O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Zani/Casadio

Aktuelle Aufführungen

Luftig prickelnd

VALERY GERGIEV
(Diverse Komponisten)

Besuch am
27. Juli 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Ravenna, Paviglione Lugo

Über Wochen galt Italien als das Epizentrum der Corona-Pandemie. Schaurige Bilder von überfüllten Krankenhäusern und Leichentransporten prägten die Medien. So schwer gebeutelt, rückte das Land zusammen. Mit Härte und Disziplin konnte nach Monaten der umfangreichen Beschränkungen wieder eine Lockerung den Weg zu einer neuen Normalität öffnen.

Als eines der ersten Festivals weltweit eröffnete Cristina Mazzavillani Muti als Präsidentin des Ravenna-Festivals mit einem neu aus dem Boden gestampften Programm am 21. Juni seinen Betrieb. Ihr Ehemann Riccardo Muti bot tatkräftige Unterstützung und leitete das erste Konzert. Den Auflagen entsprechend wurden neue Spielstätten gesucht und insbesondere im Paviglione in Lugo, einer Kleinstadt 30 Kilometer von Ravenna entfernt, gefunden.

Ein offener, fast quadratischer Innenhof von 135 Metern Seitenlänge, ein architektonisches Juwel aus dem 18. Jahrhundert, ermöglicht Freiluftkonzerte und trotzt den Restriktionen durch das Corona-Virus. 1771 bis 1774 errichtet, diente der so genannte Paviglione als Markt für die wertvollen Seidenraupen, von denen sich auch der Name ableitet – im Deutschen ist der französische Papillon der Schmetterling. Der heute verschlafen anmutende Ort blickt auf eine bedeutende Wirtschaftsgeschichte zurück. Jetzt wird er zum kulturellen Zentrum, und die Musiker und ihre Anhänger bevölkern die Straßen und Plätze der Stadt.

Valery Gergiev und das Orchester des Mariinsky-Theaters, das er seit vielen Jahren leitet, sind angereist und spielen ein umfangreiches Programm aus mehreren kompositorischen Stilrichtungen. Gleich zu Beginn wird Gioacchino Rossini die Ehre erwiesen. Nicht weit von Lugo in Pesaro an der Adriaküste hat der Meister des Belcantos das Licht der Welt erblickt. Auch dort wird heuer trotz Corona das alljährliche Festival durchgeführt. Die Kulturnation Italien zeigt in diesem Sommer ein kräftiges Lebenszeichen.

Foto © Zani/Casadio

Die Ouvertüre zur Oper La Cenerentola steigt dunkel und nahezu feierlich ein, um in einem Feuerwerk von schwungvollen Melodien zu einer freudigen Klangwolke aufzusteigen. Schnell kommt das Orchester nach ein paar lähmenden Takten vom Maestro angetrieben in Fahrt. In gewohnter Lässigkeit mit flatternden Handbewegungen versucht er, das Orchester zu Leichtigkeit zu motivieren.

Hastig ist der Wechsel zu Sergej Prokovievs Erster Symphonie opus 25, der Klassischen. Wie ein Lehrstück verarbeitet der Komponist Elemente des Barocks und der Klassik und schafft dabei ein zündendes Werk, das seiner russischen Prägung nicht entsagt. So fühlen sich auch die Musiker hörbar bei diesen Klängen zu Hause. Präzis, zackig treibend scheint das Orchester über einige Passagen zu marschieren, um sich wiederum in nahezu schwebende Auflösung in ausgekosteten Melodiebögen zu begeben.

Wiederum rasch und markant ist der Wechsel zur flirrenden Musik des Impressionisten Claude Debussy. Seine Komposition Prélude à l’aprés-midi d’un faune zählt zu den prägenden Werken der Stilrichtung. Schlafend träumend wandeln die Musiker durch die Partitur. Die Soloflötistin führt souverän mit leichtem Ton und inspiriert gefühlvoll durch die impressionistische Bilderlandschaft.

Zum Finale kommt nochmals italienisches Temperament auf. Felix Mendelssohn Bartholdys 4. Symphonie wird auch zu Recht die Italienische genannt. Herzhafte Rhythmen, sofort eingängige Melodien, die in strahlenden Steigerungen verarbeitet werden, vermitteln dem Werk eine mediterrane Leichtigkeit. Positiv und mitreißend wird Freude und jetzt auch Überlebenswillen suggeriert. In diesen Zeiten mehr als wichtig und gebraucht.

Erneut arbeitet Gergiev mit Gestik und Mimik, schwungvoll luftig prickelnd folgt das Orchester, lässt aber einen Schuss russische Melancholie einfließen. Zu schnell verrinnt der Abend. Corona-bedingt bleibt das Programm auf knapp eine Stunde ohne Pause begrenzt. Aber es tut so gut, wieder volle Orchesterklänge zu hören und zu fühlen. Das Publikum dankt begeistert.

Helmut Pitsch