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APPASSIONATA
(Ludwig van Beethoven)
Gesehen am
2. Mai 2020
(Livestream)
Aus Präzision wird Leidenschaft: So möchte man Katie Mahans Klavierspiel am ehesten beschreiben. Es reicht ihr nicht, ein Stück zu spielen. Sie möchte es durchleben, am liebsten mit geschlossenen Augen, um ganz bei sich zu sein. Und das hört man dem Ergebnis an. Präzise verträumt, technisch elegant und tänzerisch wie ein Schmetterling auf der Blume. Seit ihrem vierten Lebensjahr sitzt Katie an den Tasten. Nach einem Konzertabend der Labèque-Schwestern war ihr klar, dass sie Konzertpianistin werden wollte. Nicht zuletzt die Garderobe der Schwestern überzeugte das Mädchen, dessen Mutter als Pianistin und Schneiderin arbeitete. Am nächsten Tag saß sie neben ihrer Mutter am Klavier, und zwei Jahre später gab sie ihr erstes Solo Recital. Statt der Wunderkind-Karriere gab es aber ein vernünftiges Studium in der Heimatstadt Denver in Colorado, USA.
Heute lebt sie in Salzburg, der Stadt, „in der Mozart lebte und atmete“, beschreibt sie die Faszination der neuen Heimat, die sie bereits in der Jugend kennenlernte. Zwischenzeitlich hat sie sich zu einer anerkannten Gershwin-Spezialistin entwickelt und sich damit auch mit den Werken von Debussy und Ravel intensiv beschäftigt, die Gershwin bewunderte. In diesem Jahr allerdings rückt die Begeisterung für den amerikanischen Komponisten in den Hintergrund, schließlich ist das Beethoven-Jahr angebrochen. Und da möchte Mahan sich gern mit einer Einspielung in die Reihe der Gratulanten begeben. In diesem Monat wird ihr Album Appassionata erscheinen. Hier vereint sie die Bagatellen, die Sonate Nr. 30 und eben die Sonate Nr. 23, die später von einem Verleger den Beinamen Appassionata – die Leidenschaftliche – bekam. „Ich habe diese Stücke ausgewählt, weil sie für mich die Essenz von Beethovens Lebensweg verkörpern. … Wenn wir von seinem letzten Werk für Klavier rückwärts zu der berühmten Appassionata-Sonate reisen, hören wir den Ausdruck seiner Emotionen und Leidenschaften und werden Zeuge seiner Verwandlung als Künstler und Mensch. In den zwanzig Jahren, die die Bagatellen und die Appassionata trennen, spüren wir, wie Wut in Demut und Angst in Gelassenheit verwandelt werden“, sagt Mahan über das Album. Bevor man sich davon selbst überzeugen kann, bekommt die Pianistin allerdings die Gelegenheit, die Sonate, die zu den beliebtesten Beethovens gehört, als Stream-Konzert im Internet zu präsentieren.
Classic at home bezeichnet sich selbst als internationales Kulturprojekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, mit modernsten Internet-Technologien Premieren-Konzerte zu veranstalten, die die Unterschiede zwischen Ost und West aufheben wollen. Finanziert wird das Projekt von der russischen Regierung, der künstlerische Leiter ist Fjodor Elesin. Der Veranstalter hat Katie Mahan in das Oval, die Bühne im Europapark Salzburg, eingeladen. Vom Veranstaltungsort ist allerdings an diesem Abend wenig zu sehen.
Katie Mahan – Bildschirmfoto
Mit wenigen Schritten erreicht Mahan den Flügel, gewandet in einem geschmackvollen und zugleich reizvollen Abendkleid, schulterfrei und hochgeschlitzt. Bis heute entwirft Mutter Bobette ihre Kleider. Nach einer kurzen Ansprache auf Deutsch und Englisch zeigt die Pianistin, wofür sie hochgelobt wird. Mit geschlossenen Augen greift sie in die Tasten, mit präzisem und doch kaum fühlbarem Anschlag, lässt die Sonate Nr. 23 transparent werden, zergliedert Läufe und kontrapunktische Anschläge, ohne sie zu zerlegen, wie es etwa Glenn Gould getan hat, um die Trivialität des vielgeliebten Klavierstücks zu beweisen. Vielmehr lässt Mahan das Publikum an den Monitoren an ihrem Traum teilhaben, den sie ganz offensichtlich durchlebt, während sie durch die Sätze wandert. Etwas manieriert wirken das Zurücklehnen des Oberkörpers wie das Heben ihrer Arme. Aber das sieht man ihr gerne nach, wenn sie pünktlich wie eine Atomuhr zu den Tasten zurückkehrt, um dem Flügel mit feinster Anmut die herrlichsten Töne zu entlocken.
Filmisch ist das Konzert eher enttäuschend, vor allem, wenn man von „modernsten Internet-Technologien“ liest. Zwar gelingt der Wechsel zwischen drei Einstellungen fließend und meist gekonnt, aber da wäre doch noch mehr möglich. Das wirkt einfallslos und in der Bildqualität eher mittelmäßig. Auch für Untertitel bei den englischen Redeanteilen reicht es nicht. Aber es gelingt eine hervorragende Übertragung des Tons.
Ehe sich Mahan von ihrem Publikum nicht verabschiedet, leitet sie über zu einer „Zugabe“, die man eigentlich in diesen Tagen gar nicht mehr hören möchte. Sie präsentiert eine wenig überzeugende Klavierfassung der Ode an die Freude. Vermutlich hat aber das Publikum, das die Appassionata liebt und dafür auf jeden Gottesdienst verzichtete, um sie in einer Matinee zu hören, auch Spaß an der Hymne, die in diesen Tagen allüberall und bevorzugt in Zoom-Konferenzen beinahe als Glaubensbekenntnis zu hören ist. Nach dem Verklingen der letzten Töne gibt es nichts mehr außer Klaviertasten zu sehen. So verstärkt sich der „Konserven-Charakter“.
Die kleinen Makel täuschen allerdings nicht darüber hinweg, dass man sich ungehemmt auf das neue Album der begnadeten Tastenkünstlerin freuen darf. Und darüber hinaus auch mal mit ihrem Gershwin-Werk befassen möchte. Das gibt es bereits als Einspielung.
Michael S. Zerban