI SIVIGLIA
(Gioachino Rossini)

Besuch am
3. Juni 2022
(Premiere)

 

Salzburger Pfingstfestspiele, Haus für Mozart

Er ist ein Tagträumer, der sich im Hollywood-Ambiente der 1930-er Jahre gerne in alte Filme flüchtet. Und er ist omnipräsent. Er holt nicht nur die Figuren aus den im Hintergrund gezeigten Filmen heraus und lässt sie lebendig werden, sondern er beeinflusst auch wie ein Strippenzieher immer wieder die Handlung und die Protagonisten von Gioachino Rossinis Il barbiere di Siviglia, einem Klassiker des Opera-buffo-Genres, bei den Salzburger Pfingstfestspielen im Haus für Mozart. Arturo Brachetti verkörpert den vom Regisseur erfundenen, stummen Verwandlungskünstler. Rund um die Rahmenhandlung zeigt der komik-affine Rolando Villazón in seiner Inszenierung ein vielschichtiges und intelligentes Feuerwerk an unterhaltsamen Gags, Symbolen und unerschöpflichen Ideen, deren es allerdings manchmal zu viel und zu absurd wird und die teils zu sehr in den Klamauk abgleiten. Da bevölkern Kinohelden wie Frankenstein, Nosferatu, Zorro, Westernhelden, Römer, Kosaken, Samurai mit Anspielungen auf unzählige Filmklassiker die Bühne. Und immer ist unglaubliche Rasanz ohne Stillstand angesagt in immer wieder herein- und hinausgeschobenen Filmkulissen von Häuserfronten und Versatzstücken – das Bühnenbild erdachte Harald B. Thor – in fantasievollen, teils abenteuerlichen Kostümen von Brigitte Reiffenstuhl. Das Tempo kulminiert am Ende des ersten Aktes so stark, dass einer buchstäblich den Stecker ziehen muss, damit der Stillstand eintritt.

Dass das alles so funktioniert, dafür sorgt ein extrem spielfreudiges Ensemble: Allen voran ist Nicola Alaimo ein idealer Figaro. Buffonesk, mit unglaublicher Präsenz, dem nötigen Augenzwinkern und stimmlich in Topform. Er erscheint auf einem winzigen Tretroller mit Luftballonen, bleibt zum Gaudium des Publikums wegen seiner Körperfülle in einem Armsessel stecken, feilt während Rosinas Koloraturen im Takt ihre Nägel. Una voce poco fa: Nicht nur mit ihrer Parade-Kavatine, die sie bezeichnenderweise schaukelnd in einem riesigen Vogelkäfig singt, vermag die Künstlerische Leiterin des Pfingstfestivals, Cecilia Bartoli, ein wahres Feuerwerk an perfekten Koloraturen zu zünden. Ihre Rosina, mit der sie vor 35 Jahren debütierte, singt sie mit wunderbarer Flexibilität, ihrer ganz eigenen Technik, tiefem Ausdruck und setzt auch noch etliche, rasante Verzierungen hinzu. Nach anfänglich kleinen Koloraturunsicherheiten gibt Edgardo Rocha einen sehr flexiblen, höhensicheren Almaviva, ergreifend bei den Lyrismen und am Schluss schon wieder mit einer anderen Dame ungeniert flirtend. Alessandro Corbelli ist ein stimmgewaltiger und witziger Bartolo. Mit mächtigem Bass und starker Präsenz vernimmt man Ildebrando D‘Arcangelo als Basilio, köstlich als Nosferatu ausstaffiert und agierend. Tadellos singen Rebeca Olvera als Berta und José Coca Loza als Fiorillo. Homogen und spielfreudig agiert der Philharmonia-Chor Wien, dessen Einstudierung Walter Zeh besorgte.

Gianluca Capuano hat eine flotte und ausgereizte Lesart der genialen Partitur, die von den, der historischen Aufführungspraxis verpflichteten Les Musiciens du Prince-Monaco spritzig musiziert wird. Nicht nur bei den Rezitativen nimmt man sich einige musikalische Freiheiten mit bekannten Zitaten aus Filmen und dem Jazz heraus.

Stehende Ovationen und viele Lacher beim Publikum.

Helmut Christian Mayer