Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
IRIS
(Pietro Mascagni)
Besuch am
24. September 2019
(Premiere am 13. April 2019)
2015 war das tschechische Pilsen Kulturhautstadt Europas. Eine Aufführung von Pietro Mascagnis Japanoper Iris ist trotz dieses Hintergrundes ein mutiges Unterfangen, denn die meisten Stätten machen einen großen Bogen um die musikalische Perle mit dem lyrischen Libretto von Luigi Illica. Gründe dafür gibt es keine! Das Ensemble in Pilsen bringt deutlich zur Anschauung, dass diese Oper rundum fesselt und absolut bühnentauglich ist.
Pietro Mascagni erweist sich nach seinem Welterfolg mit Cavalleria rusticana als der Komponist, der im Gegensatz zu seinem Kontrahenten Giacomo Puccini immer wieder nach neuen Tonsprachen Ausschau hält. Seine Iris, die im Japan des ausgehenden 19. Jahrhunderts spielt, wurde 1898 im Teatro Costanzi in Rom uraufgeführt und in der Folge weitherum mit Erfolg aufgeführt. Doch dann wandelte auch Puccini auf den Pfaden der damals gängigen Exotismen in der Oper und schuf sechs Jahre später sein Opus Madama Butterfly. Iris verschwand daraufhin mehrheitlich von den Bühnen, auch wenn die beiden Werke musikalisch wie inhaltlich sehr unterschiedlich sind. Das betrifft freilich nicht die Qualität.
Zwei Opern, die in Japan spielen, scheinen den meisten Intendanten zu viel zu sein fürs gängige Repertoire, das mehrheitlich die 20 gleichen Werke beinhaltet. Dabei wäre nicht nur die opulente Musik Mascagnis eine Neuentdeckung wert, auch die Thematik Zwangsprostitution böte Regisseuren eine brisante Vorlage. Die Gilde schießt aber lieber die x-te Bohème auf den Mond, anstatt im reichhaltigen Opern-Schmuckkästchen zu wühlen.
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Gesang | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Regie | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Bühne | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Publikum | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
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Iris ist eine heranwachsende Frau, die bei ihrem blinden Vater lebt und sich mit Hingabe den Blumen im Garten widmet. Es ist ein Leben, das von kindlicher Unschuld und der innigen Fürsorge um einen alten Mann geprägt ist. Für Iris ist es eine heile Welt, ein Kokon, der ihr Sicherheit bietet. Doch das Glück währt in der Oper nicht lange. Die Straßenkünstler Osaka und Kyoto kündigen sich mit ihrer Spieltruppe an. Der Blinde ist misstrauisch, Iris kann den Verlockungen des Theaters nicht widerstehen. Das ist fatal, denn die beiden Gaukler betreiben in Wahrheit ein Freudenhaus in der Stadt und sind auf der Suche nach jungem Fleisch. Die Unschuld vom Land wird mit List und Tücke entführt.
Wenn Iris im Edelpuff in einem Dämmerschlaf liegt, verliebt sich Osaka in das redliche Geschöpf. Die Angebetete kann aber nichts anfangen mit seinen heißblütigen Betörungen und möchte zurück in ihren Garten. Kyoto wird das Hin und Her zu bunt. Er will den Plan erfüllen und Iris zur Kurtisane machen. Als der Vater mit Hilfe von Dorfbewohnern das Bordell ausfindig macht, spitzen sich die Ereignisse zu. Er missversteht die Situation und verdammt seine Tochter mit üblen Worten. Iris bleibt nur der Ausweg in den Freitod.
Das wäre ein gar einfaches Skript, wenn sich Mascagni und sein kongenialer Librettist nicht weit mehr dabei gedacht hätten. Man kann die tragische Geschichte nämlich auch als Parabel verstehen, in der ein fragiler Teenager aus dem wohlbehüteten Hort ins brutale Leben gestoßen wird und im Fall von Iris zur erwachsenen Frau heranreift. In Pilsen werden diese Sichtweisen geschickt miteinander verwoben. Das zeigt sich vor allem im Schlussakt, wenn die zu Tode gestürzte Protagonistin nicht schwer verletzt am Boden liegt, sondern aufrecht stehend ihre letzte Arie singt und in ein goldgelbes Licht tritt.
Pietro Mascagni, der rund 16 Opern schuf, verlässt mit diesem Frühwerk bewusst die krachende Dynamik seiner Cavalleria und spinnt einen vielschichtigen Melodienreigen und Klangteppich, der sich an fernöstlichen Klängen orientiert, mit veristischem Bombast behutsam umgeht und sich der Leitmotivtechnik seines Idols Richard Wagner bedient.
Mit Iris ist der Maestro aus Livorno noch etwas in der Nummernoper verankert, und er lässt es sich nicht nehmen, einen wahren Fundus an Arien, Duetten und Chorgesängen anzureichern. Seine Hymne Inno del Sole wurde in Rom schon beim Eröffnungszeremoniell der Olympischen Spiele 1960 geschmettert, Osakas Ständchen Apri la tua finestra fand so bekannte Interpreten wie Luciano Pavarotti, Beniamino Gigli oder Jonas Kaufmann. Renée Fleming singt Iris‘ Schlüssel-Arie Un dì ero piccina auf ihrem Verismo-Album.
Foto © Martina Root
Das Haus in Pilsen legt mit der Produktion der selten gespielten Oper, die Regisseur Tomáš Pilař und Setmeister Petr Vítek mit sehr viel Sorgfalt umsetzen, ein facettenreiches Juwel in Szene. Die Bühne ist nach japanischem Stil puristisch eingerichtet und kommt mit wenigen Requisiten aus. Für stimmige Bilder sorgen die Lichttechniker oder ein märchenhaftes Marionettenspiel. Die schlicht gehaltenen, aber nicht minder edlen Kostüme von Ivana Sevcik Mikloskova interpretieren einen Fernen Osten, der geschickt zwischen Tradition und Moderne oszilliert. Die Personenführung ist präzise und plausibel, was man an renommierteren Häusern oft schmerzlich vermisst. Die Regie punktet immer wieder mit subtiler Poesie, ohne jemals in den Kitsch abzugleiten. Ebenso sachte kommen kluge Video-Sequenzen zum Einsatz, die das Geschehen kohärent unterstreichen und so beispielsweise beim Wandertheater psychedelisch anmutende Muster kreisen lassen.
Der Abend in Pilsen ist auch ein Fest der Stimmen. Allen voran glänzt Maria Kobielska in der Titelpartie mit sattem Volumen und einwandfreier Phrasierung. Die Sopranistin ist nicht nur im Forte eine Gewalt. Kobielska betört auch in den feinen, lyrischen Passagen mit Reduktion und verspieltem Gesang. Ihr pointiertes Spiel fesselt bis zuletzt.
Philippe Castagner ist ihr ein ebenbürtiger Sparringpartner. Der Tenor beweist gleich im ersten Akt mit dem Finestra-Ständchen, das er höhensicher ist und einen langen Atem hat. Der Künstler zeigt Osaka als ambivalenten Charakter, der im Auftreten an einen Gangster-Rapper erinnert, aber in Wahrheit ein unsicherer Zeitgenosse mit dünner Haut ist. Mit sonorer Fülle und wummerndem Brustton gesellt sich Csaba Kotlár in den Reigen. Der Bariton ist als Kyoto eine unbeherrschte Natur, und das vermag er sowohl stimmlich als auch spielerisch auf den Punkt zu bringen. František Zahradníček hat als Blinder leider nicht viel zu singen, aber was man vom Bassbariton zu hören bekommt, ist Premium-Klasse.
Das Orchester unter der Leitung von Jiří Štrunc lässt bereits bei den ersten flirrenden Geigen zu Inno del Sole erkennen, dass ganz große Oper folgt. Sein Dirigat durchkämmt elegant die feingliedrige Partitur Mascagnis und punktet mit gezielter Wucht in der Dramatik. Der Klangkörper ist ausgesprochen luzide und breit aufgefächert, was dieser Oper zusätzliche Strahlkraft verleiht. Auch am Schluss in der Wiederholung der Sole-Hymne, die diesmal als Apotheose aufgebaut ist, verliert sich Jiří Štrunc nicht in Manierismen. Der Chor, der in diesem Dreiakter nicht zu kurz kommt, blüht unter Zdeněk Vimr zu strahlender Pracht auf und ist bei der rundum gelungenen Wiederbelebung dieser Kostbarkeit das Sahnehäubchen.
Das mittelgroße Haus ist an diesem Montag gut besucht, und die Gäste honorieren die Leistung mit kräftigem Applaus und Bravo-Rufen. Das Ticket für eine Vorstellung kostet durchschnittlich 20 Euro und die Untertitel sind auch in deutscher Sprache verfasst. So viel für so wenig gibt’s an manch hoch subventioniertem Haus nicht zu erleben.
Peter Wäch