O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jürgen Paust-Nondorf

Aktuelle Aufführungen

Aushängeschild der Stadt

FESTLICHES WEIHNACHTSKONZERT DER STADT RATINGEN
(Diverse Komponisten)

Besuch am
23. Dezember 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Stadt Ratingen, Stadthalle

Bereits zum dritten Mal wird der Konzertchor Ratingen mit der Durchführung des Weihnachtskonzertes der Stadt Ratingen in der Stadthalle beauftragt. Ausgiebig hat der Chor in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen gefeiert, da ist die Ausrichtung des Weihnachtskonzerts noch einmal so etwas wie der krönende Abschluss. Finden auch die Ratinger Bürger und strömen in Scharen in die Stadthalle. Schließlich hat sich die Qualität des Chors längst in der Stadt herumgesprochen. Und so überflüssig die Begrüßung durch Kulturdezernent Patrick Anders ist, in der er die vermeintlich wichtigeren anwesenden Menschen der Stadt namentlich benennt, so recht hat er mit dem Prädikat, das er dem Konzertchor verleiht: Er habe sich längst zum Aushängeschild der Stadt entwickelt. Es gibt Schlimmeres, was man sich zum 50-Jährigen anhören kann.

Mag sein, dass die überschäumende Freude Chorleiter Thomas Gabrisch zu einem Programm für den heutigen Abend bewogen hat, das man ohne Übertreibung als überambitioniert bezeichnen darf. Und das bedeutet für den Chor zunächst einmal, dass er zum Nichtstun verdonnert wird und die erste Hälfte des Konzerts nahezu stumm auf der festlich dekorierten Bühne sitzt. Gleich vier Tannenbäume hat die Stadt geschmückt an den Bühnenrand gestellt. Das Geld für drei von ihnen wäre sicher in ein ordentliches Programmheft, wie man es vom Konzertchor kennt, besser investiert gewesen. Aber wie heißt es so schön: Wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird.

Luisa Gabrisch – Foto © Jürgen Paust-Nondorf

Ein Blick auf den schmalen Abendzettel lässt den Musikkundigen erahnen, dass da in dürren Worten ein Mammutprogramm aufgeschrieben steht. Dem weniger Erfahrenen mag zunächst die Idee gefallen, dass das musikalische Programm sogar um eine Lesung erweitert wird. Die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens wird da versprochen – auch hier überwiegt beim Kenner die Hoffnung, dass es sich lediglich um Auszüge handelt. Zumal noch das Gedicht Die Weihnachtsmaus von James Krüss avisiert ist. Eröffnet wird der Abend aber von der Sinfonietta Ratingen, dem Orchester, das dem Konzertchor zur Seite oder in dem Fall vor ihm steht respektive sitzt. Wer im Rheinland Johann Sebastian Bach hören will, schaltet am besten von Dezember bis Februar die Klassikwelle des Westdeutschen Rundfunks ein. Da wird er garantiert in der Dauerberieselung mit der Musik des Leipziger Thomaskantors auch auf die dritte Orchestersuite, auf jeden Fall aber auf das Air daraus, treffen. Ein fünfsätziges Werk, dem nach der Ouvertüre das Air und drei Tänze folgen. In der Stadthalle scheint es unbekannt zu sein, und so wird nach jeder Zäsur kräftig applaudiert.

Nach rund 20 Minuten, aus denen Gabrisch vor allem und zurecht den Glanz der Trompeten loben wird, ist die erste Lesung vorgesehen. Eingeladen ist dazu die Schauspielerin Hanna Werth. Im Abendzettel ist zu erfahren, sie lese „heitere und besinnliche Geschichten zur Weihnachtszeit“. Nun, wer in Dickens‘ Weihnachtsgeschichte Heiteres und Besinnliches zu entdecken vermag, muss mit Werth befreundet sein. Offenbar sind die Zeiten vorbei, in denen Schauspieler sich zunächst intensiv mit einem Text auseinandersetzen, ehe sie ihn vortragen. Werth, die sich in einen roten Sessel setzt und ein goldfarbenes Buch aufschlägt, liest daraus so etwas wie Hanni und Nanni auf dem Ponyhof vor. Mit Ebenizer Scrooge hat sie sich jedenfalls nicht annähernd beschäftigt. Wenn Scrooge verbittert und griesgrämig seinen Geschäftspartner anherrscht, klingt das bei Werth, als sei Hanni gerade fröhlich von ihrem Pferd abgesprungen, um Nanni von dem wundervollen Ausritt im Sonnenaufgang zu berichten. Dass sie sich damit auf fünf Minuten beschränkt, erweist sich als Glück. Und wird vom Publikum heftig beklatscht.

Hanna Werth – Foto © Jürgen Paust-Nondorf

Gabrisch hat sich für die einzelnen Werke kurze Anmoderationen einfallen lassen. Irgendwie muss man ja die alte Musik schmackhaft machen. So wie Arcangelo Corellis Concerto Grosso Fatto per la Notte di Natale – also für die Weihnachtsnacht gemacht – aus dem Jahr 1714. Gewiss. Weihnachten ist ein Fest der Traditionen. Aber muss es deshalb das 18. Jahrhundert sein? Nachdem man gerade Bach hinter sich gebracht hat? Es geht nicht um ein Festival für alte Musik, sondern um ein „festliches Weihnachtskonzert“. Sei’s drum. Die Streicher liefern fabelhaft ab, ehe Werth den zweiten Auszug aus der Weihnachtsgeschichte liest, ohne sich auch nur andeutungsweise zu verbessern.

Bevor sich die Besucher überlegen können, vielleicht nach der Pause nach Hause zu gehen, um eine Schallplatte mit schöner Weihnachtsmusik aufzulegen, kündigt Gabrisch Danse sacré und Danse profane von Claude Debussy an. Dass er damit ein ganz besonderes Werk aus dem Hut zaubert, wusste er, dass es der Höhepunkt des Abends wird, war vielleicht sein Wunsch. Denn als Solistin an der Harfe tritt Tochter Luisa Gabrisch auf. Nein, es ist nicht übertrieben: Hätte Debussy die junge Gabrisch gekannt, er hätte mehr Stücke für sie geschrieben. Eine wunderbare Interpretation, die von den Streichern des Orchesters umschmeichelt wird.

Sabine Schneider, Luzia Ostermann, Elvira Bill, Jakob Kleinschrot und Thomas Laske – Foto © Jürgen Paust-Nondorf

Die Weihnachtsmaus von James Krüss ist ein köstliches Weihnachtsgedicht, das man so witzig vortragen kann, dass das Publikum sich kringelt. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Jetzt noch ein paar schöne Weihnachtslieder und der Abend kommt zu einem guten Ende. Falsch. Denn nun zieht der Mann am Pult sein As aus dem Ärmel. Das Weihnachtsoratorium vom Camille Saint-Saëns wird aufgerufen. Da erklingt das wundersame Orgelspiel, der Chor kommt zum Einsatz – und vor allem haben die Solisten ihren Auftritt. Und spätestens jetzt rächen sich die Einsparungen beim Programmheft. Denn in den letzten Reihen des Saals ist zunächst nicht einmal verständlich, in welcher Sprache die Solisten singen. Als mit dem ersten Chorauftritt deutlich wird, dass es sich wohl um Latein handeln muss, breitet sich Langeweile aus. Da werden die verpassten Toilettengänge aus der Pause nachgeholt, längst geplante Gespräche mit dem Sitznachbarn ausgefochten und die Bronchialtoilette wird gepflegt. Die Anhänger des Chors zücken ihre Mobiltelefone, um die allfälligen Erinnerungsfotos und -videos einzufangen. Und wer sich bis jetzt noch nicht als konzertunerfahren zu erkennen gegeben hat, holt das eilig nach. Nach den Auftritten von Sabine Schneider, Elvira Bill, Luzia Ostermann, Jakob Kleinschrot und Thomas Laske gibt es großen Beifall. Denn an eine „Abstimmung mit den Füßen“ will ja wohl keiner ernsthaft denken. Kleinschrot fällt mit seinem operngestählten Tenor auf, wenn seine Einsätze wie Arien italienischer Opern klingen. Dass Saint- Saëns immer wieder „falsche Abgänge“ in seinem Oratorium geschaffen hat, hilft wirklich nicht weiter.

Aber zehn Minuten nach offiziellem Konzertende ist es geschafft. Gabrisch kann den letzten Programmpunkt ankündigen. Die Solisten sind abgetreten, anstatt vielleicht noch mitzusingen. Der Chor hat noch vier Weihnachtslieder abzusingen. Und das Publikum wird darauf hingewiesen, dass es, wenn es will, ja mitsingen kann. Liedtexte gibt es nicht. Da hält sich die Freude in Grenzen. Wer beim letzten Klang von O du Fröhliche verschwindet und nicht allzu weit entfernt wohnt, hat Glück, wenn er drei Stunden nach Konzertbeginn wieder zu Hause ist.

Das war zu viel gewollt, auch wenn Musiker, Chor und Solisten ihr Bestes gegeben haben. Im kommenden Jahr ein bisschen mehr auf die Vorstellungen des Publikums von einem festlichen Weihnachtskonzert einzugehen, wird für den Konzertchor Ratingen kein Problem darstellen. Und dann wird sich auch die Besinnlichkeit einstellen, auf die man sich bei diesem Konzert gefreut hat.

Michael S. Zerban