Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Aus heutiger Sicht ist es schwierig zu verstehen, wie Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf ein so großer Erfolg nach der Uraufführung 1927 in Leipzig war. Immerhin wurde die Oper des damals nur 27-jährigen Komponisten von keinem geringeren als Alexander von Zemlinksky dirigiert. Das Stück wurde in 18 Sprachen übersetzt, 421 Mal in ganz Europa aufgeführt, sogar an der New Yorker Met im Januar 1929 gezeigt. Dann kamen aber die dunklen Wolken über Deutschland, und die Musik Kreneks wurde als „entartet“ eingestuft – verboten, verschwunden.
Auf den heutigen Spielplänen kommt das Werk selten vor, da es thematisch und musikalisch eher dem damaligen Zeitgeist entspricht: Eine musikalische Komödie, eine Schlafzimmerfarce mit Sozialkommentaren, angetrieben von einer innovativen Mischung aus klassischer und zeitgenössischer Musik. Die Titelfigur ist ein in Paris lebender, afroamerikanischer Jazzmusiker, der eine wohlklingende Geige von dem eitlen Virtuoso Daniello stehlen will. Gelegenheit dazu findet Jonny, als Daniello die Opernsängerin Anita verführt, die gerade in Paris in einer Oper von ihrem Freund, dem Komponisten Max, auftritt, der wiederum Inspiration in der Einsamkeit der Schweizer Alpen sucht. Da wäre auch noch Jonnys Freundin, die sexy Yvonne, die als Anitas Zofe als Botin benutzt wird, einen Ring an den eifersüchtigen Max zu überbringen. Alle treffen sich in den abgelegenen Alpen wieder, Daniello und Max buhlen um Anita, Jonny nimmt die Geige, Max will sich umbringen, Anita erhält einen Vertrag für Auftritte in der Neuen Welt. Als sich alle auf dem Bahnhof in Amsterdam wiedertreffen – Jonny der Polizei einen Schritt voraus – rutscht Daniello aus und endet unter den Schienen, Max kommt in letzter Minute noch dazu und begleitet Anita, Yvonne und den Manager nach Amerika, während Jonny die Menschenmenge zu seiner „neuen“ Musik tanzen lässt.
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Gesang | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Regie | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Bühne | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Publikum | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Chat-Faktor | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Zugegeben, eine sehr verwirrende, surreale Geschichte, für die Krenek auch das Libretto schrieb. Der tschechische Regisseur David Drábek entschied sich, eben diese Surrealität auf die Spitze zu treiben. Er füllt die Bühne mit stummen Figuren – drei Gartenzwergen, die uns klar machen, indem sie uns ihre Hintern zeigen, dass alles nicht ernst gemeint ist, tanzende Edelweißblumen, einen strolchenden Yeti, einen Eisbären, der sich von einer charmanten Murmeltierdame auf Spitzenschuhen verführen lässt, diverse Aktionen von Zugreisenden in der Zugtoilette – die zum Teil sehr niedlich von Adéla Laštovková Stodolová choreografiert sind und mehr zu tun haben als die eigentlichen Akteure. Sie lenken aber völlig von der Geschichte ab, haben keine offensichtliche Verbindung zur Erzählung, geben keine Einsichten und sind nur nervige und kitschige Ablenkungen. Der Bühnenausstatter Jakub Kopecký baut dafür eine weiße Gletscherwelt, die sich schnell in ein Pariser Etablissement oder einen Bahnhof verwandeln kann. Die Kostüme von Tomáš Kypta sind ein bunter Mischmasch aus diversen Epochen und Stilen.
Foto © Patrik Borecký
Tatsächlich stehen die Sänger völlig von Drábek alleingelassen auf der Bühne. Hilflos stehen sie herum und wissen kaum, was sie aus ihren Charakteren machen sollen. Dazu kommt, dass im deutschen Original gesungen wird – wobei leider die Verständlichkeit der Sänger sehr zu wünschen lässt. Insbesondere Jonny, der eigentlich als charmanter Musiker und Kleinganove uns alle in eine Neue Welt verführen sollte, tritt hier als bunter Clown auf. Das Nationaltheater hat zugelassen, den jungen weißen Sänger Jiří Rajniš schwarz geschminkt in Blackface spielen zu lassen – heutzutage geht das gar nicht mehr. Sein Bariton wirkt energisch und schelmisch, seine „neue“ Musik als Kontrast zu den konventionellen Tönen, die der Komponist Max zu finden versucht. Dieser wird von Jonathan Stoughton mit heldentenoralen Höhen vorgetragen, besonders in seinem „Dialog“ mit dem Gletscher, wo er hofft, seine Kreativität wieder zu entdecken. Petra Šimková-Alvarez setzt ihren geschmeidigen Sopran gekonnt, wenn auch etwas hausfraulich ein. Vanda Šípová kann wegen einer Stimmverletzung nicht singen, dafür spielt und mimt sie die Rolle der Yvonne, während Steffi Lehmann in letzter Minute einspringt und von der Seite – als einzige mit verständlicher Diktion – mit melodischem Sopran singt. Bariton Igor Loškár wird als Daniello für seine spielerische Kunst gefeiert. Der große Chor ist hervorragend von Adolf Melichar einstudiert.
Immerhin steht am Pult ein Dirigent, der das Werk und die Musik von Ernst Krenek kennt und schätzt. Stefan Lano, der bereits Jonny in Graz und am Teatro Colón in Buenos Aires aufgeführt hat, lässt sich nicht von dem gängigen Attribut „Jazz-Oper“ irritieren. Krenek exponiert eine spätromantische Sprache und entwickelt sie in Melodien, die den Tonsprachen der Zeit entsprachen: Ja, es gibt Zitate aus Jazz und Foxtrott – sogar der Gershwin Hit Swanee River erklingt kurz – aber Krenek kannte Jazz in den späten Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts nur aus den Eindrücken, die die Musik auf Europa machte. Er kannte Thomas Mann, Rainer Maria Rilke und viele andere. Die Musik in Jonny entspricht dem Zeitgeist der auferstehenden Weimarer Republik und der Sehnsucht nach anhaltendem Frieden sowie der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. So führt Lano das ausgezeichnet spielende Orchester der tschechischen Staatsoper, Chor und Solisten sicher und mit viel Empathie und zeigt auf, dass diese Oper durchaus ihren Platz im Repertoire des 21. Jahrhunderts verdient hat.
Am Schluss warmer Applaus für alle, besonders für die Musiker.
Zenaida des Aubris