O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto: © Charles Duprat

Aktuelle Aufführungen

Eiskalt und Männer mordend

TURANDOT
(Giacomo Puccini)

Besuch am
4. Dezember 2021
(Premiere)

 

Opéra national de Paris, Bastille

Nach der Aufführung von Händels Alcina vor zehn Tagen im Palais Garnier, bringt die Pariser Oper nun noch einmal das Thema einer Männer vernichtenden Prinzessin auf die Bühne. Diesmal ist es Puccinis Turandot. Die Geschichte geht auf alte orientalische Legenden zurück, die Carlo Gozzi im 18. Jahrhundert für die Bühne bearbeitet und für die sich daraufhin verschiedene Opernkomponisten interessieren, unter ihnen auch Carl Maria von Weber für eine Version von Friedrich Schiller. In Erinnerung bleibt aber auch Max Reinhardts Inszenierung 1911 in Berlin, mit Ferruccio Busonis Bühnenmusik.  Puccini tastet sich etwas langsam an diesen Stoff heran und er wird diese, seine letzte Oper auch nicht mehr völlig zu Ende komponieren können. Die Schlussszene wird von seinem Schüler Francesco Alfano nachempfunden. Die Oper ohne Alfanos Ergänzungen erfährt 1926, zwei Jahre nach dem Tod des Komponisten, unter der Leitung Arturo Toscaninis in Mailand ihre Uraufführung. Trotz des fehlenden Finales gilt Turandot als Puccinis am ehesten vollendete Oper. In seiner dramatischen Sprache, der stilistischen Vielfalt und den gewagten Neuerungen übertrifft der Komponist hier noch seine Bohème, Tosca oder Butterfly. Und die wechselhafte „Psychologie des Volkes“ in den Chören ist ebenso genau ausgearbeitet wie die Psychologie in den Rollen der Hauptdarsteller. Hin und wieder klingt auch ostasiatische Musik an. Nur wird vielfach bemängelt, dass der Schlussszene der Oper, der Szene der Bekehrung Turandots, die Puccini nicht mehr selbst hat komponieren können, die nötige Überzeugungskraft fehlt.

Im Gegensatz zu Robert Carsen in Alcina, kommt Robert Wilson in seiner Inszenierung von Turandot, 2018 im Teatro Real de Madrid entstanden, dem Märchen, das der Oper zu Grunde liegt, durchaus entgegen, aber nicht mit farbenfreudiger Romantik, sondern eher mit symbolträchtiger Abstraktion.  Und wie so oft in seinen Operninszenierungen sind seine Bilder von erlesener, aber eiskalter Ästhetik und von minimalistischer Einfachheit. Er verzichtet auf jegliche Requisiten und spielt auf leerer, meist „nächtlicher“ Bühne hauptsächlich mit clair-obscur-Effekten, mit geometrischen Kulissen, und mit einer Hintergrund-Beleuchtung, die Silhouetten entstehen lässt. Wobei ständig sich verschiebende Kulissenteile oft die Szene heller oder dunkler werden lassen, wie Wolken, die vor dem Mond vorbeiziehen. Diese dunkle Kargheit ist hier und dort von hell leuchtenden Neon-Linien unterstrichen. Wilsons Choreografie ist entweder statisch, oder die Schritte oder Körperbewegungen der Darsteller sind stilisiert wie die eines formalen Balletts. Das Trio der drei Minister Ping, Pang, Pong, Überlebende der ursprünglichen commedia-dell’arte-Figuren in Carlo Gozzis Theaterstück, ist in stetiger clownesker Bewegung. Wie Marionetten-Puppen, ganz in schwarz mit maskenhaften, weiß geschminkten Gesichtern, trippeln, hüpfen, wackeln sie mit den Köpfen, schneiden Grimassen und singen dabei ihre Rollen, was eine beachtliche Leistung ist. Jacques Renauds Kostüme sind durchweg grau oder schwarz. Der einzige Farbton auf der Bühne ist, vom Bühnenhintergrund abgesehen, dem leuchtend roten Prunkkleid der Prinzessin Turandot vorbehalten. Nicht einmal dem „Sohn des Himmels“, dem Kaiser von China, der stilgerecht auf einer Schaukel von Himmel herunterschwebt, wird eine farbige Kleidung zuteil. Wie unheimliche Insekten stehen Krieger in Schrecken erregenden Rüstungen im Hintergrund.

Foto: © Charles Duprat

Sopranistin Elena Pankratova ist unnahbar statisch, wie es sich gehört. Sie singt im zweiten Akt sehr eindrucksvoll die Geschichte der misshandelten Vorfahrin, die sie durch ihre unerbittliche Jungfräulichkeit zu rächen sucht In questa Reggia, um daraufhin ihre drei Rätsel aufzugeben. Ihre Stimme gewinnt eine gewaltige Dramatik im Schlussduett mit Calaf, in der ihre Unnahbarkeit einer unwiderstehlichen Liebessehnsucht weichen soll. Und hier übernehmen einzig ihre Stimme und das Orchester die Überzeugungskraft, denn die Regie ist weiterhin statisch: Die beiden Hauptdarsteller berühren einander kaum, und doch soll der sinnliche Funke überspringen. Eine sehr freudige Überraschung ist die Sopranistin Guanqun Yu als die selbstlose Sklavin Liù, der Puccini die eigentliche Hauptrolle zugesteht. Ihre mezza-voce ist betörend und das aus dieser mezza-voce herauswachsende crescendo, in der Szene im dritten Akt, in der sie sich den Tod gibt Sì, Principessa, ascoltami!, sehr ergreifend. Man findet hier den Puccini der Madama Butterfly wieder. Gwyn Hughes Jones‘ Timbre leuchtet in den Höhen seines Belcanto-Tenors, aber hat in der Rolle des Calaf etwas Schwierigkeiten in den mittleren und tieferen Lagen. Oder ist er indisponiert?  Die Rolle des gestürzten Königs Timur singt und spielt Vitalij Kowaljow sehr einleuchtend. Ebenso ist Carlo Bosi auf seiner Himmelsschaukel ein würdiger Kaiser Altum in Un giuramento atroce. Wie schon erwähnt, verdienen als das singende perpetuum-mobile-Trio Ping, Pang und Pong Allessio Arduini, Mathew Newlin und vor allem Jinxu Xiahou, der wie eine wandelnde Maske wirkt, ein besonderes Lob. Bogdan als Mandarin klärt uns, Popolo de Pekino, mit sonorer Stentorstimme gleich zu Beginn der Oper über das grausame Gesetz im Kaiserreich China auf.

Die Masse des Volkes spielt eine wichtige, eigenständige Rolle in der Oper, sie ist durch den Chor und den Kinderchor der Pariser Oper, verstärkt durch die Maîtrise des Hauts-de-Seine, einstudiert von der neuen Chorleiterin Ching-Lien Wu, erfolgreich vertreten.

Musikalisch stehen die Solisten sowie die Chöre und das Orchester der Pariser Oper unter der Leitung von Gustavo Dudamel. Turandot ist seine erste Opernaufführung als Dirigent, seit er im Sommer Philipp Jordan als Musikdirektor der Pariser Oper abgelöst hat. Er dirigiert prägnant, geballt und kraftvoll.

Eine szenisch wie auch musikalisch gelungene Aufführung. Das Publikum im ausverkauften Haus an der Bastille spendet langanhaltenden, einhelligen Applaus.

Alexander Jordis-Lohausen