O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ruth Walz

Aktuelle Aufführungen

Ungenutzte zweite Chance

AIDA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
12. August 2022
(Premiere)

 

Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus

Eigentlich wollte der Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, nach der Regisseurin der Zauberflöte Shirin Neshat eine zweite Chance geben, um die enttäuschende Inszenierung von Giuseppe Verdis Aida aus 2017, als sie als Opernregisseurin überhaupt debütierte, nochmals bei einer Wiederaufnahme zwingender zu überarbeiten. Während dies Lydia Steier bei Mozart geglückt ist, scheiterte die aus dem Iran stammende und derzeit in den USA lebende Filmemacherin, Fotografin und Videokünstlerin ein zweites Mal.

Denn ihre Arbeit besteht hauptsächlich in der Präsentation von Tableaus, aus Rampensingen, steifem Schreit-, Sitz- und Stehtheater und auch sonst viel fader Statik und schrammt teils fast am Dilettantischen vorbei.  Und ihre Inszenierung besteht aus vielen Videosequenzen, die auf einen großen drehbaren und auf einer Seite offenen Kubus, der irgendwie an die Styroporverpackung eines elektronischen Gerätes erinnert, projiziert werden: Schwarz verschleierte Frauen und Männer mit weißen Hemden und schwarzen Hosen marschieren wie in Prozessionen durch Steinwüsten oder verfallene Gebäude zu irgendwelchen Zeremonien, Personen, die dann auch realiter auf der Bühne auftauchen. Man wünschte sich hier jedoch eine stärkere Verzahnung von Video und realer Szene.

Foto © Ruth Walz

Zudem gibt es in den Umbaupausen Porträts von zerfurchten Gesichtern, die von gebetsartigem Geflüster begleitet werden. Offenbar sind das Reminiszenzen an ihr Heimatland. Ein Triumphmarsch findet nicht statt. Da dreht sich der Würfel mehrfach um die Achse und gibt den Blick auf die in Reih und Glied sitzenden Priester mit falschen Rauschebärten frei. Und im Krieg gibt es sowieso kein Erbarmen: Alle Gefangenen und sogar Amonasro werden hingerichtet. Radamès muss sich im Ritual die Hände in Blut waschen und eine Frau mit einem Schwert ermorden. Neshat zeigt hier die Geistlichkeit als Ursache des Krieges und der Gewalt, offenbar wieder eine Anspielung auf die politische Situation im Iran. Zum Schluss werden Aida und Radamés nicht eingemauert, sondern singen ihrem Ende entgegen, während ein Boot mit Frauen auf das Meer hinaustreibt, angelehnt an die Flüchtlingsproblematik.

Sängerisch ist man gespannt auf das Rollendebüt von Piotr Beczała als Radamès, das er voll erfüllen kann. Obwohl immer noch mehr im lyrischen Fach zuhause, besticht der Tenor mit schönen Farben, Schmelz und kraftvollen Höhen. 2017 war noch Anna Netrebko die Titelheldin. Für 2022 war sie ohnehin nicht vorgesehen. Sie wird übrigens auch 2023 nicht bei den Salzburger Festspielen zu hören sein. So tritt Elena Stikhina in große Fußstapfen, meistert die Herausforderung mit ihrem ausgesprochen schönen Timbre, feinen Piani und Farbenreichtum aber mehr als gut, es fehlt allerdings etwas an Dramatik. Sie wird jedoch von der Amneris-Einspringerin Ève-Maud Hubeaux überragt, die mit großer Bühnenpräsenz, Gefühlsausdruck und intensivem Spiel und Tönen sehr beeindruckt. Erwin Schrott ist nur stimmlich ein bedrohlicher Ramfis mit kraftvollen Tönen, darstellerisch ist er zur völligen Statik verdonnert. Luca Salsi ist ein stimmkräftiger Amonasro. Roberto Tagliavini könnte als König noch mehr Autorität versprühen.

Alain Altinoglu am Pult der exzellenten Wiener Philharmoniker dreht manchmal ziemlich auf, wird teils zu grob, und es fehlt an Ausgewogenheit, er weiß aber auch viel Spannung zu erzeugen.

In den Applaus mischen sich dann doch einige Buhs für die Regie.

Helmut Christian Mayer