O-Ton

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Foto © Vincent Pontet

Aktuelle Aufführungen

Intellektuelle Zauberflöte

DIE ZAUBERFLÖTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
14. November 2023
(Premiere)

 

Théâtre des Champs-Élysées

Die letzten sechs Monate in Mozarts Leben sind geprägt, einerseits durch eine Reihe von Aufträgen, die den Komponisten unter Druck setzen. Die wichtigsten darunter sind die Oper La Clemenza di Tito für die Krönungsfeierlichkeiten Kaiser Leopolds II in Prag, das Singspiel Die Zauberflöte für Schikaneders Vorstadt-Theater auf der Wieden und zuletzt das Requiem, das er nicht mehr zu Ende komponieren kann. Andererseits steckt Mozart, der nie besonders gut mit Geld haushalten konnte, in großen finanziellen Schwierigkeiten. Sein Vater ist seit vier Jahren tot. Sein väterlicher Freund Josef Haydn, der ihm vielleicht hätte helfen können, befindet sich seit Anfang des Jahres 1791 zu einem Konzertaufenthalt im fernen London. So ist es nur sein treuer Freund Johann Michael Puchberg, der ihm immer wieder mit kleineren Summen aushilft, was Mozart ihm mit einem seiner ausgereiftesten Kammermusikwerke, dem Divertimento, oder besser gesagt, mit dem Streichtrio KV 563 dankte. Vor allem aber läuft während der Zeit ein Prozess, den Fürst Karl Lichnowsky, kaiserlicher Kammerherr, gegen Mozart beim Landgericht Sankt Pölten angestrengt hat, um die 1435 Gulden einzuklagen, die er Mozart zwei Jahre zuvor geliehen hatte. Nun ist dieser Betrag für einen mächtigen Fürsten eine relativ unbedeutende Summe, Mozart hingegen hätte ihn bei einem Jahresgehalt von 800 Gulden als kaiserlicher Hofmusiker nur schwer aufbringen können. Dieser Prozess wird drei Wochen vor Mozart Tod zu seinen Ungunsten entschieden. Angesichts dieser Umstände kann man sich vorstellen, dass Mozart mit Leib und Seele in die Märchenwelt der Zauberflöte flieht, in der neben viel Heiterkeit auch sehr ernsthaft von Menschlichkeit und von Wohltätigkeit die Rede ist und in der die Bösen bestraft und die Guten belohnt werden. Man kann sich aber auch vorstellen, dass bei einem schon nicht sehr guten Gesundheitszustand all diese Schwierigkeiten zusammengenommen, Mozarts körperliche Widerstandskraft und seinen Lebenswillen erheblich schwächen. Vor allem aber kann man sich vorstellen, warum der mächtige und einflussreiche Fürst Lichnowsky nach Mozarts Tod alles daransetzt, alle mit dem Gerichtsverfahren im Zusammenhang stehenden Dokumente, soweit er ihrer habhaft werden kann, einschließlich der Gerichtsakten, vernichten zu lassen, um der Nachwelt weiszumachen, dass dieser Prozess nie stattgefunden habe. Unter solchen Umständen ist Die Zauberflöte zustande gekommen.

Vor vier Jahren hat der Hollywood-Regisseur James Gray im Théâtre des Champs Elysées eine überaus reizvolle Inszenierung von Le Nozze di Figaro auf die Bühne gebracht. Diesmal hat sich das Theater wieder an einen Filmemacher gewandt, Cédric Klappisch, um Die Zauberflöte zu inszenieren. Klappisch, der in seinen Filmen eher durch seinen Realismus bekannt geworden ist, hat hier bei seiner ersten Theater-Inszenierung schnell erkannt, „dass man visuell eine phantastische Welt schaffen muss, eine eher symbolische als reelle Scheinwelt erfinden, um Mozarts ‚Zauber‘-Aspekt gerecht zu werden.“ Das heißt aber auch, „einen gewissen Klassizismus zu akzeptieren“. Allerdings, „ist die Oper eine alte Kunstgattung, die meiner Ansicht nach durch moderne Bilder bereichert werden muss“ – und durch moderne Ideen. So geht Klappisch im heutigen Zeitalter des Klimawandels von der Idee Jean-Jacques Rousseaus und der Aufklärung aus, dass der Mensch für die Natur eine gewisse Verantwortung trägt. Wobei in seiner Inszenierung Sarastro nicht nur das Licht, sondern auch die Erziehung, die Vernunft, die Wissenschaft und die technologische Zivilisation vertritt, die Königin der Nacht hingegen die Nacht, die ungezähmte Natur, den Aberglauben und den Obskurantismus.  Doch ganz im Sinne der Gleichberechtigung von Mann und Frau bemüht er sich auch, die Gestalt der Königin der Nacht etwas aufzuwerten und die des patriarchalischen Sarastro etwas herabzusetzen. „Meine Inszenierung beruht auf dem Quartett Natur-Zivilisation-Frau-Mann“. Tamino und Pamina stellen die gelungene Harmonie zwischen Mann und Frau dar. Doch das Schlusswort des Regisseurs ist dann doch: „Es ist das Ziel, dass das Publikum die Musik so gut wie möglich hören kann.“

Diese Intellektualisierung von Schickaneders Textbuch kommt in der Inszenierung Klappischs nur unvollständig zum Ausdruck. Vor allem aber – und das ist bedauerlich – kommt darüber trotz vieler guter Einfälle und trotz vielversprechender Entwürfe das wirklich Fantastisch-Zauberhafte, das man sich für eine Zauberflöte wünscht, dann doch etwas zu kurz. Clémence Bezats Bühnenbilder sind bis auf die Schlussszene sehr dunkel, entweder ist es ein tropischer Regenwald mit riesigen Bäumen, oder ein düsterer Tempel, der wie ein Gefängnis wirkt und die Priester wie Sträflinge, oder ein stilisierter Arkadenhof. Oder einfach ein leerer Bühnenraum, von Vorhängen begrenzt. Nur im Schlussbild ist blauer Himmel zu sehen und im Hintergrund eine futuristische Wolkenkratzerstadt. Stéphane Rollands Kostüme sind meist lange Kleider oder Umhänge in den verschiedensten Farben mit extravagantem Kopfschmuck. Die Riesenschlange, die Tamino zu Beginn der Oper in Ohnmacht fallen lässt, wie auch so allerhand anderes Getier und Geflügel, das da kreucht und fleucht, werden sehr spielerisch von Stéphane Blanchet und Niccolo Casas per Video auf die Bühne projiziert. Alexis Kavyrchines sich stetig ändernde Beleuchtung trägt wesentlich zum jeweiligen Stimmungswechsel bei. Die Personenregie und die Choreografie von Chor und Solisten ist gut durchdacht. Um dem Publikum den Zugang zur Oper zu erleichtern, lässt Klappisch die nicht-gesungenen Teile auf französisch sprechen. Er hat sie auch in eine zeitgenössische Form gebracht, um einigen seiner Ideen besser Ausdruck zu verleihen. Man merkt auch, dass die französisch gesprochenen Passagen für viele der frankophonen Sänger jedes Mal eine Oase der Erleichterung sind.

Musikalisch ist Regula Mühlemann, in manchen Szenen in Ketten gelegt oder in einen Käfig gesperrt, mit zartem Timbre in den dramatischen wie in den lyrischen Szenen eine bezaubernde Pamina. Besonders bewegend in der Dolch-Szene mit den drei Knaben Du also bist mein Bräutigam, durch dich vollend‘ ich meinen Gram. Cyrille Dubois mit hellem, wohlklingendem Tenor ist der zu allem willige Tamino, solange er dadurch seine Pamina erringt. Etwas schade, dass er sich offensichtlich mit der deutschen Sprache schwertut. Jean Teitgen mit tief orgelndem Bass tritt besonders in seiner zweiten großen Arie In diesen heil’gen Hallen kennt man die Rache nicht majestätisch hervor. Die Rolle der Königin der Nacht hat Klappisch etwas zu sehr banalisiert. Trotz allem Geglitzer bleibt ihr vollbeleuchtet nichts mehr von einer geheimnisvollen, sternflammenden Königin. Alksandra Olczyk singt ihre schwierigen Koloraturen scharf und präzise, aber ist etwas überfordert in den Spitzentönen. Vielleicht ist sie auch indisponiert. Florent Karrer als der mit Federn geschmückte Papageno schauspielerisch sehr komisch, singt sich erst langsam in seine Rolle hinein, aber erfreut uns dann vollends in seiner Arie Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich und mit Catherine Trautmanns reizvoller Papagena in ihrer Schlussszene Pa…Pa…Pa im zweiten Akt. Im Gehaben wie ein Catch-as-catch-can-Ringer und ganz in schwarzes Leder gekleidet ist Marc Maulillon sehr glaubhaft und eindrucksvoll der servile, gehässige, ungeliebte Monostatos. Sehr witzig und stimmlich erfreulich sind Judith van Wanroij, Isabelle Druet und Marion Lebègue als die drei Damen. Und so ist ihr Quintett mit Tamino und Papageno Die Königin begnadigt dich auch eine der stimmungsvollsten Szenen der Aufführung. Josef Wagner ist ein ehrwürdiger Sprecher. Gut einstudiert von Gaël Darchen sind der Chor Unikanti sowie die Kindersolisten der Maîtrise des Hauts-de-Seine.

François-Xavier Roth dirigiert, manchmal mit erstaunlich langsamen Tempi, Solisten, den Chor und das Ensemble Les Siècles mit mestria.

Das Publikum freut sich sehr über die Aufführung.

Alexander Jordis-Lohausen